Stress für Binnenseen

Nährstoff- und Pestizideinträge gefährden in Kombination mit der globalen Erderwärmung das Gleichgewicht der Binnenseen

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 5 Min.
Blaualgenblüte auf dem Eriesee an der Grenze zwischen den USA und Kanada
Blaualgenblüte auf dem Eriesee an der Grenze zwischen den USA und Kanada

Jetzt, wo der Sommer kommt und es wieder wärmer wird, lockt ein erfrischendes Bad im See. Doch die ersten Badegewässer sind bereits gesperrt – wegen hoher Konzentrationen giftiger Blaualgen. Der Ebertshausener Weiher im Landkreis Dachau etwa oder der Böhringer See in Radolfzell. Die »Schuldigen« sind eigentlich keine Algen, sondern Cyanobakterien, die als Bakterien keinen Zellkern besitzen, aber Photosynthese betreiben können. In größeren Mengen können sie beim Menschen bei Hautkontakt allergische Reaktionen oder bei Verschlucken Erbrechen oder Durchfall auslösen. Am Eriesee, einem der fünf großen Seen an der US-amerikanisch-kanadischen Grenze, musste 2014 wegen ihnen sogar zeitweise die Trinkwasserversorgung der Großstadt Toledo gekappt werden.

Verantwortlich dafür sind Toxine, die einige Stämme der Cyanobakterien bilden, um sich ihrerseits vor dem im Seewasser vorkommenden Wasserstoffperoxid zu schützen. Im Fall der weitverbreiteten, auch im Eriesee vorkommenden Blaualge Microcystis ist es das Lebergift Microcystin.

Lange führte man das starke Blaualgenwachstum vor allem auf die hohen Phosphateinträge aus der Landwirtschaft zurück. So beschlossen die USA und Kanada in ihrem Managementplan zur »Sanierung« des Sees, den Eintrag dieses Nährstoffs um 40 Prozent zu senken. Eine kürzlich im Wissenschaftsjournal »Science« erschienene Studie zeigt nun, dass dies nicht reicht. Wenn nicht gleichzeitig auch der Stickstoffeintrag deutlich verringert werde, nähme zwar die Konzentration an Blaualgen ab, die verbleibenden produzierten jedoch umso mehr Gift, warnen darin der Leiter des Fachgebiets Wasserreinhaltung am Institut für Technischen Umweltschutz der TU Berlin, Ferdi Hellweger, und sein Team. Denn in jedem Microcystinmolekül seien rund zehn Stickstoffatome verbaut. »Unsere Studie unterstützt, was wir als dual-nutrient-management-strategy beschreiben: sowohl die Reduktion von Phosphor als auch die von Stickstoff«, erklärt Hellweger.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler*innen basieren auf der Auswertung von 103 Studien mit über 700 Experimenten. Hinzu kommen eigene Laborversuche mit 67 Stämmen und ein selbstentwickeltes Modell zu Wachstum und Giftproduktion von Microcystis. Das Besondere der Arbeit liegt aber auch darin, dass Hellweger und Kolleg*innen in ihrem Modell erstmals eine »agentenbasierte« Simulation für diese Cyanobakterien verwenden: Jede Blaualge wurde als Individuum eingegeben, das je nach Lebensumständen und Cyanobakterienstamm mehr oder weniger Toxin bildet.

Eine positive Nachricht liefert die Studie jedoch zumindest: »Das relativ konsistente Muster, das wir gesehen haben, ist, dass das Temperaturoptimum für die Microcystinproduktion niedriger ist als das für das Wachstum der Blaualgen«, erzählt Hellweger. »Wir erwarten, dass die Biomasse der Blaualgen mit einem wärmeren Klima steigt, gleichzeitig erwarten wir aber auch, dass damit die Giftkonzentration sinkt.« Das ändere aber nichts an ihrer Handlungsauffforderung.

