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Mit Eigenanbau gegen den Hunger

In Kenia zahlt sich biologische Landwirtschaft bei der Ernährungssicherheit aus

  • Bettina Rühl, Nairobi
  • Lesedauer: 8 Min.
Lucy Muigai wagte die Umstellung auf biologische Landwirtschaft: Die Erträge auf ihren Feldern stiegen.
Lucy Muigai wagte die Umstellung auf biologische Landwirtschaft: Die Erträge auf ihren Feldern stiegen.

Adung Longolan Ikoel schaut auf das Ziegenfell zu ihren Füßen. Sie hat es auf dem Boden aufgespannt, damit es in der Sonne trocknet. »Das war meine letzte Ziege«, sagt die Viehhalterin, die in Turkana lebt, einer Region im Nordwesten Kenias. Ihre einst 14-köpfige Herde hat die extreme Trockenheit der vergangenen Monate nicht überlebt. Kenia und das gesamte Horn von Afrika leiden unter der schwersten Dürre seit vier Jahrzehnten. Von ihren Ziegen sind Ikoel nur die Häute geblieben, die sie jetzt aus ihrem Zelt holt, um sie in einem Haufen auf den Boden zu werfen. Ganz so, als wollte sie belegen, wie verheerend der Verlust der vergangenen Monate für sie war. Zwei lebende Tiere hat sie allerdings doch noch, zwei Zicklein, die sie jetzt auf den Arm nimmt. Ikoel zeigt auf eine der Häute: Das sei die Mutter des schwarzen Zickleins gewesen. Dann zeigt sie auf die frisch aufgespannte Haut: und das die Mutter des anderen. Die beiden kleinen Waisen werde sie ohne die Muttermilch wohl auch nicht durchkriegen, meint Ikoel. Was aus ihr und ihren vier Kindern nun werden soll, weiß sie nicht.

Halbnomadische Viehhalter wie sie und ihre Familie sind zum Überleben auf ihre Tiere angewiesen: Sie trinken die Milch, essen das Fleisch oder verkaufen ein Tier, wenn sie Geld brauchen. Wer seine Herde verloren hat, folgt bald selbst. Es sei denn, er oder sie bekommt kurzfristig Hilfe. Schon 40 Prozent des Viehs hätten die Dürre nicht überlebt, schätzt Benedict Mailu, Projektleiter der Welthungerhilfe in Turkana. Mailu glaubt, dass noch mehr Tiere sterben werden. Die Welthungerhilfe hat unter anderem angefangen, Kraftfutter für die schwächsten Tiere zu verteilen. Außerdem unterstützt sie die Regierung logistisch dabei, Zusatznahrung für schwer unterernährte Kinder, schwangere und stillende Mütter zu verteilen.

Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms haben aufgrund der Dürre bis zu 21,1 Millionen Menschen in Kenia, Äthiopien und Somalia nicht genug zu essen – sie hungern. Falls auch die nächste Regenzeit ausfällt, die üblicherweise von Oktober bis Dezember dauert, könnte die Zahl auf bis zu 26 Millionen steigen.

Die Gründe für die katastrophale Lage sind vielschichtig. Wegen der Klimakrise werden extreme Wetterereignisse häufiger: schwere Dürren, Starkregen und Überschwemmungen. Für die vom Hunger geschwächten Tiere sind die kalten Regenfluten nach langer Trockenheit oft ebenfalls tödlich. Hinzu kommen die geringe Produktivität auf den bewirtschafteten Flächen, ein rasches Bevölkerungswachstum und bewaffnete Konflikte. Zudem haben sich die Menschen noch nicht von den schweren wirtschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre erholt: einer Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes sowie den Folgen der Corona-Pandemie.

