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- Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen
Der Weg zur Vergesellschaftung
Die Inititiative Deutsche Wohnen & Co gibt ein Buch heraus, das Antworten zu Konzepten, rechtlichen Grundlagen und zur Finanzierung von Vergesellschaftung versammelt. Eine gekürzte Fassung der Einführung
Der letzte Anlauf für eine Vergesellschaftung eines Wirtschaftszweiges in Deutschland liegt vierzig Jahre zurück: Anfang der 1980er-Jahre forderten streikende Stahlarbeiter, unterstützt von der IG Metall und den Grünen, die Überführung der kriselnden westdeutschen Stahlindustrie in Gemeineigentum. Doch bald darauf spielten Gemeinwirtschaft und Vergesellschaftung bei den Gewerkschaften keine Rolle mehr. Die Transformation der DDR-Industrie 1989 führte nicht zur Demokratisierung gesellschaftlichen Eigentums, sondern geraderwegs in den Marktradikalismus.
Nun, eine Generation später, ist Vergesellschaftung zurück – aber nicht in der Schwerindustrie, sondern als urbane Bodenreform. Nicht große Gewerkschaften, sondern kleine stadtpolitische Initiativen wie die Mietergemeinschaft Kotti & Co forderten 2016 in Berlin erstmals eine Vergesellschaftung des Immobilienriesen Deutsche Wohnen SE. Der Marsch von der Fabrik ins Wohnzimmer verhalf der Sozialisierung zu neuer Dynamik. Im Frühjahr 2018 stellte die Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen sich der Öffentlichkeit vor, nach drei Jahren hatte sie per Volksentscheid die Bevölkerung Berlins von ihrem Plan überzeugt.
Wohnkonzerne bringen Wohnungsnot
Ein kurzer Blick zurück: Vor allem in der Finanzkrise 2008 und der darauf folgenden Nullzinsphase hatten sich Anleger ins »Betongold« geflüchtet. Private Fonds bündelten Kapital und fanden aufgrund der Privatisierungspolitik öffentlicher Eigentümer große Wohnungspakete verkaufsfertig vor. Aus den Fonds entstanden die börsennotierten Vermieter, deren Aufgabe es war, die Wohnungsmieten in Dividenden zu verwandeln. Die heutige Mietpreisexplosion ist also nicht das Ergebnis von Wohnungsknappheit und Zuzug in die Städte, sondern einer Renditestrategie von Unternehmen und Vermögenden. Weil die Reichen nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld und deshalb in Immobilien investieren, können Arme und auch Leute aus der Mittelschicht heute ihre Mieten nicht mehr zahlen. Am aggressivsten drehten Fonds und Wohnkonzerne an der Mietpreisspirale. Verschiedene Landes- und Bundesregierungen förderten die Kapitalkonzentration am Wohnungsmarkt noch bis in die 2010er-Jahre durch Privatisierung von Wohnraum und durch De-Regulierung der Finanzmärkte.
Die börsennotierten Vermieter sind der Rendite ihrer Aktionäre verpflichtet, die in rasantem Tempo gesteigert wurde. Dies gelang etwa durch kreative Buchhaltung: Seit 2013 erlaubt der »International Financial Reporting Standard« (IFRS 13) das sogenannte Fair-Value-Verfahren, bei dem für den Marktwert eines Unternehmens nicht mehr dessen Substanz taxiert wird, sondern sein Wert bei einer hypothetischen Transaktion auf dem »vorteilhaftesten Markt«. Die Konzerne bewerteten ihre Bestände danach einfach neu, bescheinigten sich selbst höhere Vermögenswerte, woraus höhere Aktienkurse folgten. Auch die Mieteinnahmen stiegen, zu Lasten der Bewohner*innen natürlich, und jeden Winter erschienen zuverlässig Presseberichte über ausgefallene Heizungen und ausbleibende Reparaturen bei Deutsche Wohnen und anderen Immobilienkonzernen.
