Beeren vom schönsten Baum

Nach den Herbstfrösten entfaltet sich der herbsüße Geschmack der Früchte der Eberesche

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Vogelbeere ist eine unterschätzte Frucht, die sich, gemessen am Vitamingehalt, nach Hagebutte, Sanddorn und schwarzer Johannisbeere einreiht. Wird sie schonend gefriergetrocknet oder eingefroren, bleiben 50 Prozent der enthaltenen Vitamine A, C, E und K über mindestens acht Monate erhalten. Aufgrund ihres natürlichen Gehalts an Sorbinsäure, die in der Lebensmittelindustrie oft als Konservierungsstoff eingesetzt wird, haben die in luftigen Baumwollsäckchen aufbewahrten Vogelbeeren eine gute Resistenz gegen Schimmelpilze.

Die Vogelbeere, häufiger als Eberesche bekannt, umfasst mehr als 100 Arten. Die Gattung Sorbus ist in kalten und gemäßigten Gebieten Nordeuropas, Asiens und Nordamerikas heimisch. Für die menschliche Ernährung ist hauptsächlich die süße Eberesche (lateinisch Sorbus aucuparia L. var. Dulcis Beck) geeignet, eine süßliche Varietät, die in Nordmähren, einem Teil Tschechiens, entdeckt wurde.

Die oft strauchartig aussehenden Bäume mit lockerer Krone sind frosthart und gedeihen in Gebirgslagen bis zu 2000 Meter Höhe. Im Erzgebirge wird der Vogelbeerbaum als der schönste Baum besungen. Im Spätsommer leuchten die hellroten Beerendolden, die im Kontrast stehen zu den jeweils acht Fiederblättchenpaaren, die sich an zentralen Blattstielen gegenübersitzen. Dieser Farbkontrast zieht auch die Aufmerksamkeit von Singvögeln auf sich. Letztere fangen nach dem Verzehr der Beeren an zu singen. Dies in der Natur, in Parks oder am Waldrand mitzuerleben, hellt auch die Stimmung der Menschen auf, was vielerorts in Vergessenheit geriet.

Das Sammeln der Beeren auf Wanderungen sowie die eigene Verarbeitung und Zubereitung von Konfitüre werden wieder beliebter. Gerade Kinder an den fruchtig-herben Geschmack verschiedener Beeren heranzuführen und nicht zu oft Industriesüßigkeiten auszusetzen, kann zur Vorbeugung gegen Übergewicht und Fettsucht beitragen.

Die beginnende Industrialisierung und der erstarkende Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts trugen ursächlich dazu bei, dass die zur Landflucht gezwungenen, verarmten Landarbeiter nicht nur ihre Heimatdörfer, sondern auch den Kontakt zur Natur verloren. Ein Dach über dem Kopf und genug Brot waren das Wichtigste. Dadurch kennen viele Menschen, die sich in den Industrie- und heute auch Dienstleistungsbetrieben ausbeuten lassen müssen, seit etlichen Generationen kaum noch die regionalen Früchte und Beeren, die im Umland gedeihen. Von den Eltern bekamen Kinder meist nur noch zu hören, dass Vogelbeeren giftig seien.

Für kleine Kinder unter drei Jahren kann die enthaltene Blausäure in rohen Vogelbeeren tatsächlich lebensgefährlich sein. Vor allem die Kerne der Beeren enthalten Blausäure und Amygdalin, die am Marzipangeruch der getrockneten Früchte zu erkennen sind.

Die ebenfalls enthaltene Parasorbinsäure, die für den extrem bitteren Geschmack vieler Sorten verantwortlich ist, kann bei Erwachsenen bereits nach Verzehr von zwei Beeren der nicht essbaren Sorten nach einigen Stunden Übelkeit und Bauchschmerzen verursachen. Daher empfehlen erfahrene Baumgärtner, bevor man größere Mengen einer unbekannten Eberesche pflückt, einen recht einfachen Geschmackstest durchzuführen. Von der giftigen Vogelbeere möchte man nach dem Kosten der ersten Beere keinesfalls eine zweite probieren. Bei der essbaren, etwa doppelt so großen süßen Vogelbeere, die jedoch auch erst nach einsetzenden Nachtfrösten wirklich genießbar wird, bleibt der Appetit nach der ersten verzehrten Beere erhalten.

