Eine Kontrolle in 90 Jahren

Die IG BAU freut sich auf die »12-Euro-Ära«, fordert aber, dass der Mindestlohn deutlich häufiger kontrolliert wird

  • Daniel Behruzi
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beginnt am morgigen Samstag »endlich die 12-Euro-Ära beim Mindestlohn«. Mehr als sechs Millionen Beschäftigte würden von der Anhebung der Lohnuntergrenze profitieren, so der neue und alte IG-BAU-Chef Robert Feiger am Mittwoch beim Gewerkschaftstag in Kassel. Zugleich betonte er: »Nur ein kontrollierter Mindestlohn ist auch ein gezahlter und damit erfolgreicher Mindestlohn.« Und hier liegt das Problem: Mindestlohnkontrollen sind extrem selten.

Im Baugewerbe müssten Unternehmen durchschnittlich nur einmal in 20 Jahren mit einer Kontrolle rechnen, berichtete Feiger, den die knapp 350 Delegierten kurz zuvor mit satten 84,3 Prozent der Stimmen erneut zu ihrem Vorsitzenden bestimmt hatten. In der Forstwirtschaft kommen die Kontrolleure des Zolls nur alle 25 Jahre vorbei, in der Landwirtschaft dauert es im Schnitt sogar über 90 Jahre. »Ohne Kontrollen funktioniert es aber nicht«, so der IG BAU-Vorsitzende. Im Jahresdurchschnitt müsse mindestens jedes zehnte Unternehmen einmal überprüft werden, forderte er. Um das sicherzustellen, müssten 16 000 Kontrolleure der beim Zoll zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit im Einsatz sein. Derzeit sind es weniger als die Hälfte. Eine höhere Kontrolldichte sei jetzt besonders wichtig, um zu verhindern, dass die vielen geflüchteten Menschen »über den Tisch gezogen und ausgebeutet« werden, so der Gewerkschaftschef.

Um das zu erreichen, schlägt die IG BAU zudem die Einrichtung eines bundesweiten Mindestlohn-Melderegisters vor. Darin sollen Firmen gespeichert werden, die sich nicht an die Vorgaben halten, um dann von der Vergabe öffentlicher Aufträge »rigoros ausgeschlossen« zu werden. Der Staat könne und müsse die Einhaltung seiner Regeln zur Bedingung machen. Und nicht nur das: Die Baugewerkschaft fordert auch, dass das im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP versprochene Bundestariftreuegesetz schnell beschlossen wird. »Gerade in der Krise brauchen wir Leitplanken für ordentliche Arbeit und guten Lohn«, erklärte Feiger. Das Gesetz soll die öffentliche Auftragsvergabe an die Einhaltung von Tarifverträgen knüpfen, wovon sich die Gewerkschaft eine deutliche Erhöhung der Tarifbindung verspricht. Auf Landesebene bestehende Tariftreuegesetze müssten allerdings erhalten bleiben, wenn sie über die bundesweiten Regelungen hinausgingen.

Denn auch der erhöhte gesetzliche Mindestlohn reicht bei Weitem nicht, dem Problem des »Arm trotz Arbeit« ein Ende zu setzen. Die Lohnuntergrenze sei lediglich eine Mindestabsicherung, betonte Feiger. Deshalb brauche es darüber hinaus eine Stärkung des Tarifsystems. Dafür möchte die IG BAU staatliche Anreize schaffen: Gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte, aber auch tarifgebundene Firmen sollten »exklusive Steuervorteile« erhalten. Feiger kritisierte, dass derzeit auch sogenannte OT-Verbände – also Arbeitgeberverbände ohne Tarifbindung – als Körperschaften öffentlichen Rechts steuerlich begünstigt würden.

Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns selbst bedeutet zwar keine Stärkung der Tarifbindung. Sie könnte aber zur Anhebung des in Tarifverträgen vereinbarten Entgeltniveaus führen, insbesondere in den unteren Lohngruppen. Die 12-Euro-Untergrenze werde sich von Branche zu Branche unterschiedlich auswirken, meinte Feiger auf »nd«-Nachfrage. Seine Gewerkschaft werde jedenfalls nur noch Tarifverträge unterschreiben, deren untere Entgeltgruppen deutlich über dem gesetzlichen Mindestniveau liegen. Sichtbar wird der positive Effekt des steigenden Mindestlohns bereits in der Gebäudereinigung, wo die unterste Lohngruppe um rund 14 Prozent auf 13 Euro pro Stunde angehoben wird – und zwar ebenfalls am Samstag, zeitgleich zur gesetzlichen Mindestlohnerhöhung.

Dass die Gewerkschaften auf den gesetzlichen Mindestlohn angewiesen sind, um das Lohngefüge einigermaßen zu stabilisieren, ist freilich auch Ausdruck ihrer Schwäche. »Am liebsten wäre es mir, wir würden gemeinsam mit den Arbeitgebern eine flächendeckende Tarifbindung hinkriegen«, so Feiger. Denn: »Wir haben viele weiße Flecken. Da ist es legitim, dass der Staat durch den gesetzlichen Mindestlohn ein Niveau sichert, das deutlich über der Grundsicherung liegt.« Für ihn ist aber klar: »Besser ist es mit Tarifbindung.«

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