Längst hatten wissenschaftliche Studien dahinter ein System offengelegt. Es bestand aus jahrelanger Vernachlässigung von Instandhaltungen, die später als »Modernisierung« nachgeholt wurden. Instandhaltungskosten trägt nach deutschem Recht der Vermieter, Modernisierungskosten lassen sich auf die Miete umlegen. Ergebnis sind Mietsteigerungen, Zerstörung von Existenzen und ein Klima der Angst in Berlin und anderen Städten, die sich vom Lebensort zur Geldanlage wandelten. Verboten waren diese Praktiken nicht, gerade deshalb wurden sie zum politischen Skandal. Selbst Springers Welt fand kritische Worte, als der Jahresgewinn der Vonovia 2019 die Milliardengrenze überstieg. Parlamentarische Versuche zur Schadensbegrenzung scheiterten: Im Februar 2017 wurde der Vorstand der Deutsche Wohnen ins Berliner Abgeordnetenhaus geladen – und hielt es nicht für nötig, zu erscheinen. Die Politik schien machtlos, und so nahm die Stadtgesellschaft das Problem selbst in die Hand. Das Ergebnis war 2018 eine soziale Bewegung für Vergesellschaftung, die ihre Wurzeln unter anderem in Protesten der Mieter*innen der Deutsche Wohnen-Siedlungen hatte.
Volksbegehren sind bindend
Seitdem sind vier Jahre vergangen. Die zwei wichtigsten offenen Fragen aus der Anfangsphase sind beantwortet: Es gibt eine Mehrheit für die Vergesellschaftung von Immobilien privater Konzerne – und diese Vergesellschaftung ist legal umsetzbar. Die Mehrheiten zeigten sich eindrucksvoll mit 77 001 Unterschriften in der ersten Stufe des Volksbegehrens von April bis Juni 2019, dann mit 349 568 Unterschriften in der zweiten Stufe bis Juni 2021 – und schließlich noch ein drittes Mal am 26. September 2021, als über eine Million Berliner*innen für das Vorhaben stimmten, dies entsprach 59,1 Prozent der gültigen Stimmzettel. Der Beschluss zur Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes erhielt mehr Stimmen als die amtierende Regierungskoalition und ist rechtlich einem Parlamentsbeschluss gleichgestellt.
Dass es einen legalen Weg zur Vergesellschaftung gibt, bestätigten bereits im Vorfeld zahlreiche wissenschaftliche Stellungnahmen. Nachdem die Initiative im Herbst 2018 erstmals konkrete Konzepte präsentierte, fand im Laufe des Jahres 2019 eine juristische Fachdebatte in Form von Gutachten, Stellungnahmen und Fachartikeln statt. Es setzte sich trotz Gegenstimmen insgesamt die Meinung durch, dass eine Vergesellschaftung der Wohnungsbestände privater Immobilienkonzerne durch Artikel 15 Grundgesetz gedeckt ist und in der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin liegt. Auch der Senat musste dies bereits vor der Abstimmung einräumen: Eine im Berliner Abstimmungsgesetz vorgesehene rechtliche Prüfung des Entscheids endete im September 2020 mit der Feststellung der Zulässigkeit des Volksbegehrens.
Die Prüfung war vom Innensenat mehr als ein Jahr lang verschleppt worden, der Abschluss musste durch die Initiative gerichtlich erzwungen werden. Doch das Ergebnis war eindeutig: Die Vergesellschaftung von Wohnraum ist nicht per se verfassungswidrig. Wäre dies der Fall gewesen, hätte man den Beschluss nicht zur Abstimmung stellen dürfen. Wenn heute eine Expertenkommission zum Thema tagt, kann es also nicht mehr um das »Ob« einer Vergesellschaftung gehen, sondern nur noch um das »Wie«. Dies beinhaltet allerdings nicht nur juristische Prüfungen, sondern fordert politische Entscheidungen.
Vergesellschaftung, nicht Verstaatlichung
Die Kernforderungen des Volksentscheides waren: Vergesellschaftung der Bestände aller Großvermieter mit über 3000 Wohnungen in Berlin, Ausnahmen für landeseigene Unternehmen, Genossenschaften und gemeinwirtschaftliche Vermieter, eine Entschädigung unter Marktwert und die Überführung der Bestände in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Diese Anstalt soll es ermöglichen, dass nicht Senatsbehörden über die Verwaltung der Wohnungen entscheiden, sondern Stadtgesellschaft, Mieter*innen der Anstalt sowie deren Angestellten. Ziel ist keine Verstaatlichung, sondern eine Vergesellschaftung mit umfassender demokratischer Teilhabe.
Der Erfolg des Volksentscheids machte Mehrheiten sichtbar für ein Wirtschaften jenseits von Markt und Staatsbürokratie. Dies ging über den Wohnungsmarkt hinaus. Unter dem Titel »Gemeinwirtschaft statt Marktradikalismus« hatte die Initiative bereits im September 2020 mit Vertreter*innen von ver.di, dem BUND und dem Paritätischen Gesamtverband diskutiert, ob Vergesellschaftung einen Ausweg aus der Finanzialisierung der Daseinsvorsorge bietet, die auch im Gesundheitswesen, in der Pflege und in der Infrastruktur große Schäden verursacht hat. Ursache war das neoliberale Dogma, Gesellschaften hätten sich im globalen Wettbewerb »der Wirtschaft« oder »den Märkten« anzupassen. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel spitzte dies in der Eurokrise zu auf das Wort vom »marktkonformen« Funktionieren der Demokratie.
