VVN-BdA: Verunsicherung nach juristischer Farce

Christian Klemm über einen geplatzten Prozess gegen einen Antifaschisten in Potsdam

Eine Flagge des VVN – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten am Cottbuser Altmarkt
Eine Flagge des VVN – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten am Cottbuser Altmarkt

Seit dem brutalen Angriff der islamistischen Hamas auf Israel vor mehr als zwei Jahren hat die Kriminalisierung der Palästinensersolidarität in Deutschland spürbar zugenommen. Kaum eine Demonstration gegen den Vergeltungskrieg der Regierung von Benjamin Netanjahu ohne eine vorläufige Verhaftung, kaum eine Parteinahme für die Palästinenser ohne Antisemitismusvorwurf und kaum eine Fernseh-Talkshow ohne das obligatorische Abwinken, wenn ein Teilnehmer von einem »Genozid« in Gaza spricht. Diese Anti-Palästina-Hysterie hat auch vor dem Antifaschisten Bernd Trete nicht haltgemacht. Der hat zwar mit der Hamas so viel zu tun wie Lothar Matthäus mit einer Partie Federball auf dem Schulhof – das aber ist in der verdrehten hiesigen Nahost-Debatte höchstens von untergeordneter Bedeutung.

Was war passiert? Trete hatte auf der Internetplattform X ein Foto mit einem roten Keil hochgeladen und auch an seinen Namen zwei rote Winkel gesetzt. Mit einem roten Dreieck markieren die Hamas und ihre Sympathisanten ihre Feinde, zum Beispiel an Haustüren oder -wänden. Es wurde aber so ähnlich auch von den Nazis in den Konzentrationslagern verwendet, um politische Häftlinge zu »kennzeichnen«. Seit Jahrzehnten benutzt die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) den roten Winkel vor blau-weißem Hintergrund als Symbol.

Nun ist das Amtsgericht Potsdam an einer Blamage hauchdünn vorbeigeschrammt: Der Verhandlungstermin für Trete ist aufgehoben, die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen ihn zurückgenommen. Ein Prozess wäre deshalb peinlich geworden, weil die VVN-BdA seit jeher ein wichtiger Akteur im deutschen Antifaschismus ist. Man zeigt auf Demonstrationen und Kundgebungen Flagge gegen das rechte Unwesen, mischt sich in aktuelle Debatten zum Beispiel zu einem AfD-Verbot ein oder klärt über Strukturen in der extremen Rechten auf. Außerdem sind ihre Mitglieder in der Grab- und Ehrenmalpflege äußerst aktiv oder säubern Stolpersteine, die an in der Nazizeit Ermordete erinnern.

Doch die VVN-BdA ist mehr als das. Sie versteht sich selbst als »aktiver Teil der Friedensbewegung, die sich gegen die Militarisierung der Außenpolitik und deutsche Kriegseinsätze« zur Wehr setzt. Eine »aktive Solidarität mit Geflüchteten, mit Migrantinnen und Migranten« gehört ebenso zum Profil der VVN-BdA wie das Engagement für »soziale Rechte« sowie den »engen Austausch mit Gewerkschaften, gesellschaftlichen, ökologischen und anderen sozialen Bewegungen«. Das macht die Antifaschisten für bürgerliche Institutionen und Politiker verdächtig im Sinne einer Verfassungsfeindlichkeit. Und genau da kommt ihnen die konstruierte Ähnlichkeit von rotem Keil (VVN-BdA) und Dreieck (Hamas) als Anlass gelegen, eine unliebsame Stimme im gesellschaftlichen Diskurs auszuschalten. Wenn nötig, auch per Gericht.

Gerade jetzt, da die AfD das politische Klima mit ihren rassistischen Vorurteilen vergiftet, kann es eigentlich nicht genug antifaschistisches Engagement geben. Auch und gerade von der VVN-BdA. Dass Bernd Trete nun weiter wie bisher wirken kann, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nur bleibt bei ihm nach dieser juristischen Farce vermutlich ein mulmiges Gefühl zurück. Und genau damit hat die Staatsmacht zumindest etwas in ihrem Sinne erreicht: das Schüren von Verunsicherung unter sich progressiv verstehenden Menschen. Das allein ist schlimm genug.

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