Odinga gibt sich nicht geschlagen

Präsidentschaftskandidat ficht den knappen Sieg William Rutos in Kenia juristisch an

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 5 Min.

Kenia steht vor spannungsreichen Wochen. Das ist klar, seitdem Raila Odinga auf seiner Pressekonferenz erklärte, dass er das Wahlergebnis nicht anerkennen werde. Das am Montag bekanntgegebene Ergebnis der Wahl sei »eine Farce«, sagte Odinga am Dienstag in Nairobi. »Ich will mich nicht in vollem Umfang zu unseren künftigen Strategien äußern.« Er werde jedoch »alle uns zur Verfügung stehenden verfassungsmäßigen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen«, um das Wahlergebnis anzufechten, fügte er hinzu. Am Montagabend war es bereits zu Protesten in mehreren Vierteln in Nairobi gekommen, in denen Odinga eine große Anhängerschaft hat.

Nun hat der Oberste Gerichtshof das Wort und zwei Wochen Zeit, sich den Kopf zu zerbrechen. Das zentrale Argument von Odinga: Das Wahlgesetz in Kenia schreibe vor, dass die Wahlkommission nur dann ein Ergebnis verkünden dürfe, wenn eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder dies mittrage. Das war am Montagabend nicht der Fall: Vier der sieben Kommissionsmitglieder verweigerten sich. Am Dienstag bezeichnete die stellvertretende Vorsitzende der Wahlkommission, Juliana Cherera, die Ergebnisse der Abstimmung als »absurd«. Ihren Angaben nach seien rund 140 000 Stimmen zusätzlich abgegeben worden, als Wahlberechtigte registriert seien. Summiert ergäben die Stimmen 100,01 Prozent. Der Verkündung des Wahlergebnisses am Tag zuvor waren Cherera und drei weitere Kollegen fern geblieben.

Am Montagabend erklärte der Leiter der Wahlkommission, Wafula Chebukati, den Vizepräsidenten William Ruto zum Sieger mit 50,49 Prozent der Stimmen. Sein Gegner, der 77-jährige frühere Ministerpräsident Raila Odinga erhielt 48,85 Prozent der Stimmen. Er hatte in den Umfragen vor der Wahl zwischen sechs und acht Prozentpunkte Vorsprung.

Die Verkündung des Siegers am Montagabend erfolgte unter dubiosen Umständen. Kurz davor gaben vier der sieben Kommissare der Wahlkommission überraschend eine Pressekonferenz. Sie erklärten, sie könnten die Resultate nicht anerkennen, weil die Auszählung der Stimmen am Ende »undurchsichtig« gewesen sei. Die Kommissionsmitglieder versprachen, später Details zum behaupteten Wahlbetrug zu liefern. Diese stehen noch aus.

Die Pressekonferenz der Kommissare war eine dramatische Wende an einem Tag, an dem die Auszählung nach sechs Tagen zu Ende gehen sollte. Die Verkündung des Resultats war ursprünglich auf 15 Uhr Ortszeit angesetzt. Da aber Odinga als einziger Präsidentschaftskandidat nicht erschien, verzögerte sich die Zeremonie. Als die vier Kommissare kurz vor 18 Uhr ihre Pressekonferenz gaben, kam es im Kulturzentrum in Nairobi zu Rangeleien zwischen Anhängern der beiden Lager. Kurz darauf wurde Ruto zum Sieger ausgerufen. Ruto kündigte nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an, mit allen Spitzenpolitikern zusammenzuarbeiten. »Für Rache gibt es keinen Platz«, sagte er und fügte hinzu: »Ich bin mir sehr bewusst, dass unser Land an einem Punkt ist, an dem wir alle Mann an Deck brauchen.«

Odinga versucht seit 2002, sich zum Präsidenten wählen zu lassen. Damals traten er und Uhuru Kenyatta an, der derzeit amtierende Präsident. Keiner von ihnen gewann, sondern Mwai Kibaki. Während Kenyatta es 2013 unter anderem gegen Odinga ins Präsidentenamt schaffte und 2017 unter umstrittenen Umständen nach Wahlwiederholung erneut gewann, blieb Odinga das höchste Staatsamt immer verwehrt. 2022 sollte das anders werden, selbst sein einstiger Rivale Kenyatta sprach sich für ihn aus, während er seinem Vizepräsidenten William Ruto mehr oder weniger offen die Regierungsfähigkeit absprach.

Die Stimmung in dem ostafrikanischen Land ist äußerst angespannt. Seit 2002 war jede Wahl umstritten. Besonders 2007 und 2008 war es nach den Wahlen zu Gewalt gekommen, mehr als 1100 Menschen waren getötet und Hunderttausende vertrieben worden.

Schon vor der Wahl war klar gewesen, dass es auf ein Duell zwischen Ruto und Odinga hinauslaufen würde. Während des Wahlkampfs hatten die beiden Rivalen versprochen, das Ergebnis einer freien und transparenten Abstimmung zu respektieren, eventuelle Zweifel vor Gericht zu bringen und nicht gewaltsam auf der Straße austragen zu lassen.

Die Verwirrung darüber, wer die Wahl gewonnen hat, lag nicht nur am knappen Ausgang. Dazu trug insbesondere bei, dass Fernsehsender und Zeitungen nach Lust und Laune eigene Auszählungen vornahmen und die Ergebnisse teils weit voneinander abwichen.

Langsamer als die Medien war die offizielle Auszählung. Die Wahlbehörde musste in ihrem Auszählungszentrum die physischen Resultatformulare mit den zuvor elektronisch übermittelten Versionen abgleichen. Die Sieben-Tage-Frist konnte eingehalten werden, einen Tag vor Ablauf wurde das Endergebnis verkündet.

Während sich die offizielle Zählung hinzog, füllten sich die sozialen Netzwerke mit Gerüchten und Falschinformationen. Prominente Vertreter beider politischen Lager erklärten ihren Kandidaten zum Sieger, meist ohne Zahlen zu nennen. Twitter versah einzelne Nachrichten mit Warnhinweisen.

In Kisumu im Westen Kenias, der Hochburg Odingas, gingen seine Anhänger am Montag auf die Straßen und zündeten den ein oder anderen Autoreifen an. »Kein Baba, kein Frieden« war eine der zu hörenden Parolen. Baba, »Vater«, ist der Spitzname Odingas.

Bisher war es eine der friedlichsten Wahlperioden in der Geschichte Kenias. Inzwischen wurde ein Wahlhelfer 200 Kilometer von seinem Wohnort entfernt tot aufgefunden. Der Vorsitzende der Wahlkommission, Wafula Chebukati, sagte, auch andere Mitarbeiter seien verfolgt und willkürlich verhaftet worden. Er selbst sei Einschüchterungen und Schikanen ausgesetzt gewesen. Das letzte Wort zu den Wahlen in Kenia ist noch nicht gesprochen. Der Oberste Gerichtshof ist gefordert, aber auch Odinga sollte seine Anhänger zur Ruhe aufrufen und der Justiz die Entscheidung überlassen.

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