Der Pöbel übernimmt Sylt

Unter den Hashtags #Syltokalypse und #ChaosTageSylt mobilisieren Linke auf die Urlaubsinsel in der Nordsee

»Musikproduzent« Dieter Bohlen verbringt dort gerne erholsame Tage, »Shopping Queen«-Moderator Guido Maria Kretschmer ebenfalls, auch Schlagersänger Roland Kaiser ist auf diesem Flecken Erde ein gern gesehener Gast: Sylt, das liebste Eiland deutscher B- bis Z‑Prominenz, lockt jedes Jahr Tausende Touristen an. Selbst ein kürzlich nach Nordfriesland gezogener nd-Redakteur treibt sich ständig auf der Nordseeinsel rum. Die Bezeichnung »Insel der Reichen und Schönen« ist für Sylt demnach nur bedingt zutreffend.

Jetzt droht Westerland, Kampen und Wenningstedt die Apokalypse, zumindest wenn man dem Glauben schenkt, was man nach drei Minuten Googeln im World Wide Web liest. Schuld an dem biblischen Inseluntergang ist die Bundesregierung, denn die ist auf die Idee gekommen, wegen der zurzeit astronomischen Spritpreise Menschen das Reisen im öffentlichen Personennahverkehr für 9 Euro im Monat zu ermöglichen. Von Dortmund, Berlin oder Frankfurt zum Spottpreis quer durch die Republik sozusagen.

Das lassen sich »aktionsorientiere Jugendliche«, radikale Linke und linksgrün versiffte Spontis, oder wie man diese Menschen auch nennen mag, natürlich nicht zweimal sagen. Unter den Hashtags #Syltokalypse und #ChaosTageSylt sammeln sie im Kurznachrichtendienst Twitter oder auf der Plattform Reddit ihre Truppen, um vom 1. Juni bis einschließlich 31. August – so lange soll nämlich das 9‑Euro-Ticket gelten – die Nordseeinsel unsicher zu machen.

Begleitet wird diese Androhung von reichlich lustigen Memes. Auf einem Bild ist die Familie Flodder aus der niederländischen Trash-Filmreihe »Eine Familie zum Knutschen« abgebildet, die seit den 80ern als Synonym für eine verkommene und durchtriebene Sippe herhalten muss. Dazu der Text: »Ich und meine Crew, kurz bevor wir mit dem 9‑Euro-Ticket nach #Sylt losziehen …« Ein anderer Post zeigt eine Luftaufnahme von einer Loveparade, auf der zu Spitzenzeiten bis zu 1,5 Millionen Raver durch die bundesdeutsche Hauptstadt zogen. »Ein kleiner Teil des Berliner #Pöbel auf dem Weg zum Hauptbahnhof und von dort aus mit #NeunEuroTicket weiter zur #Syltokalypse«, heißt es darin. Und wieder ein anderer Twitter-User postet ein Bild eines völlig überfüllten Zuges, vermutlich in Pakistan oder Indien aufgenommen, und schreibt dazu: »Der Regionalzug beim Communitytreffen«. Auch ein Konzertplakat mit linken Rock- und Punk-Bands kursiert im Netz – liebevoll mit »Chaostage – 1.6.22–31.8.22 Sylt« beschrieben.

Wie man es von einem kühlen Norddeutschen erwartet, bleibt Sylts Bürgermeister gelassen. »Wir sind aber auf keinen Fall in Panik. Wir richten uns darauf ein und schauen es uns dann an«, sagte Nikolas Häckel (parteilos) der »Hamburger Morgenpost«. »Ich glaube außerdem nicht, dass wirklich alle kommen, die das gerade im Internet ankündigen.« Hoffen wir, dass Häckel sich irrt.

Aktuell ist Sylt aber wegen einer anderen Angelegenheit in den Schlagzeilen der großen Medienhäuser. Verantwortlich dafür ist Verteidigungministerin Christine Lambrecht (SPD) – die aktuell mächtig viel um die Ohren hat. Schließlich droht »der Russe« erneut über die Oder zu kommen. Was war passiert?

Lambrecht hatte im April ihren erwachsenen Sohn in einem Regierungshubschrauber zu einem Truppenbesuch in Norddeutschland mitgenommen. Am nächsten Tag ging es mit Auto und Personenschützern nach Sylt. Dass alles sauber gelaufen ist, daran besteht nach Ministeriumsangaben kein Zweifel. Dass der Sohn offenbar nur einen Bruchteil dessen für die Reise an der Seite von Mama bezahlt hat, was ihn ein Privatflug von Berlin nach Sylt gekostet hätte – geschenkt. Der eigentliche Skandal ist, dass die Richtlinien anscheinend so formuliert sind, dass Lambrechts Sprössling nicht erst auf die Einführung des 9‑Euro-Tickets warten musste, sondern sich einfach in einen Bundeswehr-Helikopter setzen konnte, ohne dass dieses Verhalten irgendeine strafrechtliche Relevanz hat. Deutschland, du bist eine Bananenrepublik.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal