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Bitte aus unterschiedlichen Gläsern!

Das Weintrinken entwickelt sich immer mehr zur Lifestyle-Freizeitbeschäftigung, wahlweise zum Teil der Etikette luxusverliebter reicher Idioten

Ich unterscheide Wein grundlegend in zwei Kategorien: schmeckt und schmeckt nicht.
Ich unterscheide Wein grundlegend in zwei Kategorien: schmeckt und schmeckt nicht.

Der Weinbau ist ein schönes, altes bäurisches Handwerk. Ich erinnere daran, weil das Weintrinken – schlimmer noch: das Lagern von Wein mit Sammlerattitüde – sich immer mehr zur Lifestyle-Freizeitbeschäftigung entwickelt, wahlweise zum Teil der Etikette luxusverliebter reicher Idioten. Eine Flasche Wein ist ein wertvolles Gut – wer aber Unsummen dafür ausgibt, hat vermutlich einen Knall.

Und wer in Wein »investiert«, der redet bedauerlicherweise auch gern darüber. Rebsorte und Anbaugebiet sind dabei nur für Anfänger. Wahrscheinlich wird man beim Schlürfen noch von irgendjemandem behelligt, der auf dem Weingut selbst mal den pH-Wert nachgemessen hat. Dann geht es zum Streitthema Sulfite. Und wenn’s ganz schlimm kommt, wird man noch mit Ausführungen über Naturweine gequält, an deren Geschmack man sich erst gewöhnen müsse, bis man ihn schätzen könne. Ich aber habe gelernt, dass Gewöhnung bei Alkohol keine schöne Angelegenheit ist. Ich unterscheide Wein grundlegend in zwei Kategorien: schmeckt und schmeckt nicht. Mögen es andere Menschen mit reich gefüllten Bankkonten und in Ermangelung spannenderer Beschäftigungsfelder anders halten.

Dieselben Menschen, die das Genussmittel Wein aber zum anstrengenden Untersuchungsgegenstand degradiert haben, sind die Ersten, die, sobald der Sommer naht, nach der Weinschorle rufen. Eine Unart. Eben noch, bei niedrigeren Temperaturen, wird man mit Ausführungen genervt, wie man das Glas am besten halten soll, damit sich der Geschmack voll entfalten kann. Und bei ein paar Grad mehr zählt das alles nicht mehr, und dieselben Menschen kippen Mineralwasser auf ihren Wein. Muss das sein?

Es ist wirklich nicht so, dass ich etwas gegen Mineralwasser hätte. Ich esse beispielsweise gern Risotto. Danach bestelle ich mitunter ein Tiramisu. Ich würde trotzdem nicht auf die Idee kommen, das Tiramisu auf den Teller mit dem Risotto zu schaufeln, einmal umzurühren und dann so zu tun, als hätte ich gerade ein ganz besonders ausgezeichnetes Essen vor mir stehen. Sollen die Menschen Wein trinken, sollen sie Mineralwasser trinken. Von mir aus auch zur selben Zeit – aber bitte aus unterschiedlichen Gläsern. Wessen Zeitkonto das nicht zulässt, der hat etwas falsch gemacht.

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