Sachsens CDU stellt Prinzip über Gnade

Petition gegen Abschiebung von Vertragsarbeiter aus Vietnam erhält im Landtag keine Chance

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Pham Phi Son mit Frau und Tochter 2019 bei einem Besuch in Dresden
Pham Phi Son mit Frau und Tochter 2019 bei einem Besuch in Dresden

Sachsen will Arbeitskräfte im Ausland gewinnen. Das sei »elementare Voraussetzung« für die weitere positive wirtschaftliche Entwicklung des Freistaats, hieß es, nachdem das Kabinett am Dienstag einen entsprechenden Maßnahmenplan beschlossen hatte. Eine Idee ist, ein Netzwerk von »Sachsenbotschaftern« mit eigener Migrationserfahrung zu knüpfen, die für das Bundesland werben sollen.

Pham Phi Son ist in den letzten Wochen auch zu einer Art Sachsenbotschafter geworden – allerdings einer, dessen Schicksal Arbeitskräfte aus dem Ausland eher abschrecken dürfte. Er kam 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR. Später arbeitete er in der momentan unter starkem Fachkräftemangel leidenden Gastronomie und gründete eine Familie. Jetzt wird ihm allerdings ein unbeabsichtigt begangener Verstoß gegen eine Klausel des Aufenthaltsrechts zum Verhängnis. Er soll mitsamt seiner Familie abgeschoben werden – nach 35 Jahren in Deutschland. Allen Bitten um Gnade erteilte die CDU eine Abfuhr. Gegen deren Widerstand ist eine Revision der Entscheidung im Petitionsausschuss des Landtags nicht möglich. Der Sächsische Flüchtlingsrat spricht von einem »politischen und moralischen Skandal«, mit dem Sachsens Ruf gefestigt werde, besonders restriktiv gegen Migranten vorzugehen.

Pham Phi Son hatte zunächst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. 2016 hatte er aber einen Aufenthalt in Vietnam länger ausgedehnt, als es das Gesetz zulässt. Die Erlaubnis wurde widerrufen, er verlor Einkünfte und Arbeit. 2019 kam der Fall vor die Sächsische Härtefallkommission (HFK). Diese kann für eine Aufenthaltsgenehmigung votieren, wenn das Ausländerrecht das nicht hergibt, es aber »aus humanitären oder persönlichen Gründen dennoch geboten erscheint«. Das Gremium lehnte ab. Anfang 2022 gab es einen erneuten Anlauf. Über diesen wurde nicht einmal beraten, wie der Vorsitzende des Gremiums, der CDU-Politiker und Ex-Justizminister Geert Mackenroth, im Alleingang entschied. Daraufhin startete der Flüchtlingsrat eine Petition. Sie wurde von 83 000 Menschen unterzeichnet, davon gut 18 000 aus Sachsen. Doch die für Freitag im Landtag geplante Übergabe wurde kurzfristig abgesagt. Der Grund: 44 der 45 CDU-Abgeordneten hatten gegenüber der Petitionsplattform erklärt, dass sie das Ansinnen ablehnen. Damit gibt es keine Aussicht, im Petitionsausschuss eine Mehrheit zu erreichen.

Die CDU-Abgeordneten, zu denen unter anderem Regierungschef Michael Kretschmer sowie Mackenroth gehören, zogen sich in ihren gleichlautenden Antworten auf das Prinzip zurück. »Bei allem Verständnis für die sehr komplizierte Situation« Pham Phi Sons sei nicht ersichtlich, warum die Entscheidung zur Abschiebung revidiert werden solle. Die CDU-Fraktion habe »immer bekannt, dass sie für eine konsequente Asylpolitik steht«, heißt es. Sie verweigert damit nicht nur Gnade in einem Einzelfall, sondern brüskiert auch die Koalitionspartner. Grüne und SPD hatten eine Bleibeperspektive für die Familie gefordert. Man solle »alle Ermessensspielräume des Aufenthaltsrechts ausnutzen«, verlangte die Grüne Petra Čagalj-Sejdi. Ihr SPD-Kollege Albrecht Pallas sagte: »Niemand versteht, warum die CDU nicht bereit ist, über ihren Schatten zu springen.«

Nach Angaben des Flüchtlingsrats soll nun noch einmal versucht werden, die Abschiebung auf dem Rechtsweg zu verhindern. »Aktuell prüfen wir Optionen, mit der Anwältin der Familie über die Ausländerbehörde in Chemnitz das Bleiberecht zu sichern«, hieß es. Nach einem Bericht der »Freien Presse« soll unter Verweis auf Arbeitsangebote für Pham Phi Son und dessen Frau geltend gemacht werden, dass Integrationsaspekte von der Behörde bislang nicht genügend berücksichtigt worden seien.

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