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Geheimdienst warnt vor Enteignern

Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz mischt sich in eine Unterschriftensammlung ein

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Initiative »Hamburg enteignen« sammelt Unterschriften.
Die Initiative »Hamburg enteignen« sammelt Unterschriften.

Auch in Hamburg wurde am Samstag im Rahmen der bundesweiten Kampagne unter dem Motto »Hände hoch – Mietenstopp« demonstriert. Mitveranstalterin war neben den beiden Hamburger Mietervereinen und der Mieterinitiative Steilshoop auch die vor einem Jahr gegründete, sehr agile Initiative »Hamburg enteignet«. In der Hansestadt war der Erfolg des Volksentscheids in Berlin vor einem Jahr der Anstoß, in Anlehnung an die Berliner Initiative ebenfalls einen Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen anzugehen. Dass die Hamburger Demo um 13 Uhr am Berliner Tor startete und zum Rathaus führte, war da eine passende Symbolik.

»Hamburg enteignet« begann Mitte September mit der Sammlung der benötigten 10 000 Unterschriften. Erklärtes Ziel der Initiative ist es, diese Zahl deutlich zu übertreffen und dann über die zweite Phase, das Volksbegehren, möglichst schnell zu einem Volksentscheid zu kommen, der parallel zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl 2025 stattfinden könnte.

Gefordert wird die Vergesellschaftung aller Wohnungen von privaten, profitorientierten Wohnungsunternehmen, denen mehr als 500 Wohnungen in Hamburg gehören. Das sind zwar nicht so viele wie in Berlin, in Hamburg gibt es mehr städtischen und genossenschaftlichen Wohnraum. Aber für die vergesellschafteten 70 000 bis 100 000 Wohnungen könnten die Mieten direkt gesenkt werden und dauerhaft bezahlbar bleiben. Über den Mietenspiegel und die Entspannung des übrigen Wohnungsmarktes würden nach Angabe von »Hamburg Enteignet« letztlich alle Mieter*innen profitieren.

Aber am gleichen Tag, an dem die Unterschriftensammlung erfolgreich startete, mischte sich der Inlandsgeheimdienst dagegen ein. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz erklärte: »Die gewaltorientierte ›Interventionistische Linke‹ (IL) strebt zusammen mit anderen Gruppierungen eine Volksinitiative zur Enteignung privater Wohnungsunternehmen in Hamburg an.« Vor der IL warnte der Inlandsgeheimdienst in Hamburg bereits mehrfach: 2019 habe die IL versucht, Fridays for Future durch eigene Aktivitäten zum Klimaschutz zu vereinnahmen, was der Verfassungsschutz erfolgreich verhindert habe. Die Warnungen klangen bereits so wie jetzt wieder: »Auch linksextremistische Gruppen wie die IL instrumentalisieren gesellschaftlich relevante, populäre und breit diskutierte Themen, um Bündnispartner auch unter demokratisch engagierten Gruppen zu finden. Und auch bei ›Hamburg enteignet‹ ist die IL bzw. deren Mitglieder ein bestimmender Faktor.« Hamburgs meistgelesene Lokalzeitung »Hamburger Abendblatt« übernahm die Darstellung des Geheimdienstes und überschrieb den Artikel dazu so: »Vor Volksinitiative wird gewarnt«. Eine demokratische Unterschriftensammlung, fast so schlimm wie der Enkeltrick?

Wer bei der Initiative nachfragt, hört etwas ganz anderes: »Es ist ein Skandal, dass der Verfassungsschutz vor uns warnt. Wir nutzen mit der Volksinitiative ein demokratisches Mittel und beziehen uns mit unserer Forderung nach Enteignung großer, profitorientierter Wohnungsunternehmen auf das Grundgesetz«, erklärt Marco Hosemann, Vertrauensperson der Volksinitiative »Hamburg enteignet« gegenüber dem »nd«. Anscheinend verpufft die Warnung des Inlandsgeheimdienstes angesichts der steigenden Mieten: »Die Menschen hält die Schmutzkampagne vom Verfassungsschutz nicht davon ab, sich weiter bei uns zu engagieren und unsere Volksinitiative zu unterzeichnen«, so Hosemann: »Seit unserem Sammelstart am 15. September haben wir bereits weit mehr als 4000 Unterschriften gesammelt.«

Die Initiative »besteht aus vielen verschiedenen Menschen« und werde vom Elan engagierter Aktivist*innen getragen. »Natürlich sind bei uns auch Leute aktiv, die sich vorher schon in anderen Gruppen engagiert haben«, macht Marco Hosemann keinen Hehl aus der Mitarbeit organisierter Linker, »es sind aber auch sehr viele junge Menschen dabei, die sich das erste Mal politisch engagieren.«

Als Heike Sudmann, Abgeordnete der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, vom »nd« gefragt wird, ob sie die Volksinitiative unterstützt, ist die Antwort eindeutig: »Ja, nicht nur ich, sondern Die Linke insgesamt.« Die Fachsprecherin der Linksfraktion für Wohnungspolitik erklärt dem »nd«: »Das Abzocken auf dem Wohnungsmarkt muss gestoppt werden. Es wäre zu schön, wenn Mieter*innen erkennen, dass sie nicht wehrlos ausgeliefert sind.«

Die Aktivitäten des Geheimdienstes kritisiert Sudmann scharf: »Die Verunglimpfung der Aktivist*innen durch den Verfassungsschutz ist nicht nur sachlich falsch, sie ist ein unzulässiger, undemokratischer Übergriff und muss Konsequenzen haben.« Außerdem stelle sich die Frage, wer eigentlich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe – und wer nicht: »Nicht die Enteignung von Wohnungskonzernen ist verfassungsfeindlich, sondern die unkontrollierte, rücksichtslose Profitmaximierung der Konzerne.« Der Geheimdienst tat in seiner Warnung dagegen so, als ob es radikalen Linken eigentlich gar nicht um Vergesellschaftung gehe, sondern um Kommunismus: »Der IL geht es nur vordergründig um bezahlbaren Wohnraum, tatsächlich zielt die IL letztlich auf die Beseitigung des bestehenden Systems, um einen nicht weiter ausgeführten kommunistischen Staat aufzubauen.«

»›Eigentum verpflichtet‹ und ›Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen‹, heißt es im Grundgesetz«, weiß Marco Hosemann: »Das Grundgesetz macht die Enteignung möglich. Die Realität hingegen macht sie notwendig. Deshalb werden wir weiter fleißig in ganz Hamburg Unterschriften sammeln und freuen uns über alle, die uns dabei unterstützen. Damit wir uns Hamburg wieder leisten können.«

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