Ein Altstar und wenig Hoffnung

Die Linke kämpft bei der Landtagswahl im Saarland um den Wiedereinzug. Wie die Partei versucht, eine weitere Niederlage noch zu verhindern

  • Max Zeising, Neunkirchen
  • Lesedauer: 5 Min.
Jede Tüte hilft – das ist zumindest die Hoffnung beim Wahlkampf im Saarland
Jede Tüte hilft – das ist zumindest die Hoffnung beim Wahlkampf im Saarland

Wie '89 sei ihm, sagt Gregor Gysi, und man wundert sich. Der langjährige Fraktionschef der Linken im Bundestag, der ob seines rhetorischen Talents auch im hohen Alter immer noch für Wahlkampfauftritte gebucht wird, steht an diesem sonnigen Frühlingsabend nicht etwa in Berlin, Leipzig oder Rostock, sondern: vor gut 100 Zuschauer*innen auf dem Stummplatz in Neunkirchen. Hier im Saarland, das Frankreich deutlich näher liegt als dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR, wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Die Linke muss um den Wiedereinzug kämpfen, aktuelle Umfragen sehen die Partei bei nur vier Prozent.

SPD liegt vorn

Im Saarland regiert derzeit eine große Koalition mit dem CDU-Politiker Tobias Hans an der Spitze. Seine Partei dürfte in dem kleinen Bundesland mit 800 000 Wahlberechtigten bei der Landtagswahl am Sonntag kräftig an Zustimmung verlieren. In Umfragen kommt die CDU auf um die 30 Prozent, bei der letzten Wahl 2021 erzielte die Partei noch fast 41 Prozent. Hans ist seit 2018 Ministerpräsident, er löste Annegret Kramp-Karrenbauer ab, die damals CDU-Generalsekretärin wurde.

Die SPD könnte deutlich dazu gewinnen und mit ihrer Spitzenkandidatin und Landeswirtschaftsministerin Anke Rehlinger mit Abstand stärkste Partei werden.

Die Linkspartei dürfte wie die CDU kräftig verlieren: In Umfragen liegt sie bei nur noch vier Prozent. 
Grüne und FDP wiederum könnten wieder in den Landtag einziehen. rt

Nun hat sie zwischen Einkaufszentrum, Eisdiele und Bratwurststand ihren roten Sonnenschirm mit dem Parteilogo aufgespannt und eine Bühne aufgebaut. Auf dieser steht Gysi und lässt sich von allen Zweifeln, ob seine Ost-Erzählungen auch im Südwesten funktionieren, nicht beirren. Stattdessen versucht er sich an einer Analogie: Damals, als sich die SED in die PDS verwandelte und Gysi zum Vorsitzenden wurde, »kamen alle zu mir und sagten: Das zerbröselt sich, da kannst du machen, was du willst.« Dann schwingt sich der Altstar noch einmal auf, versucht, in dieser äußerst prekären Lage einen Hauch von Aufbruchstimmung auf den Platz zu zaubern: Gerade in einem solchen Moment, in dem der Niedergang besiegelt scheint, »entsteht in mir Leidenschaft. Und deshalb sage ich: Das geht nicht! Jetzt erst recht Die Linke wählen!«

Das Publikum klatscht und johlt. Es ist ein Phänomen: Gysi schafft es immer wieder, die Leute auf seine Seite zu ziehen - wenngleich der Applaus in den hinteren Reihen in Gemurmel übergeht und von einem echten Aufbruch an diesem Abend auf dem halb vollen Stummplatz nicht allzu viel zu spüren ist.

Gysi zieht alle rhetorischen Register

Die Geschichte ist ja auch tragisch: Ähnlich wie die PDS zur Wendezeit kämpft heute die Linke ums politische Überleben, auch wenn die Umstände ganz andere sind. Zu jener Zeit hat nicht zuletzt Gregor Gysi die Partei gerettet - und jetzt? Ausgerechnet zu diesem maximal ungünstigen Zeitpunkt sorgte jene Koryphäe, die als SPD-Ministerpräsident und späterer Linke-Fraktionschef im Saarland großes Ansehen erworben hatte, durch ihren Parteiaustritt für zusätzlichen Ärger: Oskar Lafontaine kann und will die im kleinsten deutschen Flächenland einst so erfolgreiche Linke - bei der Landtagswahl 2009 kam sie auf 21,3 Prozent - nicht mehr retten.

