• Kultur
  • Kunst in der Postmoderne

Persilschein des Gebrochenen

In dem Buch »Jenseits der Avantgarden« diagnostiziert Eduard Beaucamp der Gegenwartskunst eine handfeste Krise und verheddert sich im Dickicht deutsch-deutscher Kunst- und Verdrängungsgeschichte

  • Jonathan Guggenberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Zerrissene Zeiten, gebrochene Künstler: »Der Jahrhundertschritt» von Wolfgang Mattheuer
Zerrissene Zeiten, gebrochene Künstler: »Der Jahrhundertschritt» von Wolfgang Mattheuer

Der Kunstkritiker Eduard Beaucamp, der – so erfahren wir in einem Interview mit ihm über seine Biografie – einst durch einen gemeinsamen Onkel an »FAZ«-Mitherausgeber Bruno Dechamps und damit an den Posten des Redakteurs im Feuilleton geraten war, versteht sich selbst als »Spielverderber«. Folgerichtig also, dass sich das erste Kapitel in seinem Buch »Jenseits der Avantgarden«, im Anschluss an ein ehrenrühriges Vorwort des Herausgebers und Gesprächspartners Michael Knoche, der Kritik des Kunstbetriebs der Gegenwart und dem glaubwürdigen Lamento über Verfehlungen und blinde Flecken der Moderne, den Avantgarden, ihren Träumen und Utopien widmet. Hier besticht Beaucamp als kenntnisreicher Kritiker durch zielgenaue Analysen einer stagnierenden Gegenwartskunst, die Kunstwerke den spekulativen Werten des Marktes unterwirft, deren Institutionen in fragwürdige Abhängigkeit zu Sammlern, Händlern und kuratorischen Trends geraten sind oder einzig von fachfremden Beamten und der lähmend wie geizigen öffentlichen Hand regiert werden.

Stille Übereinkünfte mit Kulturtheoretikern wie Mark Fisher oder Fredric Jameson geht Beaucamp ein, wenn er zum Rundumschlag gegen die »Nachmoderne« – gemeinhin als Postmoderne verschrien – ausholt und ihre künstlerischen Produkte als konformistische und impulslose Nachhut radikaler Vorfahren diskreditiert. Nicht ohne einen Hauch berechtigter Traurigkeit und aburteilender Wortgewalt schreibt er von der »Fertigteil-Ikonographie« und den »unreinen Legierungen« der »parteilosen Eklektizisten«, die abgenabelt von der aggressiv verdrängten Geschichte der Moderne durch eine zukunfts- und orientierungslose Nachwelt streifen. Was hier noch zählt? Laut Beaucamp einzig das persönliche Fortkommen und die anbiedernde Passgenauigkeit zu Markt-, Sammler- und Kuratorengeschmack.

Man mag diese Ansichten teilen oder nicht, neu sind sie nicht, und der Autor bemüht sich ebenso wenig um Beispiele zur Bebilderung, wie er die kritisierten Fehler großmeisterlicher Heldenverehrung selbst wiederholt. Dass eine kritischere und annähernd beobachtende Bestandsaufnahme der Moderne und der Gegenwartskunst mit all ihren Querverbindungen und strukturellen Unwägbarkeiten möglich ist, ohne sich dabei auf vorurteilende Distinktion, Teilnahmslosigkeit und die Geschichte großer Männer zu stützen, hat unlängst Wolfgang Ullrich gezeigt – auch wenn das gesellschaftskritische Nachfühlen hinter den Phänomenbereich teils ebenso zu kurz kommt wie bei Beaucamp.

Die beiden westdeutschen Kunstkritiker teilen sich im Blick gen Osten, genauer gesagt auf die Leipziger Schule um die von Beaucamp notorisch oft ins Feld geführten Künstler Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Gerhard Altenbourg und dem nachkommenden Neo Rauch, ein weiteres Interesse, wenngleich beide zu verschiedenen Schlüssen kommen: Wolfgang Ullrich ist nicht zuletzt durch die öffentlich mit Neo Rauch ausgefochtene Causa um das Rauch-Gemälde »Der Anbräuner«, das den Kritiker zeigt, immer mehr zum westdeutschen »Feindbild« und zum Container für aufgestaute Nachwendewut und Deklassierungserfahrung geworden. Er macht den Adepten der Leipziger Schule die Nähe zu Akteuren der Neuen Rechten und die Provinzialität ihrer hohlen Provokationsphrasen von Autonomie und Kunstfreiheit im Angesicht scheinbarer Zensur durch die als »woke« und identitätspolitisch verschrienen Bilderstürmer eines neuen Mainstreams in der Kunstwelt zum Vorwurf.

