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Ein knappes Rennen

Rechtsradikale Schwedendemokraten könnten bei der Parlamentswahl am Sonntag zweitstärkste Partei werden

  • Regine Glaß, Göteborg
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonntag sollen die Schwed*innen den neuen Reichstag wählen. Für die rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD) würden sich im Moment laut des schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders svt etwa 20 Prozent der schwedischen Wähler*innen entscheiden – ein Zuwachs gegenüber der letzten Wahl 2018 von 3,1 Prozent. Nach den regierenden Sozialdemokraten wären sie damit die zweitstärkste Partei Schwedens.

Die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson genießt das Vertrauen einer knappen Mehrheit von 56 Prozent der schwedischen Wähler*innen. Das ergab eine aktuelle Umfrage. Vänsterpartiet(V), die unter den größeren Parteien am weitesten links steht, könnte genau wie vor vier Jahren auf acht Prozent kommen. Sollten die Umfrageergebnisse präzise sein, würde das Mitte-links-Bündnis aus Sozialdemokraten, V, Umweltpartei (MP) und Zentrumspartei auf etwa 50 Prozent kommen; die rechts-liberale Allianz aus Moderaten, Liberalen, Christdemokraten und Schwedendemokraten käme auf etwa 48 Prozent. Im Wahlkampf hatten sich die Sozialdemokraten genau wie die Moderaten vor allem auf das Thema Kriminalität und Segregation konzentriert, die Umweltpartei MP stellte als einzige der größeren Parteien Klimapolitik in den Vordergrund.

Laut Ava Rundberg, Vorsitzender der Jugendorganisation der schwedischen Linkspartei (Ung Vänster), hätte Klimapolitik eine größere Rolle bei allen Parteien einnehmen müssen. »Denn für uns junge Menschen ist es eines der wichtigsten Themen schlechthin«, sagte sie »nd.DieWoche«. Als Vorsitzende ihrer Organisation lägen ihr vor allem die Sicherheit ihrer Wähler*innen am Herzen. Und was bedeutet für sie Sicherheit? »Sichere Arbeitsplätze, sichere Wohnungen, kein rassistischer Arbeitsmarkt, eine gute Freizeit, gute Schulen für alle«. Ihrer Meinung nach bietet der schwedische Arbeitsmarkt keine Chancengleichheit für Einwanderer*innen, denn Bewerber mit ausländisch klingenden Namen würden oft abgelehnt und Einwanderer*innen begännen mit einem niedrigeren Lohn. Studien, beispielsweise der Nicht-Regierungsorganisation SNS von 2020, zeigen tatsächlich, dass weder Schwedischkenntnisse aus dem staatsfinanzierten Schwedischkurs für Migrant*innen noch frühere Arbeitserfahrungen Migrant*innen beim Einstieg in den schwedischen Arbeitsmarkt helfen.

Laut schwedischem Arbeitsamt ist die Erwerbslosenquote 2022 von acht Prozent eine der höchsten Europas. Anstatt wie die Moderaten mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes dagegen vorgehen zu wollen, fordern die jungen Linken eine Erhöhung, bessere Ausbildung, weniger Privatschulen und ein Recht auf Festanstellung. Viele junge Menschen und Migrant*innen lebten in unsicheren befristeten Arbeitsverhältnissen. Ein Instrument, um diese Rechte durchzusetzen, sei eine Stärkung der Gewerkschaften.

Regierungschefin Magdalena Andersson sieht die Lösung gesellschaftlicher Probleme dagegen in einer Auflösung der Segregation der Vororte. Sie wolle kein schwedisches China- oder Somalitown, auch kein Little Italy, hatte sie bei einer Wahlveranstaltung in Dalarna gesagt. Diese Aussage habe sie trotz Kritik von migrantischen Verbänden nicht bereut, bekräftigte sie gegenüber verschiedenen schwedischen Medien, und legte nach: Sie hätte in den Vororten noch keinen einzigen Menschen getroffen, der sich nicht wünschen würde, dass Nachbar*innen und Schulkamerad*innen mehr Schwedisch sprechen könnten. Das A und O gegen die Segregation seien Freizeitaktivitäten, staatliche Schulen und Arbeit. Dieser Ansatz verbindet Sozialdemokraten und Linkspartei dann doch noch.

Bei der Nato-Mitgliedschaft, die die Regierung im Mai beschlossen hat, hört die Einigkeit aber auf. Viele Mitglieder der Linkspartei sind dagegen. »Ich finde einfach, dass die Wähler*innen keine Zeit hatten, sich über dieses Thema zu informieren. Dieser Wechsel weg von der schwedischen Allianzfreiheit kam über Nacht«, so Ava Rundberg. Deshalb fordert sie, genau wie die Vorsitzende der Linkspartei Nooshi Dadgostar, eine Volksabstimmung über die Nato-Mitgliedschaft nach der Reichstagswahl. Außerdem lassen sie sich ungern vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erpressen, der im Austausch viele in Schweden lebende Kurd*innen ausweisen lassen möchte.

Auch die steigenden Energiepreise als Folge der Sanktionen gegen Russland spielten im schwedischen Wahlkampf eine große Rolle. Dabei ging es jedoch nicht ums Energiesparen, sondern darum, die Preiserhöhungen für die Verbraucher auszugleichen. In einer Pressekonferenz am Montag hatte Dadgostar vorgeschlagen, Schwedens Bürger*innen nicht mit Preissteigerungen zu belasten, stattdessen solle der heimische Strommarkt vom Exportmarkt getrennt werden. Rundbergs Kommentar über den Vorschlag ihrer Chefin: »Es ist ja die Verantwortung der Politik, die Preise für den Nutzer nicht steigen zu lassen. Ohnehin sollten eher die Stromkonzerne zur Kasse gebeten werden«. Trotz dieser Visionen sagt die Jugendvorsitzende der Linken: »Ich habe keine zu großen Hoffnungen für diese Wahl, denn dieser Wahlkampf war krank«. Ihr Horrorszenario ist ein weiterer Anstieg von Wähler*innenstimmen für rechte Parteien.

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