Stattdessen hatte er in seiner Abschiedserklärung noch einmal deutliche Kritik geübt: Die Linke habe Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen an andere Parteien verloren sowie friedenspolitische Grundsätze aufgegeben. Es ist diese Position, die auch Ehefrau Sahra Wagenknecht immer wieder vertritt: Die Linke habe sich von den »einfachen Leuten« entfernt, weil sie sich beispielsweise zu stark um den Schutz gesellschaftlicher Minderheiten kümmere. Andere in der Partei werfen Lafontaine und Wagenknecht vor, verschiedene Gruppen - zum Beispiel Geflüchtete und Arbeiter*innen - gegeneinander auszuspielen.

Lafontaines Parteiaustritt folgte einer jahrelangen Entfremdung. Nun steht Barbara Spaniol vor der schweren Aufgabe, in große Fußstapfen zu treten. Im Laufe der vergangenen Legislaturperiode war sie noch von Lafontaine aus der Landtagsfraktion geworfen worden, weil sie diese nicht entschieden genug gegen Kritik des Vorstands um Landeschef Thomas Lutze verteidigt habe. Daraufhin gründete sie mit der bis dahin ebenfalls fraktionslosen Abgeordneten Dagmar Ensch-Engel eine zweite linke Fraktion: die Saar-Linke. Nun ist sie die neue Spitzenkandidatin der Gesamtpartei, eröffnet die Wahlkampfveranstaltung in Neunkirchen in knallrotem Kleid. Seit 2004 sitzt die lebhaft wirkende 58-Jährige im Landtag, zunächst für die Grünen, seit 2009 für die Linke. Sie hat nicht den überregionalen Bekanntheitsgrad eines Oskar Lafontaine, aber sich doch durch langjährige Arbeit in der Region ein gewisses Standing erarbeitet.

Der Star des Abends ist jedoch ein anderer: Nach kurzer Eröffnungsrede übergibt Spaniol an Gysi, der sich fortan durch den Ukraine-Krieg, die Corona-Krise und natürlich den berühmten »Steuerbauch« arbeitet - jenes Motiv, das er immer wieder verwendet, um die steuerliche Ungleichbehandlung der Mittelschicht gegenüber den Gutverdiener*innen zu verdeutlichen. Bei den Leuten kommt er damit gut an.

Nach etwa 30 Minuten dann der unangenehme Teil des Auftritts, um den er aber nicht herumkommt - nicht hier im Saarland: »Oskar Lafontaine hat die Partei verlassen, nachdem es einen Entfernungsprozess gab. Das tut mir weh«, sagt Gysi. Die Personalie kurz und knapp abgehandelt, geht er dann, um schnell die Kurve zu kriegen, zu jener ’89-Erzählung über. Man könnte sagen: Angesichts der gleich doppelt schwierigen Umstände - neben den landespolitischen Querelen trifft auch der Bundestrend die Linke im Saarland hart - sieht sich Gysi gezwungen, alle rhetorischen Register zu ziehen.

Lutze widerspricht Vorwürfen

Am Rand steht Thomas Lutze und beißt in eine Bratwurst. Mit seinen zwei Metern ist der Linke-Landeschef nicht zu übersehen. Während Gysi auf der Bühne darum bemüht ist, für neuen Schwung zu sorgen, wirkt Lutze angesäuert. Er selbst war von Lafontaine dafür angegangen worden, ein »Betrugssystem« geschaffen und sich mit bezahlten Mitgliedern für den Bundestag aufgestellt zu haben. »Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass genau die Leute, die mir das vorgeworfen haben, selbst Unterschriften gefälscht haben«, so Lutze, der über Lafontaine ansonsten nicht weiter sprechen will. Stattdessen lobt er Barbara Spaniol, die sich gegenüber ihrem Vorgänger überhaupt nicht zu verstecken brauche: »Sie hat den Vorteil, dass sie schon lange im Landtag sitzt. Dadurch hat sie in einem so kleinen Bundesland eine gewisse Aufmerksamkeit erworben«, sagt er. Und: »Sie hat sich einen Namen gemacht, indem sie sich auf das landesspezifische Thema Bildung konzentriert hat.«

Was er damit ausdrücken will: An Spaniol werde es nicht gelegen haben, sollte die Linke den Wiedereinzug in den Landtag nicht schaffen. Klar ist aber auch: Von einem Aufbruch, wie ihn Gysi in Neunkirchen erzeugen will, ist die Linke derzeit weit entfernt. Sollte sie rausfliegen, wäre sie unter den westdeutschen Flächenländern nur noch im Landtag von Hessen vertreten.

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