Was aber, wenn sich nicht die Demokratie dem Markt anpasst, sondern der Markt demokratischen Regeln unterworfen würde? In diese Richtung zielen Konzepte der Gemeinwirtschaft. Die Initiative DWE dachte diese für die Wohnungswirtschaft durch, in ihrer bisher längsten programmatischen Schrift »Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise« von 2020. Hier standen nicht mehr allein günstige Wohnungen im Vordergrund, sondern ein gesellschaftlicher Vorsorgeauftrag. Der sozialisierte Wohnungsbestand sollte neben leistbaren Mieten für Wohnräume auch dringend benötigte Räume für soziale Aufgaben sichern. Genannt wurden Frauenhäuser und Gewaltschutzräume, das Modellprojekt »Housing First« zur Unterbringung von Wohnungslosen, um Kitas und Jugendzentren, Ateliers und das im Gewerbemietrecht völlig unzureichend geschützte Kleingewerbe. Denn Berlin verliert gerade nicht nur seine freie Kunstszene, sondern auch den Bäcker um die Ecke. Proteste verteidigen nicht mehr nur Wohnprojekte und selbstverwaltete Zentren, sondern auch inhabergeführte Modeläden und Aldi-Filialen – so geschehen 2019 in der Markthalle IX in Kreuzberg.
Wer bremst die Demokratisierung?
Überlässt man die Städte dem Markt, ist selbst eine elementare Grundversorgung der Bevölkerung wird nicht mehr gedeckt. Die Vergesellschaftung von geschätzt etwa 240 000 Wohnungen samt den dazugehörigen Gewerbeeinheiten würde Räume öffnen, um Lücken in der sozialen und gewerblichen Infrastruktur zu schließen und die Stadt wieder lebenswert zu machen. Die in der »Vergesellschaftungsbroschüre« von 2020 ausbuchstabierten Forderungen der Initiative nach mehr Planung, aber vor allem mehr Demokratie stehen in der Tradition des ersten Berliner Mietenvolksentscheids aus dem Jahr 2015. Dieser zielte unter anderem auf eine Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und konnte mit dem Wohnraumversorgungsgesetz von 2016 sowie den dort geschaffenen Mieterräten einen Teilerfolg verbuchen. Ein Demokratisierungsprozess wurde seitdem allerdings staatlicherseits behindert und ausgebremst.
Während Kämpfe um die Demokratisierung von Wohnraum eine gewisse Tradition haben, fanden die ökonomischen Möglichkeiten von Vergesellschaftung bisher wenig Beachtung. Die Initiative benannte in ihrer Vergesellschaftungsbroschüre schon 2020 ein Dilemma, über das bis heute gerne geschwiegen wird: Das vom Land Berlin gezahlte Wohngeld sowie die Wohnkosten von Hartz-IV-Empfänger*innen bescheren den privaten Wohnungskonzernen jedes Jahr Millioneneinnahmen. Belastbare Zahlen dazu gibt es auch 2022 nicht, weder amtliche noch unabhängige Schätzungen liegen vor. So lässt sich nicht beziffern, wie viel Geld der Landeshaushalt jedes Jahr einsparen würde, wenn die Miete für eine viertelmillion vergesellschaftete Wohnungen eingefroren oder gesenkt würde. Dabei müssten diese Einsparungen unbedingt mitgedacht werden, wenn über vermeintlich zu hohe Kosten einer Vergesellschaftung diskutiert wird.
Heute fließen öffentliche Gelder zur Abmilderung der Mietpreisexplosion mehrheitlich an private Eigentümer*innen und geben ihnen neues Kapital für Spekulation an die Hand. Diese Mittel würden nach einer Vergesellschaftung zu großen Teilen öffentlichen Vermieter*innen zufließen, einsetzbar für Neubau, Ankauf und Instandhaltung. Vergesellschaftung hätte so einen stabilisierenden Effekt auf die Berliner Wirtschaft: Regelmäßige Investitionen der AöR würden lokale Wirtschaftskreisläufe fördern, Mieteinnahmen würden in der Stadt bleiben, anstatt anderswo Spekulationsblasen auszulösen. Vergesellschaftung ist insofern auch ein Gegenmodell zu finanzmarktgetriebener Globalisierung.
Erarbeitung der Rechtsgrundlage
Bereits im Mai 2021 stellten Deutsche Wohnen&Co. enteignen den Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz vor und gab ihren Forderungen damit eine juristische Form. Geregelt werden Reichweite und Umfang der Vergesellschaftung, Durchführung, Übergangsbestimmungen sowie die Entschädigungsfrage. Dieses Gesetz war das Ergebnis von zweieinhalb Jahren Diskussion und Formulierungsarbeit, die zwischen 2019 und 2021 in der »AG-Vergesellschaftung« von DWE geleistet wurde. Eingeflossen sind neben Zuarbeiten von externen Expert*innen auch die Ergebnisse einer seit Ende 2018 öffentlich geführten Fachdebatte mit juristischen Stellungnahmen, Gutachten und Einschätzungen.
Eine Bestandsaufnahme dieser Debatte mit Schwerpunkt auf acht »amtliche«, also von Parlamenten und Regierungen in Auftrag gegebenen Gutachten ergibt viele Kontroversen, aber auch überraschende Übereinstimmungen: So bejahen alle Gutachten die Zuständigkeit des Landes Berlin, sechs von acht Gutachten bejahen die Möglichkeit einer Entschädigung unter oder sogar deutlich unter Marktwert. Auch die Setzung eines Schwellenwerts von 3000 Wohnungen, ab dem Vergesellschaftung greifen soll, halten sieben von acht Gutachten für grundlegend unproblematisch. Die grundsätzliche Legalität von Vergesellschaftung bedeutet jedoch nicht, dass es keine offenen Fragen mehr gibt. Eine davon ist zweifellos die Ausgestaltung der AöR, die bisher auch von der Initiative nur grob skizziert wurde. Das liegt daran, dass die öffentliche Diskussion sich auf den Entzug von privatem Eigentum konzentrierte, anstatt auf den Aufbau von Gemeineigentum. Im Vordergrund stand dabei die Entschädigungsfrage.
Vergesellschaftung ist bezahlbar
Vergesellschaftung sei nicht finanzierbar, behaupten Gegner des Vorhabens. Doch die berechtigte Frage nach den Kosten wurde bisher als Glaubensfrage behandelt, obwohl längst Beiträge und Modellrechnungen existieren, die eine sachliche Herangehensweise ermöglichen. Erste konkrete Zahlen zur Entschädigungsfrage lieferte die Initiative schon im Februar 2019 unter der schlichten Überschrift »Modelle zur Berechnung der Entschädigungshöhe«. Darin skizzierte sie erstens die Nominalentschädigung, also die Entschädigung zu einem symbolischen Betrag, den einige Kommentatoren des Grundgesetzes für zulässig halten. Als zweites folgte die Entschädigung nach dem Bewertungsgesetz des Bundes und der Bewertungspraxis der landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins sowie drittens das »Zweckentschädigungsverfahren«.
Alle Modelle gingen davon aus, dass bei einer Entschädigung nicht die von den Konzernen im Interesse guter Börsenperformance sehr hoch veranschlagten Immobilienwerte zu entschädigen sind. So veranschlagt etwa das im Steuerrecht angewandte Bewertungsgesetz des Bundes den Wert eines Wohnhauses mit dem 12,5-Fachen der eingenommenen jährlichen Nettokaltmiete. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins bilanzieren ihre Häuser mit dem 14-Fachen einer Jahresnettokaltmiete. In den Bilanzen der Vonovia dagegen wird das 26- bis 28-Fache der Jahresmieteinnahmen aufgeführt. Diese Taxierung beruht auf einem hypothetischen Verkauf unter günstigsten Marktbedingungen und schließt die Erwartung zukünftiger Mietsteigerungen mit ein. Es handelt sich also um eine Fiktion. Seriöser wäre, bei der Vergesellschaftung das im Steuerrecht übliche Bewertungsverfahren zu wählen.
Dem gemeinwirtschaftlichen Ziel am besten entspricht jedoch die dritte, von der Initiative 2019 noch als »Zweckentschädigungsverfahren« betitelte Möglichkeit. Sie wurde seitdem unter dem Namen »Faire-Mieten-Modell« weiterentwickelt. Die Idee ist, dass der Zweck der Vergesellschaftung auch die Entschädigungspraxis leiten muss. Daher sind leistbare Mieten im Gemeingut der Maßstab für Entschädigungen: Sie dürfen nicht so hoch ausfallen, dass aufgrund der Schuldenlast die sozialisierten Wohnungen für Geringverdienende unerschwinglich werden. Ausgehend von der Leistbarkeit von 30 Prozent des Einkommens eines Haushaltes an der Armutsschwelle wird mit der Methode eine Höchstmiete pro Quadratmeter berechnet. Hieraus ergeben sich wiederum die Jahresmieteinnahmen der zu vergesellschaftenden Bestände, und aus der jährlichen Nettokaltmiete lässt sich dann ein Gesamtbetrag ermitteln.
Auch wenn die Modelle konkrete Zahlen nennen – damals ging die Initiative von 7,3 bis 13,2 Milliarden Euro Gesamtentschädigung aus –, sind diese nur als Annäherung zu lesen. Dies gilt für alle Summen in der Entschädigungsdebatte einschließlich der Senatskostenschätzung. Da durch verschleierte Eigentumsverhältnisse die Gesamtzahl der zu vergesellschaftenden Immobilien sowie ihre Quadratmeterzahl nicht bekannt sind, lässt sich auch von amtlicher Seite nur eine Schätzung durchführen. Wichtiger als die Gesamtsumme ist ohnehin etwas anderes: das Verhältnis zwischen Entschädigung und Mieteinnahmen. Denn die Entschädigungskosten sind keine toten Kosten. Die mit ihnen finanzierten Immobilien bringen sichere Mieteinnahmen, die Entschädigung ist somit selbstfinanzierend. Ob sie »zu hoch« oder »zu teuer« ist, bemisst sich danach, ob in absehbarer Zeit bei leistbaren Mieten die Gesamtentschädigung wieder einholbar ist. Würde also zum vollen Marktwert entschädigt, ließe sich die Entschädigung zwar finanzieren, aber nur durch Mieterhöhungen oder eine sehr lange Laufzeit bei der Rückzahlung.
Ausgehend von nur gering angesetzten Abschlägen vom Marktwert kam die im März 2019 veröffentlichte amtliche Kostenschätzung des Senats zu dem Schluss, die Entschädigungskosten seien mit 28,8 Milliarden Euro anzusetzen. Da den Medien vorab eine Zusammenfassung, aber nicht das volle Gutachten durchgestochen wurde, fokussierte sich die mediale Debatte wochenlang nur auf die absoluten, vermeintlich unfinanzierbaren Kosten, die auch heute noch des Öfteren fälschlicherweise mit 36 Milliarden Euro beziffert werden. Hier wurde eine in der Kostenschätzung zu Berechnungszwecken gebildete Obergrenze mit der eigentlich vom Senat genannten Entschädigungssumme verwechselt. Wer sich die in unserem Band »Wie Vergesellschaftung gelingt« dokumentierte Erläuterung des Senats zur Kostenschätzung durchliest, stößt auf ganz andere Tatsachen. Auch der Senat geht davon aus, dass eine Entschädigung zum vollen Marktwert nicht geboten ist und arbeitet mit Abzügen. Insbesondere ohne Leistung der Eigentümer entstandene Bodenwertsteigerungen müssten demnach nicht entschädigt werden.
Fazit: Zeit zur Umsetzung!
Erst nachdem 2019 mit gehöriger Verspätung die vollständige Kostenschätzung öffentlich wurde, konnte die Initiative reagieren. Sie rechnete die Kostenschätzung komplett neu durch und bezog die Abzüge von Bodenwertsteigerungen auch auf die Gebäude selbst, womit sich unter Beibehaltung der Kreditbedingungen und aller sonstigen Annahmen des Senats die Entschädigungshöhe auf 18 Milliarden reduzierte. Diese Größenordnung wäre, so bestätigte später ein Gutachten, ohne Mieterhöhungen oder Staatszuschüsse finanzierbar. Entschädigung unter Marktwert und Finanzierung aus den Mieteinnahmen eröffnen die Möglichkeit für eine haushaltsneutrale Umsetzung des Volksentscheids. Vergesellschaftung kostet, zugespitzt, gar nichts. Auf lange Sicht wird die Stadt Berlin reicher, denn die Wohnungen bleiben zukünftigen Generationen als Gemeingut erhalten, wenn die Entschädigung längst abbezahlt ist. So ergibt sich als Fazit der seit 2018 geführten Debatte: Vergesellschaftung ist legal, finanzierbar und von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung gewollt. Es wird also Zeit, dass Senat und Abgeordnetenhaus endlich mit der Umsetzung beginnen.
Deutsche Wohnen & Co enteignen (Hg.): Wie Vergesellschaftung gelingt – Zum Stand der Debatte, Parthas Verlag 2022, 20 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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