Albtraum aus Bratwurst und Brennspiritus

Schwere Störung der Romantik: das sommerliche Grillen

Sommer – was kann es Schöneres geben? Kurze Hosen, Urlaub an der Ostsee, im Freibad auf dem Handtuch rumlümmeln und nach Feierabend eine kühle Cola in sich reinschütten. Ich find’s super. Wäre da nur nicht dieser Geruch von Gegrilltem in meiner Nase, den ich in den Sommermonaten praktisch nicht aus der Nase bekomme.

Pankow, nördlicher Stadtbezirk von Berlin, gegen 19 Uhr. Ein Spaziergang mit meiner Frau durch ein Wohngebiet in Richtung Schönholzer Heide. Ihr wisst schon, der Stadtpark, der unter anderem in »Bolle reiste jüngst zu Pfingsten« besungen wird. Es riecht nicht etwa nach frisch gesprengtem Rasen oder Blumen, die in ihrer ganzen Pracht bei herrlichem Wetter aufgehen. Auch nicht nach mediterraner Gemüsesuppe, die angenehm aus den Fenstern in mein Geruchsorgan kriecht. Nein, ein beharrlicher Duft von Bratwurst macht diesen Gang ehelicher Eintracht zu einem beinahe unvergesslichen Erlebnis. Die pure Romantik. Ein Stadtspaziergang in Paris ist nichts dagegen.

Ein paar Tage später, gleicher Ort, ungefähr gleiche Zeit. Dieses Mal ist Joggen angesagt. Für mich als Büromensch mit Hang zur Trägheit genau das Richtige – nicht nur, um überflüssige Pfunde purzeln zu lassen. Ich kämpfe also mit dem inneren Schweinehund gegen das Verlangen, mich an den nächsten Gartenzaun zu lehnen. Und dann das: Der Duft von gegrillten Nackensteaks liegt in der Luft, von in Speckmäntel eingewickelten Fleischstücken und von Nürnberger Rostbratwürstchen, die mich irgendwie an Uli Hoeneß denken lassen. Das ist dann doch des Guten zu viel. Hier bleibt mir nur die Flucht nach Hause, weg von den Rauschschwaden, die sich wie Morgentau über Teile des Bezirks gelegt haben, rein in die aufgeheizte Wohnung unterm Dach. Uff.

Wieder ein paar Tage später. Wochenende. Fahrradtour stadtauswärts in Richtung Berlin-Buch. Wir durchqueren mehrere Wohngebiete. Einzelheiten erspare ich mir, nur so viel: Selbst im Bett habe ich noch an den Geruch von Grillkohle und Brennspiritus denken müssen. Es war ein Albtraum.

Wer also einen Garten oder eine (Dach-)Terrasse sein Eigen nennt, der möge doch bitte hin und wieder im Sommer an seine Mitmenschen denken. Vor allem in den Bezirken der Großstädte, in denen wie in Berlin-Pankow eine Freifläche nach der anderen modernen Wohnhäusern weichen muss. Wenn nicht, schlage ich im Winter mit einer norddeutschen Spezialität zurück – denn dann ist Grünkohlzeit.

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