Beaucamp hingegen stilisiert durch alle Texte hinweg die Leipziger Schule als Gegenmodell zur westlich kommerzialisierten Moderne. Er möchte in ihnen gar »›gebrochene‹ Künstler« sehen, die den autonomen des Westens gegenübergestellt und in ihrer scheinbaren Opposition zu SED-Regime und westlicher Dekadenz als mögliche Heilsbringer der Gegenwart und Verdrängte der Geschichte aufgeladen werden.

Gleiches gilt auch für die von ihm verehrten Sammler, Mäzene, Museumsdirektoren und West-Künstler wie Joseph Beuys. Im trügerischen Schein der Gebrochenheit verschwinden ihre deutschen Biografien: Konflikt, Schuld und die Herkunft von Investitionskapital werden in ästhetische Werkkategorien überführt oder durch historische Großtaten der »Entdecker und Pioniere« für die Kunst kompensiert. Persönliche wie historische »Verstrickung« werden in bekannter Verdrängungsrhetorik wie der Rede von der »inneren Emigration« und dem »Schock der Kunstverfolgung« abgehandelt, das eigene familiäre und berufliche Herkunftsmilieu durch abstruse Ausflüchte schützend entlastet und im Fall des Wehrmachtoffiziers, Partisanenfolterers und Documenta-Gründers Werner Haftmann, in ein ominöses »selbst nicht ganz unschuldig geblieben« verhüllt.

Letztlich gibt Beaucamp mit seinem Buch unfreiwillig Einblick in eine Vorstellungswelt, die die globale Kunstlandschaft durch wiedergewonnene deutsche »Weltgeltung« zu lange geprägt hat und an manchen Stellen, unter neuen Vorzeichen – man denke an das blinde Wohlwollen und die Renitenz der diesjährigen Documenta-Leitung – noch immer tut.

Zu dieser Vorstellungswelt, einer Welt, die nie anstößig sein möchte, dafür umso ignoranter ist, gehört auch eine letzte Beobachtung: Das Gemälde von Johannes Grützke, das das Buchcover ziert und dessen zentrale Figur, angelehnt an den Künstler selbst, einer unheiligen Verschmelzung von Julian Reichelt und Michel Foucault ähnelt, trägt den Titel »Verbindet das Äußere mit dem Inneren«. Diesen Imperativ nimmt sich Beaucamp zu Herzen, wenn er von künstlerischer »Weltumarmung« oder »Versöhnung« mit einer feindseligen Welt im Werk seiner persönlichen Helden schwärmt. Lässt man sich auf die von ihm gezeichnete Welt ein, so muss man nach gut 280 Seiten feststellen, dass es in dieser Welt keine Frauen gibt. Nicht eine einzige Künstlerin taucht hier auf. Ganz, als ob Frauen, die Kunst machen, eine Erfindung eben jener Gegenwart sind, die nur noch »Gender-Produkte« hervorbringt oder im kolonialen Exotismus eines Picasso kulturelle Aneignung und nicht die »denkbar größte Anerkennung und Nobilitierung« sehen möchte.

Wer das Bedürfnis verspürt, sich dieser Vorstellungswelt fragend anzunähern, einen kenntnisreichen, aber zahnlosen Überblick über den Konflikt von Moderne und Postmoderne zu erhalten und leere Redundanzen und die widersprüchliche Haltung eines selbsternannten »Spielverderbers« aushält, dem sei die Lektüre von »Jenseits der Avantgarden« empfohlen. Alle anderen wären besser damit bedient, sich auf Netflix die Kunstsatire »Velvet Buzzsaw« (2018) mit Jake Gyllenhaal als Kunstkritiker anzusehen. Auch hier gilt: Gebrochenheit als Fetisch.

Eduard Beaucamp: Jenseits der Avantgarden. Texte und Gespräche zur zeitgenössischen Kunst. Herausgegeben von Michael Knoche, Wallstein Verlag, 284 S., geb., 22 €.

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