Oligarchen an der Macht

Auch in der Ukraine regiert die Vetternwirtschaft der Superreichen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Diese Bierflaschen mit dem Konterfei des Oligarchen Rinat Achmetow wurden vor dem Krieg in Lwiw angeboten.
Diese Bierflaschen mit dem Konterfei des Oligarchen Rinat Achmetow wurden vor dem Krieg in Lwiw angeboten.

Die Ära endete für die Ukraine mit der Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union – und zwar im Mai 2014. Kurz zuvor war der gewählte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch, der bis dahin die Unterschrift unter dem Abkommen verweigert hatte, nach Russland geflohen. Ähnliche Verträge schloss die EU übrigens im Rahmen ihrer »Östlichen Partnerschaft« mit Georgien und Moldau ab.

Das DCFTA-Abkommen (englisch: Deep and Comprehensive Free Trade Area) regelt die Einrichtung einer »vertieften und umfassenden Freihandelszone« mit der Ukraine und wurde vor allem für die wirtschaftlichen Beziehungen bald von Bedeutung. Daneben deckt es die Zusammenarbeit in zentralen politischen Bereichen wie Justiz, Außen- und Sicherheitspolitik ab. Durch umfassende Reformen sollte die Regierung in Kiew den Außenhandel weiter liberalisieren und sich rechtlichen Standards der EU anpassen. Die Kehrseite war der weitgehende Verlust von Absatzmärkten in Russland und in anderen früheren Sowjetrepubliken. Dazu tragen heute zahlreiche gegenseitige Handelsbarrieren bei.

Die von Brüssel und den Regierungen in Kiew angestrebte Westintegration war und ist ein durchaus ehrgeiziges Ziel. Grundlegenden Verbesserungsbedarf gab es in der Ukraine etwa beim Zoll, der unter Korruption litt und wohl noch leidet. Nach einer Recherche der »Süddeutschen Zeitung« gingen dem ukrainischen Staat lange Zeit jährlich bis zu 4,8 Milliarden US-Dollar an Einnahmen verloren, unter anderem durch Grauimporte, Unterfakturierung (zu niedrige Rechnungsbeträge) oder die Umdeklarierung von Waren auf Güter mit niedrigeren Zollsätzen.

Solche Praktiken nutzten Geschäftemacher in der nach-sozialistischen Zeit, um mehr oder weniger legal Vermögen anzuhäufen. Begünstigt wurden die angehenden Oligarchen – wie in Russland und anderen GUS-Staaten – von der raschen Privatisierung großer Staatsbetriebe wie Werften, Raffinerien oder Stahlwerke und der Einführung einer weitgehend unregulierten Marktwirtschaft, die ebenfalls quasi über Nacht eingeführt wurde.

Das erste Privatisierungsgesetz war bereits im März 1992 von Regierung und Parlament verabschiedet worden. Die Privatisierung der wichtigsten Firmen erfolgte über Vorzugsaktien: Theoretisch konnten Beschäftigte Aktien »ihrer« Unternehmen zu Vorzugsbedingungen kaufen, in der Praxis sicherten sich jedoch die damaligen Geschäftsleitungen Mehrheiten, heißt es in einer Analyse des Zentrums für Wirtschaftsstrategie CES in Kiew.

Im Ergebnis bildete sich eine »Klasse der Oligarchen«. »Diese Privatisierung zementierte die Stellung der sogenannten Roten Direktoren, indem politisch gut vernetzte Personen Zugriff auf staatliche Vermögenswerte erhielten«, schreiben die CES-Ökonomen. Etwa 10 000 Unternehmen wurden auf diese Art verscherbelt. In den 2000er Jahren verstärkte sich die Vetternwirtschaft nochmals. Weitere große Objekte aus den Bereichen Rohstoffe und Energien wanderten in die Hände weniger Auserwählter; das Parlament verabschiedete hierzu spezielle Gesetze.

»In den Wirren der 1990er Jahre entstand eine kleine Schicht von Oligarchen, die große Teile der Wirtschaft dominieren und starken Einfluss auf die Politik ausüben«, heißt es in einer aktuellen Ukraine-Analyse von Germany Trade and Invest (GTAI), der Außenwirtschaftsagentur des Bundeswirtschaftsministeriums. Als einer der einflussreichsten Superreichen gilt heute Rinat Achmetow. Er gründete – auch dies ähnelt dem Werdegang vieler Oligarchen in Russland – eine Bank, was ihm finanziellen Spielraum für seine Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM) schaffte, die im EU-Staat Zypern registriert ist. Über SCM kontrolliert Achmetow laut Medienberichten Dutzende Firmen und ein Drittel der ukrainischen Stromproduktion.

Auch die Provinz im flächenmäßig zweitgrößten Land in Europa wurde oligarchisiert. Die ausfuhrorientierte Agrarindustrie ist im Hinblick auf den Export der stärkste Wirtschaftszweig. Ähnlich wie in Ostdeutschland gingen die einst kollektiven Betriebe in private Hände über. Doch während hierzulande die mit Abstand größten Flächen von Genossenschaften mit durchschnittlich 1500 Hektar beackert werden, wirtschaftet die IMC Agrarholding auf rund 125 000 Hektar.

Oleksandr Petrov und unbekannten Partnern gehören 82 Prozent des an der Warschauer Börse notierten Agrarkonzerns, der in Luxemburg registriert und in Deutschland gut vernetzt ist. So gehört Alfons Balmann, Professor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung (IAMO) in Halle, dem Verwaltungsrat an. Der Konzern produziert mehr als eine Million Tonnen Weizen, außerdem Mais, Sonnenblumen und Soja, verfügt über Getreidelagerkapazitäten von über 500 000 Tonnen und exportiert Agrarrohstoffe vor allem nach China, Nordafrika und in die EU.

Den wenigen Superreichen stehen knapp 44 Millionen Ukrainer gegenüber, deren Pro-Kopf-Einkommen von 4000 Euro pro Jahr nur ein Drittel des benachbarten Polen erreicht. Etwa fünf Millionen Ukrainer haben das Land schon vor dem Krieg verlassen, um als Lastwagenfahrer, Erntehelfer oder Seefahrer in Nachbarländern und der EU zu arbeiten.

Wie weit entfernt die Ukraine tatsächlich von westeuropäischen Maßstäben ist, zeigen gängige Einschätzungen des Geschäftsumfeldes. Der deutsche Kreditversicherer Euler Hermes bewertet die Ukraine mit der Note »6« (von 7) und damit als hochriskant. Und beim Korruptionsindex von Transparency International reicht es nur zu Rang 117, gleichauf mit Ägypten, Sierra Leone oder Sambia.

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