Und dann auch noch der russische Einmarsch in der Ukraine. Vor dem Krieg produzierten die Ukraine und Russland zusammen zwei Drittel des weltweit exportierten Speiseöls und ein Drittel des weltweit exportierten Weizens. Mais, in vielen Ländern ebenfalls ein wichtiges Grundnahrungsmittel, stammte zu 15 Prozent aus der Ukraine und Russland. Nach neueren UN-Schätzungen importierten die Länder südlich der Sahara rund 44 Prozent ihres Weizens aus Russland und der Ukraine. Somalia sogar über 90 Prozent. Wegen des Kriegs ist der Export von Getreide und Speiseöl aus der Ukraine deutlich erschwert, die Preise sind aufgrund der Knappheit gestiegen, laut der Afrikanischen Entwicklungsbank auf dem Kontinent um 60 Prozent. Und das zu einer Zeit, in der im Osten und Westen des Kontinents wegen eigener Produktionsausfälle nach einer schlimmen Dürre besonders viele Importe nötig wären.

»Und das macht es natürlich für Menschen in den Ländern schwierig, die ohnehin einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, weil sie arm sind und sich dann entsprechend weniger leisten können, wenn die Preise nach oben gehen«, betont Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie sowie Agrarwissenschaftler und Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn.

Die Häufung von Wetterextremen ist nicht der einzige Grund dafür, dass derzeit gleich mehrere Regionen Afrikas unter einem massiven Mangel an Lebensmitteln leiden. Christian Borgemeister, geschäftsführender Direktor des ZEF an der Universität Bonn, weist auf das starke Bevölkerungswachstum hin. Zu Beginn der 1950er Jahre lebten rund 240 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Seitdem hat sich die Bevölkerungszahl auf heute rund 1,3 Milliarden Menschen verfünffacht. »Die Steigerung der Produktionsmengen hat damit nicht Schritt gehalten«, bedauert Borgemeister.

»Dabei gäbe es eine Reihe von Ländern, die deutlich mehr produzieren könnten«, ergänzt Qaim. »Die Landwirtschaft und die Förderung der Landwirtschaft sind über Jahrzehnte hinweg sträflich vernachlässigt worden.« Denn nach dem internationalen Entwicklungsmodell, das seit den 50er Jahren weltweit propagiert wurde, sei in Afrika auf die Industrialisierung gesetzt worden. »Die Landwirtschaft wurde nicht gefördert, sondern es wurde geschaut, wie man die Industrie vorantreiben kann.« Ein Fehler, wie sich heute herausstellt.

Hinzu kommt: Nicht alle Kulturpflanzen, die in Afrika angebaut werden, sind an das trockene (und noch trockener werdende) Klima und die kargen Böden angepasst. In den halbtrockenen Regionen würde Hirse besser gedeihen als Mais oder Weizen. Aber die afrikanischen Konsumentinnen und Konsumenten hätten sich mit der Verstädterung immer mehr von den hergebrachten Ernährungsgewohnheiten abgewandt, bedauert der kenianische Agrarökonom Timothy Njagi. »Ohne darüber nachzudenken, dass wir uns auf diese Weise von Importen abhängig machen.«

Inzwischen wollen allerdings immer mehr Menschen auf dem afrikanischen Kontinent wieder unabhängiger von Importen und den Märkten werden. Die 63-jährige Lucy Muigai beispielsweise isst schon seit vielen Jahren vor allem das, was sie selbst anbaut: Mais, Gemüse, Bananen, Koriander und andere Gewürze. Außerdem zieht sie Tee als »cash crop«, als Pflanze, mit deren Verkauf sie Geldeinkommen erzielen kann. Muigai lebt in Murang’a im zentralen Hochland von Kenia. Dass sie ihr Feld seit einigen Jahren biologisch bearbeitet, erklärt sie vor allem mit dem Entsetzen darüber, wie bedenkenlos ihre bäuerlichen Nachbarn Pestizide aller Art in rauen Mengen einsetzen. »Die vergiften sich doch alle selbst«, sagt sie. »Und außerdem ihre Kunden, die in den Städten leben und solche Produkte kaufen.« Gerade fegt Muigai sorgfältig den Dung zusammen, den ihre drei Milchziegen in ihrem geräumigen hölzernen Stall hinterlassen haben. »Den Dung mische ich mit anderen organischen Abfällen«, erklärt die kräftige Frau, »und mache Kompost.« Dann geht sie voraus zu ihrem Feld, das sie mit einer Hecke eingegrenzt und mit einem Tor samt Schloss gesichert hat. Die Maispflanzen stehen hoch und sind kräftig, ebenso ihre Gemüsepflanzen. »Nachdem ich auf biologische Landwirtschaft umgestellt habe, ist der Ertrag meiner Felder deutlich gestiegen«, sagt die überzeugte Bio-Bäuerin. Zwar habe das eine Weile gedauert, aber nach ein paar Jahren zahlte sich die Sorge um den Boden und seine Fruchtbarkeit vielfach aus.

