Zinswende mit negativen Nebeneffekten

Auch Deutschland könnte die Auswirkungen höherer Zinsen zu spüren bekommen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei der Geldpolitik, heißt es, geht es gar nicht mal so sehr um die konkreten Maßnahmen der Notenbanken, sondern wie sie kommuniziert werden. Ein Paradebeispiel für eine solche Kommunikation ist die Rede, die der jetzige italienische Ministerpräsident Mario Draghi seinerzeit als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) im Sommer 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise in London vor Investoren hielt: »Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein«, versicherte Draghi damals in seiner Rede.

Diese zwei Sätze genügten, dass sich die Finanzmärkte beruhigten. Ihre Reaktion wird mittlerweile als Draghi-Effekt bezeichnet. Da ist es fast nebensächlich, dass das damals implizit von Draghi angekündigte Anleihenkaufprogramm OMT niemals aktiviert wurde.

Über die Eurokrise sprach auch Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde vergangene Woche bei einer Konferenz der slowenischen Zentralbank. Doch während vor zehn Jahren Staatsschulden, Rezession und Massenarbeitslosigkeit die Probleme waren, ist es heute die horrende Inflation in der Währungsunion. Die EU-Kommission schätzt in ihrer Frühjahrsprognose, dass die Preise in der Eurozone dieses Jahr um über sechs Prozent steigen werden.

Deshalb wird erwartet, dass die EZB wieder handelt, doch diesmal nicht Anleihen kauft und Zinsen senkt, sondern die Zinsen anhebt. Seit über zehn Jahren hat die EZB das nicht mehr getan. Derzeit liegt der Leitzins, mit dem sich die Banken bei der Zentralbank Geld leihen können, bei null Prozent.

Einige Mitglieder des EZB-Rats hatten zuletzt schon angedeutet, dass sie im Juli eine Erhöhung der Zinsen beschließen könnten. Nur EZB-Chefin Lagarde schwieg – bis zu ihrer Rede in Slowenien. »Einige Zeit« nach dem voraussichtlichen Ende der EZB-Anleihekäufe zu Beginn des dritten Quartals werde die Zentralbank den Leitzins erhöhen, sagte sie da und sprach diesbezüglich von »wenigen Wochen«.

Was zunächst relativ unkonkret klingt, wird von Experten als Bestätigung interpretiert, dass die Zinswende im Sommer kommt. »Das ist schon der Wink mit dem richtig dicken Zaunpfahl. Deutlicher kann man einen solchen Hinweis nicht machen. Bei dem EZB-Treffen am 21. Juli werden wir die erste Zinserhöhung bekommen«, kommentierte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bank, Lagardes Worte gegenüber der Deutschen Welle.

Eine Zinswende könnte vor allem den Euro gegenüber dem Dollar stärken. Derzeit befindet sich die US-Währung im Höhen- und die europäische im Sinkflug. Das macht viele Waren, die importiert werden müssen, in der Eurozone teurer und befeuert so die Inflation. Man spricht deswegen auch von importierter Inflation. Höhere Zinsen könnten diesbezüglich Abhilfe schaffen.

Doch kann die Zinswende auch negative Nebeneffekte haben. Es wird bereits davor gewarnt, dass Kredite fürs Eigenheim wieder steigen. Der Traum von den eigenen vier Wänden rückt dafür für viele in noch weitere Ferne. Es gibt deswegen Stimmen, dass es bald zu Ende sein könnte mit der Immobilienblase. Doch nicht nur Häuslebauer könnten über die Zinswende schimpfen. Auch Unternehmen, die sich über festverzinsliche Anleihen finanzieren, spüren die Zinswende schon. Ihre Gläubiger verlangen wieder mehr Rendite. Und das in einer relativ unsicheren Zeit, in der keiner so genau weiß, wo es lang geht. Das Wort der Stagflation, also dass es zu einer staginierenden Wirtschaftsleistung mit gleichzeitig hoher Inflation kommen könnte, geistert schon durch die Wirtschaftsressorts.

Gleichzeitig machen steigende Zinsen es auch den Regierungen kostspieliger, sich zu verschulden. So steigen die Renditen auf Staatsanleihen wieder an. »Die EZB steht also vor der unbequemen Wahl zwischen zwei Übeln. Denn unabhängig davon, ob sie ihrem klaren Mandat folgt oder sich mit der Inflationsbekämpfung weiter Zeit lässt, stets dürften die hochverschuldeten Staaten Südeuropas stärker unter Druck geraten als der starke Norden«, schreibt der ehemalige »Wirtschaftsweise« Bert Rürup in einem Gastbeitrag im »Handelsblatt«. Es sei daher nicht ausgeschlossen, »dass der Euro vor seiner nächsten großen Bewährungsprobe steht«.

Insbesondere Italien wird diesbezüglich immer wieder als Problemfall genannt. Die Schulden des Landes betrugen Ende vergangenen Jahres rund 150 Prozent der Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig steigen die Renditen, die Investoren für italienische Anleihen verlangen, seit letzten Sommer wieder an. Im April wurden für italienische Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren im Schnitt rund 2,5 Prozent Zinsen verlangt.

Doch nicht nur für die Regierung von Ex-EZB-Chef Draghi könnte die Zinswende ein Problem werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird auch neu kalkulieren müssen. Er plant für dieses Jahr mit der Aufnahme von insgesamt 138,9 Milliarden Euro an neuen Schulden. Hinzu kommen die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die in einem Sondervermögen geparkt werden sollen.

Dabei ist auch für die Bundesregierung die Zeit vorbei, in der sie umsonst Schulden machen konnte. Da Deutschland für Investoren als sicherer Hafen gilt, verlangten sie für deutsche Staatsanleihen lange keine Zinsen, teilweise zahlten sie unterm Strich sogar welche. Doch mittlerweile liegt die Rendite für zehnjährige deutsche Staatsanleihen bei rund einem Prozent. Das ist zwar weitaus weniger als die Rendite für italienische Anleihen, aber auch nicht nichts.

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