Rückgang der Unterwasserpflanzen

Ähnlich komplex interagieren die unterschiedlichen Stressoren, wenn man das Wachstum von Unterwasserpflanzen und Grünalgen betrachtet. In einer im März diesen Jahres in der Fachzeitschrift »Water Research« veröffentlichten Studie haben deutsche und französische Wissenschaftler*innen unter Leitung von Elisabeth Gross von der Université de Lorraine untersucht, wie sich eine erhöhte Nitratzufuhr, Pestizide – aufgeschlüsselt nach Herbiziden, Insektiziden, Fungiziden und Kupfer – sowie der Klimawandel im Zusammenspiel auf kleine, flache Seen auswirken.

In diesem weltweit verbreitetsten Gewässertyp dominieren natürlicherweise Unterwasserpflanzen und sorgen dafür, dass das Seewasser klar ist. Die Arbeit zeigt jedoch, dass landwirtschaftliche Einflüsse in Kombination mit der globalen Erderwärmung dieses Gleichgewicht stören können. Das Phytoplankton profitiert von einem erhöhten Nährstoff- und Pestizideintrag, speziell, wenn beide zusammen auftreten – auf Kosten der Unterwasserpflanzen, die ihrerseits stark zurückgehen. Bei steigenden Temperaturen verstärkt sich dieser Effekt noch.

Interessant sind die dabei entstehenden Synergien: »So kann der Gesamteffekt zweier negativer Effekte größer sein als die Summe der beiden Einzeleffekte, weil ja in dem Gesamtsystem auch noch die unterschiedlichen Organismengruppen miteinander interagieren«, erklärt Sabine Hilt, Forschungsgruppenleiterin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin und Mitautorin der Studie. Phytoplankton und Unterwasserpflanzen konkurrieren um Nährstoffe und Licht. Begünstigen erhöhte Nährstoffeinträge ersteres ohnehin schon, können Pestizide die Ausbreitung des Phytoplanktons zusätzlich fördern: Indem sie das Zooplankton reduzieren, hat es weniger Fressfeinde.

Die Gewässerbelastung durch Stickstoff und Phosphor in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. »Insbesondere bei den Klärwerken ist einiges an Technologie investiert worden, um die Nährstoffe zurückzuhalten«, so Hilt. Dennoch seien die Einträge immer noch zu hoch.

Beschleunigte Verlandung

Damit beschleunigen sie auch den natürlichen Prozess der Verlandung vieler Gewässer. Die immer häufiger auftretenden Dürreperioden senken zudem die Wasserstände kleiner, vom Grundwasser gespeister Seen. Viele Unterwasserpflanzen stehen heute bereits auf der Roten Liste. Ebenfalls besonders gefährdet sind viele Amphibienarten. Trocknen ihre Laichgewässer aus, können sie ihren Lebenszyklus nicht mehr abschließen. Je größer die Abstände zwischen den Gewässern, die noch zur Laichablage in Frage kommen, desto isolierter sind zudem die Populationen und desto größer ist die Gefahr, dass diese lokal aussterben.

Auch kälteliebende Fische leiden unter den steigenden Wassertemperaturen, gerade in flacheren Gewässern, wo sie nicht in größere Tiefen ausweichen können. Je stärker die Temperaturunterschiede im See und je weniger sich das Wasser dementsprechend mischt, desto weniger lebenswichtiger Sauerstoff gelangt zudem in die Wasserschichten am Seegrund. Das gefährdet zunehmend das Überleben dort lebender Organismen. Ein weiteres Problem stellen invasive Arten dar, wie die Quaggamuschel oder der Stichling im Bodensee. Indem die aus dem Schwarzmeer eingeschleppte Muschel Phytoplankton und der Stichling Zooplankton vertilgt, treten sie in Konkurrenz zu den Speisefischen, deren Erträge so trotz gleichbleibender Nährstoffeinträge immer weiter sinken.

So greift der Mensch in multipler Weise in die Ökosysteme der Seen ein und gefährdet damit ihre einzigartige Artenvielfalt. Tatsächlich bringen die Binnenseen, wie klein sie auch sein mögen, gleich ein ganzes Bündel weiterer positiver Effekte: Sie sorgen lokal für kühlere Temperaturen, regulieren den Kohlenstoffkreislauf, dienen als Puffer dem Hochwasserschutz, der Grundwasserneubildung und der Naherholung der Menschen. Auch deshalb ist es wichtig, sie zu erhalten und zu schützen.

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