Tief gespaltene Linke protestiert in Berlin

Rund 1000 Menschen gegen Regierungspolitik der Grünen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich spreche hier nur zu Antifaschistinnen und Antifaschisten«, ruft Ferat Kocak ins Mikrofon. Der Berliner Linke-Abgeordnete tut damit das, was sich nicht wenige der rund 1000 Teilnehmer auf der Kundgebung vor der Berliner Grünen-Zentrale am Montagabend wünschen – eine klare Abgrenzung der Organisatoren von rechten Verschwörungsideologen. Die praktische Abwehr einer Gruppe Sympathisanten der Querdenken-Partei »Die Basis« am Rande der Kundgebung übernimmt unterdessen eine Gruppe schwarz gekleideter Antifas. Es kommt zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen und ein paar Handgreiflichkeiten. Nach etwa einer halben Stunde rückt dann auch die Polizei an, von der man zu Beginn der Veranstaltung noch nichts gesehen hatte.

»Wir protestieren hier vor der Zentrale der Grünen, weil die mit dem Außen- und dem Wirtschaftsministerium in der Regierung hauptsächlich verantwortlich sind für die skandalös unsoziale aktuelle Politik«, sagt Uwe Hiksch, Mitglied der Linkspartei und der »Naturfreunde Deutschland« in seiner Rede. Wirtschaftspolitisch wurde vor allem die kürzlich beschlossene Gasumlage immer wieder scharf kritisiert, außenpolitisch einte die Kritik an Annalena Baerbocks Aussage vor ein paar Tagen in Prag die Protestierenden. Die Außenministerin hatte mit Blick auf die Ukraine gesagt: »Wir stehen so lange an eurer Seite, wie ihr uns braucht, dann will ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken«. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen kritisierte, dass vom Außenministerium zum Teil erfolgreich versucht wurde, Baerbocks Aussage als von der russischen Propaganda aus dem Kontext geschnitten darzustellen. Zudem sagte Dagdelen in ihrer Rede bezogen auf die deutsche Rolle im Ukraine-Krieg: »Frau Baerbock sollte als Außenministerin Chefdiplomatin sein, doch sie lehnt jede Diplomatie ab.«

Für Stefan aus Berlin, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kommt diese Position den Querdenkern und »Putin-Freunden« viel zu sehr entgegen, weshalb er inmitten der anderen Protestierenden tapfer den Mittelfinger Richtung Podium in die Luft reckt. »Mit Putin kann man nicht verhandeln«, ist er sich sicher. Doch die Forderung nach einem Verhandlungsfrieden zwischen Russland und der Ukraine ist größtenteils Konsens bei den Organisatoren der Kundgebung, die mehrheitlich aus der »Aufstehen«-Bewegung beziehungsweise dem sogenannten Wagenknecht-Lager in der Linkspartei kommen. Und die sich auch für Menschen öffnen will, die nicht unbedingt im linken Spektrum zu Hause sind. »Wir müssen bei der Mobilisierung über die linke Szene hinausgehen«, sagt dementsprechend auch der Linke-Bundestagsabgeordnete André Hunko am Rande der Kundgebung zu »nd«.

Als Harri Grünberg, einer der Initiatoren von »Aufstehen«, in seiner Rede sagt, »nicht jeder, der eine andere Meinung zu Covid hat, ist gleich ein Faschist«, erntet er manche Pfiffe, doch auch Applaus. Im Gespräch mit dem »nd« nach der Kundgebung wird er deutlicher: »Die Linkspartei erreicht doch schon lange nur noch ein linksliberales Milieu und nicht mehr die Supermarktkassiererin und den Paketboten, aber die sind besonders von der unsozialen Politik betroffen und die brauchen wir für einen Klassenkampf von unten.«

Eine Demonstrantin, die Mitglied der Linken in Berlin ist, äußert sich dem »nd« gegenüber sehr kritisch über die Organisatoren. »Für mich ist offensichtlich, dass sich hier die ›Aufstehen‹-Leute für die kommende Europawahl profilieren wollen«, bringt sie den innerlinken Konflikt für sich auf den Punkt. Entgegen diesem Hickhack aufseiten der Protestierenden funktioniert die Staatsmacht auch an diesem Montagabend reibungslos. Gerade als der linke Aktivist Marcus Staiger in seiner Rede davon spricht, die Politik der Regierenden auf dem Rücken der Ärmsten sei nicht dem verurteilenswürdigen Krieg Russlands gegen die Ukraine geschuldet, sondern schlicht der Normalbetrieb des herrschenden Wirtschaftssystems, kommt auch die anwesende Polizei auf Betriebstemperatur. Etwa 30 Beamte bahnen sich mit finsteren Blicken und ohne ersichtlichen Grund ihren Weg mitten durch die vor dem Eingang der Grünen-Zentrale postierten Veranstalter, um sich dort aufzupflanzen. Dann wird direkt neben den Rednerinnen und Rednern noch willkürlich ein Demonstrant gewaltsam festgenommen, wohl weil er einen Joint geraucht hat. Ein kurzer Tumult entsteht und das ist dann auch der Abschluss der Kundgebung. Die grüne Regierungspartei hat erst mal nichts mehr zu fürchten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal