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  • Waffenlieferungen an die Ukraine

Alle Seiten auf Eskalationskurs

Während in Ramstein über weitere Waffenlieferungen an Kiew diskutiert wurde, drohte Russlands Außenminister mit dem drittem Weltkrieg

Es war offenkundig sowohl eine Reaktion auf Forderungen aus der FDP und von den Grünen als auch auf jene des großen Bruders in Washington. Bei einem Treffen von Verteidigungsministern, Militärs und Rüstungslobbyisten im rheinland-pfälzischen Ramstein versprach SPD-Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag, die Bundesregierung werde die Lieferung von Flugabwehrpanzern an die Ukraine genehmigen. Dazu habe man sich am Montag entschlossen. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dies noch wenige Tage zuvor abgelehnt. Er hatte in einem Interview gesagt, dass mit einer solchen Genehmigung eine Eskalation des Ukraine-Konflikts über die Grenzen des osteuropäischen Landes hinaus und der Einsatz von Atomwaffen drohe.
Nun also eine weitere »Zeitenwende«, denn die Bundesrepublik wird nicht nur die Ausfuhr schweren Geräts genehmigen, sondern sie beteiligt sich nach Angaben von Lambrecht auch an der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland an diesen Waffen.

Die deutsche Ministerin dankte ihrem US-Amtskollegen Lloyd Austin für die Initiative zu der Zusammenkunft in Ramstein, von der ein »weiteres ganz wichtiges Signal unserer Solidarität mit der Ukraine« ausgehe. Man beobachte »mit großem Entsetzen, mit welcher Brutalität und mit welchem Vernichtungswillen Russland in diesem Krieg gegen die Ukraine« vorgehe und »wie sehr sich Putins Russland damit aus dem Kreis der zivilisierten Nationen« verabschiede. Nun sei es »von überragender Bedeutung, dass wir gemeinsam und abgestimmt der Ukraine in ihrem mutigen Kampf helfen«.

Lambrecht sagte, die Bundesrepublik habe sich angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine »von einer jahrzehntelangen Praxis der Zurückhaltung bei Rüstungsexporten in Kriegs- und Krisengebiete verabschiedet«. Diese schwierige Entscheidung werde von der deutschen Bevölkerung »mit großer Mehrheit getragen«.

Die meisten schweren Waffen an die Ukraine liefern die USA. Darunter sind Javelin-Panzerabwehrsysteme, Haubitzen, gepanzerte Fahrzeuge, Drohnen und Stinger-Raketen – allerdings offiziell keine Panzer. Nach einem Besuch in Kiew sagten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken Kiew am Montag zusätzliche Militärhilfen in Höhe von 700 Millionen Dollar (650 Millionen Euro) zu. Damit haben die USA seit dem Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden der Ukraine rund vier Milliarden Dollar an Militärhilfe zukommen lassen.

Das erste Land, das die Ukraine mit schweren Waffen in Gestalt von Panzern sowjetischer Bauart belieferte, war Tschechien. Polen bestätigte inzwischen, neben Drohnen und Panzerabwehrsystemen ebenfalls Panzer geschickt zu haben. Medienberichten zufolge soll es sich um 40 Panzer des sowjetischen Typs T-72 handeln. Die Slowakei überließ der Ukraine ihr aus Sowjetzeiten stammendes Flugabwehr-Raketensystem S-300. In dem Land wird zudem über die Lieferung von MiG-29-Kampfjets an Kiew diskutiert.

Großbritannien hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 200 000 Waffen an die Ukraine geliefert, darunter 4800 Panzerabwehrwaffen vom Typ NLAW, und eine kleine Anzahl vom Typ Javelin. Frankreich liefert schwere Artillerie, darunter Caesar-Haubitzen. In Nordeuropa kündigten unter anderem Norwegen und die baltischen Staaten die Lieferung von Anti-Panzer-Waffen an.

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Mit der Genehmigung aus Berlin kann die Firma Krauss-Maffei Wegmann alte Gepard-Panzer an die Ukraine exportieren. Deutschland bezahlt die Lieferung im Rahmen seiner jüngsten Zwei-Milliarden-Euro-Finanzspritze für ukrainische Militärausgaben. Es handelt sich um aufgearbeitete Flugabwehrpanzer aus früheren Bundeswehr-Beständen in »mittlerer dreistelliger Zahl«. Der 48 Tonnen schwere Gepard kann Kampfhubschrauber, Kampfjets und Drohnen vom Himmel holen. Er kann gegen Ziele in bis zu sechs Kilometer Entfernung eingesetzt werden. Zudem kann er auch Ziele am Boden ins Visier nehmen und Ketten von schweren Panzern zerstören.

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Unterdessen warnte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in einem Interview des russischen Fernsehens, die Gefahr eines dritten Weltkriegs sei »ernst, sie ist real, sie darf nicht unterschätzt werden«. Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics widersprach Lawrow. »Wenn Russland den dritten Weltkrieg androht, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass die Ukraine Erfolg hat«, schrieb er auf Twitter.

UN-Generalsekretär António Guterres appellierte am Dienstag bei einem Gespräch mit Lawrow an den Kreml und an die ukrainische Regierung, gemeinsam mit der Uno an der Öffnung sicherer Fluchtkorridore für Zivilisten zu arbeiten. Er habe zu diesem Zweck »eine humanitäre Kontaktgruppe« vorgeschlagen, an der Russland, die Ukraine und die Uno beteiligt sein sollen, sagte Guterres auf einer Pressekonferenz mit Lawrow. »Wir brauchen dringend humanitäre Korridore, die wirklich sicher und effektiv sind.«
Lawrow erklärte, Russland sei bereit, mit der Uno zusammenzuarbeiten, um die Not der Zivilbevölkerung in der Ukraine zu »lindern«. Die Einrichtung von Fluchtkorridoren war nach Kreml-Angaben auch Gegenstand eines Telefonats von Putin mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan am Dienstag.

Unterdessen gingen die Kämpfe in der Ukraine unvermindert weiter. Sowohl im Donbass als auch in der Südukraine greife Russland »auf der gesamten Länge der Frontlinie mit Mörsern, Artillerie und Mehrfachraketenwerfern« an, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. Insgesamt starben im Osten und Süden am Dienstag nach ukrainischen Angaben mindestens neun Zivilisten durch russische Angriffe. In Popasna seien unter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes drei Tote gefunden worden, teilte Serhij Gajdaj, Gouverneur der Region Luhansk, mit. In der ostukrainischen Stadt Charkiw wurden nach Angaben von Regionalgouverneur Oleg Synegubow drei Menschen getötet und sieben weitere verletzt. In Awdijiwka in der Region Donezk hätten russische Truppen Luftangriffe auf das Krankenhaus, eine Schule und mehrere Wohngebäude geflogen, erklärte Regionalgouverneur Pawlo Kyrylenko.

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Zugleich meldete der Generalstab in Kiew, ukrainische Truppen hätten in der Region Welyka Olexandriwka ein russisches Munitionslager vernichtet. Die russische Armee berichtete wiederum, man habe mehrere Flugabwehrsysteme der ukrainischen Streitkräfte im Osten des Landes außer Gefecht gesetzt. Überprüfbar waren die Angaben nicht.
Die Debatte um deutsche Waffenlieferungen beschäftigt diese Woche auch den Bundestag. So wollen die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung auffordern, die Lieferungen zu beschleunigen und zu erweitern. Im Entwurf für einen gemeinsamen Antrag sprechen sich SPD, Grüne und FDP dafür aus, »die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtauschs zu erweitern, ohne die Fähigkeit Deutschlands zur Bündnisverteidigung zu gefährden«. Mit Ringtausch ist gemeint, dass Nato-Partner Waffen sowjetischer Bauart an die Ukraine abgeben, da deren Armee damit vertraut ist, und dafür von Deutschland Ersatz erhalten.

Die Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion reagierte positiv. Was man aus der Ampel höre, lasse die Hoffnung zu, dass sich die Dinge in die richtige Richtung entwickelten, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei (CDU). Wenn der Regierungsantrag den Unionsforderungen im Wesentlichen entspreche, »dann unterstützen wir ihn selbstverständlich auch«. CDU und CSU hatten zuvor einen eigenen Antrag vorgelegt, der bei der Lieferung schwerer Waffen deutlich weitergeht.

Unterdessen hat der Rüstungskonzern Rheinmetall der Ukraine die Lieferung von 88 gebrauchten Leopard-Kampfpanzern angeboten. Das geht aus Unterlagen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorlagen. Danach beinhaltet das Angebot auch die Ausbildung der Besatzung in Deutschland, Werkzeug, Ersatzteile, einen Servicestützpunkt und Munition. Mit Agenturen

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