Muigai nimmt an einem angewandten Forschungsprojekt teil, das von Noah Adamtey geleitet wird. Der Wissenschaftler ist Teil der Arbeitsgruppe Resiliente Anbausysteme am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in der Schweiz. Ihn beschäftigt, wie die Fruchtbarkeit ausgelaugter Böden wieder verbessert werden kann. Im Rahmen des Projektes »Farming Systems Comparison in the Tropics« (SysCom) forscht sein Team in Bolivien, Indien und Kenia. In dem ostafrikanischen Land arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem kenianischen Insektenforschungsinstitut Icipe und der Stiftung Biovision zusammen. Zu dem Projekt gehört auch eine Langzeitstudie, in der die Forschenden den Ertrag von biologisch und konventionell bestellten Maisfeldern miteinander vergleichen. »Erst in dieser Langzeitstudie wurde deutlich, dass die biologisch bestellten Felder auf Dauer ertragreicher sind«, berichtet Edward Karanja, der die Projekte in Kenia leitet. Allerdings habe es schon sechs Jahre gedauert, bis die biologisch bearbeiteten Böden überhaupt so ertragreich gewesen seien wie die konventionell bearbeiteten Flächen. Erst nach noch mehr Zeit seien die Böden nährstoffreicher.

Qaim und andere Experten sind davon überzeugt, dass selbst vor dem Hintergrund von Kriegen und Klimakatastrophen eine gerechte globale Ernährung möglich sei. »Das bedarf einer größeren Nachhaltigkeit im Konsum«, betont der Agrarökonom Qaim. Und das bedeute vor allem: weniger Verschwendung. Außerdem weniger Verwendung von Getreide als Futtermittel. »Also weg von dem hohen Fleischkonsum, den wir bisher ja vor allen Dingen in den reichen Ländern beobachten.« Zugleich müsste die Produktion dort, wo es günstige landwirtschaftliche Bedingungen gebe, gefördert werden, auf eine nachhaltige und umweltfreundliche Weise.

Wichtig für eine global gerechte Ernährung sei nicht zuletzt mehr Wissenstransfer, meint der kenianische Agrarökonom Njagi. Er schlägt mehr Kooperation zwischen afrikanischen und deutschen Universitäten vor. »Unsere Wissenschaftler könnten auf der Grundlage dessen, was Europa bereits entwickelt hat, lokale Lösungen finden, die an die hiesigen Verhältnisse angepasst sind und genauso gut funktionieren«, ist Njagi überzeugt. »Ohne dass wir einfach nur kopieren und übertragen, was anderswo angewendet wird.«

Lucy Muigai hat sich daran gemacht, etwas Unkraut zwischen ihren Spinatpflanzen zu jäten. »Die biologische Landwirtschaft macht mehr Arbeit als die konventionelle«, sagt sie mit leichtem Bedauern, »aber dafür sind die Erträge ja auch besser«. Die Klimakrise geht an ihr nicht vorüber, aber sie hat einen Weg gefunden, wie sie mit den Folgen klarkommen kann. Dieses Wissen gibt sie gerne weiter.

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