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Aufgespielt zum Radattentango

Eine Ausstellung in Rudolstadt zeigt neue Werke von Horst Peter Meyer

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 4 Min.
Neue Farbpalette: Horst Peter Meyers »Tanz um das goldene Kalb« (2021)
Neue Farbpalette: Horst Peter Meyers »Tanz um das goldene Kalb« (2021)

Dem »Einfall der Fledermaus«, einer Kaltnadelradierung des Weimarer Künstlers Horst Peter Meyer aus dem Jahr 2020, lag des Menschen Suche nach Fleisch aus Hunger und aus Fressneugier zugrunde.

Das Virus hat die Fledermäuse wie ein Flaschengeist verlassen und sich über die von Lastern befallenen Menschen hergemacht. Noch immer wütet diese Pandemie. Profitgier, Unglaube und Torheit, Zorn und Zwietracht, Stolz und Eitelkeit boten Corona eine Wirkungsstätte. Zusammengerottete Querdenker glaubten im Wahn, den dritten Spruch Salomos – »Die Weisheit ruft aus der Gasse, auf den freien Plätzen erhebt sie die Stimme« – auf sich beziehen zu können. Doch vernahmen sie nicht, welche Worte die Weisheit bei Salomo am Eingang der Stadttore sprach: »Wie lange, ihr Einfältigen, liebt ihr die Einfalt?« Ihre mit Gewalt verbundenen Protestmärsche, die Toleranz einzig für ihre eigene Meinung forderten, nannten sie »Spaziergänge«. Sie waren ein Schlag ins Gesicht aller, die sich in der Pandemie und gegen deren Ausbreitung engagierten.

Künstlerisch vorn, bot Meyer, auch HPM genannt, den Querdenkern seinen »Konter Kopf«, wie ein Gemälde von 2016 heißt. Auch dieses ist bei einer aktuellen Sonderausstellung zum Werk des Künstlers im Thüringer Landesmuseum Heidecksburg in Rudolstadt zu sehen.

Unter jenen Querdenkern befand sich bekanntlich auch der letzte US-Präsident Donald Trump, auf den sich der »Neujahrsbrief zu 2022« von HPM bezieht: »gedanken quer was immer müpfig solches ein geengte denken heißen mag (…) [getwittert] die verschwörung ein gedreht verklemmte fürz ein fliegen schiß der menge vor gesagt zu mindest für den markt platz tauglich wiegt die vernunft in schlaf zeugt ungeheuer und schließt solcher dummheit nach zucht in ihre stoß gebete ein reichs bürger wehr im wasser glas des volkes sturm mit alu hut gesargt getan (…).«

HPMs Bilder wie seine Texte sind aphoristische Kunststücke, in denen er geist- und genussvoll Bedeutungen und Wortassoziationen umstülpt. Ironisch verschmilzt er historische und aktuelle Ideologieversatzstücke. Er findet zu einem Ausdruck gegensätzliche Bei- und Nebenworte oder auch Janus- und Vogelgesichter.

HPM ist einer, der etwas ausstrahlt. Zu DDR-Zeiten zog er im legendären »Meyer-Kreis« Talente an und förderte sie. Als Individualist bereichert er, der seine Bürgerrechtlervergangenheit nicht kultiviert, die Thüringer Kunstszene.

Nachdem er vor einigen Jahren mit radikaler Farbbeschränkung in den schönsten drei Farben malte – so rot wie Blut, so weiß wie Schnee und so schwarz wie Ebenholz – wurde seine leuchtende Farbwelt nun vielfältiger.

HPM ist ein politischer Mensch, der mit Kraft und Sensitivität Kunst schafft. Zuerst interessiert ihn die Bildmäßigkeit in komplexer Form. Ovale, Rechtecke und Kreuze werden durch Verschiebungen und Entgegensetzungen zu hieroglyphischen Zeichen. Sein Werk enthält eigenwillige hybride Bildungen aus organischen Wesen von anthropomorpher Gestalt, technoiden Objekten und Landschaftsdraufsichten.

In den figuralen und wieder figurativen Zeichen scheinen vielfältigste gegenständliche Formen auf, die sich je nach der Bereitwilligkeit des Betrachters zu fantasievoller Assoziation weit auslegbar zu Haus, Figur, Phallus, Figur und Kopf zusammenschließen und sich in Blicken und strotzender Busenhaftigkeit differenzieren. In der Gruppe »Die Selbst Gerechten« stößt ein dolchender Blick erbarmungslos in das scheinheilige Gesicht derjenigen, die hingebungsvoll ihre Selbstgerechtigkeit vorführt.

Für die Ausstellung mit dem Namen »Radattentango. Blut Rosen Rot Aus Über Nächster Nähe Schwarz Gespiegelt. Ein Schloss Projekt In Bild Und Wider Worten Zur Fort Gesetzten Mummen Zeit« fand Sabrina Lüderitz, Direktorin des Landesmuseums, eine passende Deutung: Es gehe um den »Tanz um das goldene Kalb« (Titel eines Gemäldes von HPM), den Kampf um Knete, Asche, Moneten oder eben um Radatten. Umtriebig ist »ein aus gelassen volk beim reste fick« (HPM) dem Tango mit der vom Künstler verlachten »Lady Kacka« (Lady Gaga) verfallen.

Für die Ausstellung »Merseburger Sprüche & Sprünge – Hommage auf den Realismus« zum 100. Geburtstag des Malers Willi Sitte fand HPM im letzten Jahr folgende Worte: »von tiefem erleben gespeist, vom leiden an der zeit geprägt, von den narben gezeichnet, die der kampf gegen die dummheit schlägt, beharrlich ringend in der einsamkeit des gehäuses mit dem anspruch auf ein wirken hier und jetzt – das nenne ich realistisch.« Morgen wird der Künstler 75 Jahre alt.

Horst Peter Meyer: »Radattentango. Blut Rosen Rot Aus Über Nächster Nähe Schwarz Gespiegelt. Ein Schloss Projekt In Bild Und Wider Worten Zur Fort Gesetzten Mummen Zeit«, bis 18. September, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt

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