• Berlin
  • Feminismus-Ausstellung

Ein Ende von Herrschaft

Das Haus der Kulturen der Welt zeigt feministische Filme, die die Welt verändern wollen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.
Feminist Worldmaking: Zahlreiche Filme der Ausstellung "No Master Territories" arbeiten sich am Patriarchat ab oder verweisen auf die Utopie.
Feminist Worldmaking: Zahlreiche Filme der Ausstellung "No Master Territories" arbeiten sich am Patriarchat ab oder verweisen auf die Utopie.

Eine Frau posiert in Unterwäsche, die nächste fährt sich durch die perfekt gestylte 60er-Jahre-Frisur, eine weitere hält mit strahlendem Lächeln eine Zahnbürste in die Kamera. Im nächsten Bild sind nur lange Beine zu sehen, die Strümpfe oder Schuhe präsentieren. Doch immer wieder wird der Glamour unterbrochen: Eine Frau übergibt sich, putzt, gebiert, dann die Nahaufnahme eines versifften Spülbeckens. »Der Film ist aus dem Abwasch geboren«, sagt die schwedische Filmemacherin Gunvor Nelson über die 14-minütige Videomontage »Schmeerguntz« von 1965, einem von fast 100 experimentellen oder dokumentarischen Filmen, die zurzeit in der Ausstellung »No Master Territories. Feminist Worldmaking and the Moving Image« (»Keine Meister-Territorien. Feministische Gestaltung der Welt und deren Darstellung im Wandel«) im Haus der Kulturen der Welt in Mitte zu sehen sind.

»Beim Anblick des ganzen Geschlabbers in der Spüle wurde mir der Kontrast klar zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir in der Werbung davon zu sehen bekommen, wie wir sein sollten«, wird Gunvor Nelson im Begleitheft zur Ausstellung weiter zitiert. Viele der von Erika Balsom und Hila Peleg kuratierten Filme drehen sich um diese Kontraste, inneren Konflikte und Schwierigkeiten, mit denen Frauen konfrontiert waren und noch immer sind. »Frauen sollen nett und süß sein«, flüstert eine Stimme in »Sisterhood: Hyping the Female Market« von 1993, während auch hier Werbung gezeigt wird, die die vermeintlich selbstbestimmte Frau repräsentiert. Ein Schwarz-Weiß-Film von Krystyna Gryczełowska erzählt den Alltag einer Polin 1967, die nachts in der Fabrik arbeitet und sich tagsüber um Kinder und Haushalt kümmert. Im selben Jahr, ebenfalls in Polen, entstanden die satirischen Videos von Helena Amiradżibi. In einer Hochzeitsszene wird die Braut gefragt, ob sie ihren Partner heiraten will. Auf ihr »Ja« hin legt der Priester ihr Handschellen an, der Partner bekommt den Schlüssel zugesteckt.

Die im schummrig beleuchteten Ausstellungsraum auf zahlreichen Leinwänden und Bildschirmen gezeigten Arbeiten decken eine Bandbreite von aktivistischen Videos, Essayfilmen, Dokumentationen und persönlichen Zeugnissen aus verschiedenen Ländern ab. Die meisten entstanden in den 1960er bis 1990er Jahren, in der Zeit der zweiten Frauenbewegung. Der Titel »No Master Territories« entstammt einem Essay der vietnamesischen Filmemacherin Trinh T. Minh-ha und spielt auf die utopische Vorstellung an, es gäbe »ein Ende von Herrschaft jeglicher Form«. Eine solche Welt ist »vielleicht eine Unmöglichkeit. Und doch hat diese Forderung eine produktive Kraft«, heißt es im Begleitheft. Demnach dient das Kamerabild den Künstler*innen als »Quelle der feministischen Vorstellungskraft« und als Mittel zur Veränderung der Welt.

Nicht nur, weil sich Frauen – gemeint sind laut der Einführung »alle, die sich so identifizieren, ungeachtet des Geschlechts, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde« – ihren Platz hinter der Kamera erkämpfen mussten. Exemplarisch dafür ist ein filmischer Leitfaden für die Verwendung einer Kamera von Filmstudentinnen 1971. »Die Erfahrung lehrt: Wenn (zum Beispiel in einem Grundkurs) die Studenten in der Mehrzahl sind, werden die Studentinnen niedergehalten«, heißt es zur Erklärung. Der Versuch von Veränderung zeigt sich auch darin, dass neben Geschlechterungerechtigkeiten, Gewalt und Unterdrückung auch Selbstermächtigung in Form von Sexualität und Körperlichkeit jenseits der Heteronormativität gezeigt wird.

»We Aim to Please« (»Wir wollen, dass Sie zufrieden sind), diesen Filmtitel schreibt eine Frau einer anderen auf den nackten Körper. In «Between» hält eine Frau sich einen Penis an den Unterleib, zwei Frauen kuscheln, eine masturbiert. «Ich denke, es ist wichtig, dass Frauen ein Gefühl für die Sprache der Sexualität bekommen und auch für die Sprache der Pornografie, die eine männliche Sprache ist», wird Filmemacherin Claudia Schillinger zitiert. Am simpelsten verstößt wohl Alice Anne Parker gegen eine normative Scham. In «Near the Big Chakra» zeigt sie nacheinander Nahaufnahmen von 38 Vulven, von Menschen unterschiedlichen Alters, mal mehr, mal weniger behaart, mal ist noch ein Tamponfaden zu sehen.

Wer sich sämtliche der wenige Minuten bis an die zwei Stunden dauernden Filme komplett ansehen will, muss auf jeden Fall viel Zeit mitbringen. Deshalb gelten die Eintrittskarten auch für zwei Tage. Neben der Ausstellung gibt es ein täglich wechselndes, sich wöchentlich wiederholendes Kinoprogramm.

«No Master Territories» ist bis zum 28. August im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

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