Asyl für Deserteure erleichtern

Pro Asyl und Connection fordern Schutz und Asyl für russische, belarussische und ukrainische Deserteure. Der Weg aus dem Krieg ist juristisch kompliziert

In einem Brief an die Bundestagsabgeordneten haben die Vereine Pro Asyl und Connection unkomplizierten Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigernde aus Russland, der Ukraine sowie aus Belarus gefordert. Für ukrainische Soldat*innen sollte eine Verweigerung derzeit eigentlich leichter möglich sein. »Den aus der Ukraine geflohenen Menschen kann durch den am 4. März einstimmig getroffenen EU-Beschluss zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und die entsprechende Umsetzung in Deutschland über den Paragrafen 24 Aufenthaltsgesetz schnell und unbürokratisch geholfen werden«, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bamf auf »nd«-Anfrage mit.

Nach den Erfahrungen von Connection wird aus der Ukraine aber nur ein kleiner Teil der Kriegsdienstverweigerer anerkannt, zu denen die Mitglieder von kleinen Religionsgemeinschaften wie beispielsweise den Zeugen Jehovas zählen. Wer nicht einer solchen Religionsgemeinschaft angehört, dem wird eine Anerkennung versagt. Auch Reservisten und Soldaten haben keine Möglichkeit der Antragstellung.

Eine direkte Absage an Deserteure wollte das Bamf auf »nd«-Nachfrage nicht tätigen. Es sei »immer im Einzelfall nach gründlicher Abwägung aller als schutzrelevant vorgetragenen Gründe des Antragsstellers oder der Antragstellerin individuell zu entscheiden.« Clara Bünger, in der Bundestags-Linksfraktion Sprecherin für Flucht und Rechtspolitik, sieht im Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht. »Deswegen muss ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise aus der Ukraine ermöglicht werden, wenn sie dies möchten, und sie müssen hier Schutz bekommen, genau wie Frauen und Kinder, die vor den Bomben flüchten«, so Bünger gegenüber »nd«.

Auch russische und belarussische Deserteur*innen müssen weiterhin einen Antrag auf Asyl stellen. In der vergangenen Woche waren keine Zahlen verfügbar, wie viele Soldat*innen beispielsweise aus Russland über einen Asylantrag versuchen, dem Kriegsdienst zu entgehen. Im Bamf liegen lediglich die Gesamtzahlen russischer Asylbewerber*innen vor. Nach vorläufigen Daten liegt die Zahl der formellen Asylerstanträge von russischen Staatsangehörigen im Monat März 2022 etwa auf dem Niveau des Vormonats, in dem 132 Antragsstellungen zu verzeichnen waren. Eine aktuelle Asylstatistik des Bamf wird voraussichtlich im Verlauf dieser Woche veröffentlicht.

»Die Zahlen an russischen Deserteuren sind derzeit kaum zu ermitteln«, sagt Rudi Friedrich vom Verein Connection, der sich international für Kriegsdienstverweigernde und Deserteur*innen einsetzt. Russische und belarussische Soldat*innen können sich eigentlich auf Artikel 9 der EU-Normen berufen, um als Geflüchtete anerkannt zu werden. Doch die Verfahren vor deutschen Gerichten sind langwierig. Die vorzulegenden Beweise sind nahezu unmöglich zu beschaffen. Die Gerichte fordern schriftliche Einsatzbefehle, aus denen dann auch eventuell völkerrechtswidrige Handlungen ablesbar werden. Deutlicher ausgedrückt: eine schriftliche Vorabbestätigung, dass Kriegsverbrechen begangen werden sollen.

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»Wir gehen davon aus, dass viele Menschen in den Ländern abgetaucht sind«, so Friedrich. Etwa 3000 belarussische Militärdienstpflichtige haben sich nach Litauen abgesetzt. Der Verein beobachtet derzeit auch die harschen Rekrutierungsmethoden, die Russland anwendet, um junge Männer an die ukrainische Front zu bringen. »Teilweise sind Leute als Berufssoldaten registriert, die nie etwas unterschrieben haben, teils wurden Rekruten sofort in den Zug ins Kriegsgebiet gesetzt«, so Friedrich weiter. Solange russische Männer noch keinen Einberufungsbescheid haben, scheint es bislang unproblematisch zu sein, das Land zu verlassen. »Wir bauen derzeit Gruppen in den einzelnen Ländern auf, um vor Ort aktiv werden und unterstützen zu können«, so Friedrich.

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»Auf Wehrdienstverweigerer aus dem Ausland zu reagieren, ist für Freiwilligenorganisationen eine große Herausforderung«, sagt Michael Schulze von Glaßer von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der auch Beirat der »Informationsstelle Militarisierung« (IMI) ist, die sich mit der Militarisierung der Gesellschaft auseinandersetzt. Das liege vor allem an sprachlichen Aspekten sowie den begrenzten Kapazitäten der Freiwilligenorganisationen, eine soziale Betreuung zu gewährleisten.

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