Say it loud!

Plattenbau. Die CD der Woche: »Kritik der Leistungsgesellschaft« vom Knarf Rellöm Arkestra

Der kritische Knarf: Es lebe die inner- und außerplanetarische Opposition gegen den deutschen Tran und Wahn!
Der kritische Knarf: Es lebe die inner- und außerplanetarische Opposition gegen den deutschen Tran und Wahn!

Antifaschistische Musik zum Tanzen, gibt’s das überhaupt? Bei Knarf Rellöm auf jeden: »Du tanzt Donald Trump / du tanzt Viktor Orbán / du tanzt Salvini, / du tanzt den Brexit, / das ist nicht funky, / say it loud:/ du hast Scheiß gebaut« singt er auf seiner neuen Platte mit dem schönen Titel »Kritik der Leistungsgesellschaft«.

Das Kernargument ist ein ästhetisches, kein moralisches: »Das ist nicht funky«. Denn die neuen Krypto- und Originalfaschisten präsentieren sich in erster Linie als Superheldenfiguren. Der immer mit der Tür ins Haus fallenden ästhetischen Erscheinung ist das politische Programm nachgeordnet. Sie treten als vorwärtspreschende Macher und Macker auf, die mit dem ganzen Gelaber der linksliberalen Bedenkenträgerei nichts zu tun haben. Das Vorbild ist Trump, der die Grenze zwischen schlechtem Fernsehen und politischer Überwältigungsshow niedergerissen hat. Sie wirken machistisch und brutal, als wären sie einem Comic entsprungen, doch das ist reale Politik, die sie als großen Kampf (gegen was auch immer, aber immer trifft es die Armen, das ist klar) präsentieren. Deshalb ist das Cover dieser Knarf-Rellöm-Platte sehr gelungen: Ein erstaunter Superman liest ein Buch, auf dem steht: »Kritik der Leistungsgesellschaft«.

Können diese Typen überhaupt tanzen? Ihre Anhänger tun jedenfalls so: »Du tanzt Alice Weidel / du tanzt den Putin / du tanzt Lügenpresse, / du meinst, du tanzt rebellisch / du willst nichts wissen/ say it loud…« singt Rellöm. Er hat dabei auch die Umwertung und Instrumentalisierung früherer Politik- und Kulturpraktiken der Linken aus der Hippie- und Punkzeit durch die heutigen Rechten im Blick: »Was ist eigentlich mit den Spießern los? Wieso wollen die alternativ sein?«, fragt er in »Say it loud« in einer Sprechgesangspassage: »Ich erinner’ mich doch noch genau wie angekotzt und voller Hass sie waren, gegen alternativen Lebensstil, grün-alternative Listen, alternative Ernährung. Jetzt wollen die alternativ sein? Die Alternative für Deutschland?«

»Say it loud« ist ein sehr guter Agitpropsong – und tatsächlich funky. Das geht bei Rellöm ganz einfach: Guter Beat, ein bisschen Vocoder, Hall und Echo, aber auch Saxofon und eine Gitarre, die sich über die göttlichen Gitarrensoli der Altvorderen vor 50 Jahren lustig macht. Diese Elemente baut er additiv wie bei einem alten Technotrack so schlicht wie wirkungsvoll auf. Erst kommt der Beat und dann die Percussion und dann der Gesang mit Effekten.

Das ist der »heavy heavy No-Deutschland-Sound«, den Rellöm in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Vor noch längerer Zeit war Rellöm der interessanteste Außenseiter der Szene rund um den Hamburger Pudel Club. Er spielte zusammen mit Bernadette La Hengst bei Huah! eine Mischung aus Punk, Beat und Soul. Sie nannten es »Twingel Twangel Beat« – eine Bezeichnung, die sich nicht durchsetzen konnte. Stattdessen war schnell die Rede von der »Hamburger Schule«. Mittlerweile ist das ein fast vergessener Begriff für eine halbliterarische Indierockrichtung um Blumfeld und Konsorten, die Ende der 80er Jahre in Hamburg und Umgebung entstanden war und Ende der 90er im banalen Deutschrock verglühte – wie traditionell 75 Prozent der bemerkenswerten BRD-Untergrundmusik, wenn sich die Bands nicht vorher schnell genug auflösen.

Rellöm aber machte immer weiter und entdeckte erst Bob Dylan und dann (zusammen mit DJ Patex, seiner künstlerischen Gefährtin auf fast allen Platten) Funk und Afrofuturismus von Künstlern wie George Clinton und Sun Ra. Daraus entwickelten sie eine eigene Tanzmusik für die »Außerplanetarische Opposition« gegen den bundesdeutschen Tran und Wahn. Merke: Betrachtet man dieses Land vom Weltraum aus, wirkt es noch schlimmer und absurder.

Rellöm ist aber kein Spinner, sondern einer der wenigen unterhaltsamen und intelligenten politischen Künstler. Und tanzbar, witzig und originell noch dazu. Ein »popkultureller Universalgelehrter«, wie ihn nun Jens Uthoff in der »Taz« nannte. Er ist immer noch der beste Außenseiter mit den größten Hits. Einer seiner neuen besteht nur aus einer Refrainzeile, frei nach Joseph Beuys: »Kalter Funk – letzte Warnung an die Deutsche Bank«. Say it loud!

Knarf Rellöm Arkestra: »Kritik der Leistungsgesellschaft« (Misitunes / Broken Silence)

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