Daher ist es traditionell üblich, die Beeren erst nach einsetzenden Nachtfrösten frühestens im Oktober zu ernten und sie zudem während der Verarbeitung einmal zu erhitzen. Es ist auch möglich, die Beeren für ein bis drei Monate ins Gefrierfach zu legen, um auf diese Weise den herbstlichen Nachtfrost zu simulieren. Dabei wird ein Großteil der schädlichen Parasorbinsäure in die unbedenkliche Sorbinsäure umgewandelt.

Will man den dennoch herb-bitter schmeckenden Vogelbeeren die Bitterstoffe noch weiter entziehen, gibt es die Möglichkeit, diese für einen Tag in Essigwasser zu legen. Danach werden die Beeren abgespült, zu Saft gepresst und pasteurisiert oder als Konfitüre, Gelee oder Chutney eingekocht. Die Beeren der Eberesche lassen sich mit Äpfeln, Birnen, Sanddornbeeren oder pikant mit Zwiebeln und Tomaten kombinieren. Ein Löffelchen Vogelbeerengelee kann ähnlich wie Preiselbeerkonfitüre zu einem würzigen gebackenen Camembert oder Wildbraten gereicht werden. Der bittersüße Geschmack regt den Gallenfluss und die Bauchspeicheldrüse an und verbessert dadurch die Verdauung deftiger Speisen.

An den herbsüßen Geschmack der Beeren kann man sich gewöhnen. Der Saft von süßen mährischen Vogelbeeren enthält insgesamt rund 20 Gramm Zucker pro 100 Milliliter, davon entfallen 8,5 Gramm auf Sorbit, das einer Verstopfung entgegenwirkt.

Menschen mit Zuckerkrankheit können die Vogelbeeren aufgrund deren großen Anteils an Sorbit am Gesamtzuckergehalt empfohlen werden. Sorbit ist eine Zuckerart, die im menschlichen Organismus ohne das blutzuckersenkende Hormon Insulin verstoffwechselt wird. Nur aufgrund der Wirkung auf den Darm muss die Menge beschränkt bleiben. Allerdings begrenzt der herbe Geschmack der Beeren die verzehrte Menge von ganz allein, was bei Industriesüßigkeiten nicht der Fall ist.

Das süßsaure Aroma der Beeren der Eberesche wird durch Fruchtsäuren wie Apfel-, Zitronen- und Weinsäure abgerundet. Ferner sind B-Vitamine wie Folsäure, der Mineralstoff Kalium sowie die Spurenelemente Kupfer und Mangan vertreten.

Ihr hoher Gehalt an Vitamin C von durchschnittlich 100 Milligramm je 100 Gramm rechtfertigt den Einsatz gegen Skorbut, der einst gefürchteten Mangelkrankheit. In der Medizin des Mittelalters wurde der Saft von Vogelbeeren zusammen mit Honig bei Husten und Heiserkeit eingesetzt. Die Gerbstoffe der Eberesche helfen gegen Gallenwegserkrankungen und Fettleber. Außerdem kann der Saft von Vogelbeeren bei Grünem Star, der durch erhöhten Augeninnendruck entsteht, nützlich sein. Wissenschaftliche Studien dazu stehen aber noch aus.

Wer die Vogelbeeren am Waldrand selbst sammeln möchte, tut gut daran, maximal die Hälfte der Beeren eines Baumes zu entnehmen. Im Gegensatz zu kultivierten Obstbäumen sind Ebereschen darauf angewiesen, von verschiedenen Vögeln in der Landschaft verbreitet zu werden. Amseln oder Drosseln fressen die Früchte und scheiden die unverdauten Samen wieder aus. Dieser Weg der Verbreitung ist wichtig, da die Ebereschen meist nur etwa 100 Jahre alt werden. In Gebirgslagen wie den Alpen werden die tief wurzelnden Ebereschen gezielt als Lawinenschutz angepflanzt.

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