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»Alles muss auf den Tisch«

Spanien ist ein demokratisches Land, in dem gefoltert wurde. Das zeigt der Dokumentarfilm »Bi Arnas« über Iratxe Sorzabal, Gefangene aus der ETA. Ein Gespräch mit dem Produzenten Kima Arzuaga

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf das Leiden fokussieren: Mari Nieves Díaz, Mutter von Iratxe Sorzabal
Auf das Leiden fokussieren: Mari Nieves Díaz, Mutter von Iratxe Sorzabal

Auf dem Filmfestival in San Sebastian lief »Bi Arnas«, der neue Film von Jon Mikel Fernández, den Sie produziert haben. Er handelt von der Repression des spanischen Staats im Baskenland. Wie würden Sie den baskischen Titel übersetzen?

Interview

Kima Arzuaga ist Filmproduzent. Früher war er Handelsschiffer und professioneller Rudersportler. Er lebt im baskischen Hondarribia und leitet die Firma »Borda Gorri Produkzioak« (Rote Hütte Produktionen), die nun »Bi Arnas« als Dokumentarfilm heraugebracht hat. Der Film handelt von der politischen Gefangenen Iratxe Sorzabal, die gerade in Spanien zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde – auf der Grundlage von Geständnissen, die sie unter Folter gemacht hatte.

»Bi arnas« bedeutet ungefähr »zwei Atemzüge«. Es ist der Atem von Iratxe Sorzabal und ihrer Mutter Mari Nieves Díaz, die hier in einen Dialog über die Folter in Spanien treten. Wir wollten in diesem Dokumentarfilm auf ihr Leiden fokussieren, besonders auf das der Mutter. Iratxe ist eine Freundin von mir, die schwer gefoltert wurde und auf der Basis der erzwungenen Aussagen zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde.

Iratxe Sorzabal wurde 2001 von der Guardia Civil festgenommen und fünf Tage lang gefoltert, konnte aber fliehen. Später gehörte sie zur Delegation der ETA, die mit der spanischen Regierung in Oslo verhandelte. 2015 wurde sie in Frankreich verhaftet und diesen Februar nach Spanien ausgeliefert. Nun spricht sie über ihre Folter.

Ja, wir haben Mutter und Tochter die Möglichkeit gegeben, über dieses Thema zu sprechen, was sie vorher noch nie getan hatten. Ein Folteropfer spricht nur selten über seine Erfahrungen, auch nicht mit seinen nächsten Angehörigen. Der Dialog zwischen den beiden hat als solcher nicht stattgefunden, wir haben ihn für den Film montiert.

Wie wurde »Bi Arnas« auf dem Festival in San Sebastian aufgenommen?

Sehr gut. Auffällig ist, dass direkt nach den Vorführungen dieses Films stets Stille herrscht. Man sieht Tränen im Publikum, der Film geht den Leuten nahe. Einige haben uns anschließend von der Folter erzählt, die sie selbst erlitten haben, vor der sie aber bislang nicht sprechen konnten. Das Reden darüber war für sie wie eine Befreiung. Es scheint, dass wir mit diesem Film den richtigen Ton getroffen haben, ohne in Effekthascherei zu verfallen. Aber Freunde von mir, die auch gefoltert wurden, wollen sich ihn bislang nicht anschauen, weil sie ihren Alptraum nicht erneut durchleben wollen.

Das ist zugleich ein sehr politisches wie persönliches Thema. Wie sind der Regisseur Jon Mikel Fernández und Sie während der Dreharbeiten damit umgegangen?

Das war nicht einfach. Iratxe sorgte sich sehr um ihre Mutter. Sie drängte darauf, sie zu schützen. Und sie hatte Angst, dass sie ihr Inneres nach außen kehren und damit auch selbst angreifbar würde. Mari Nieves hat aber sehr offen gesprochen und wir haben versucht, einfühlsam damit umzugehen.

Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig? Der Kampf der ETA gegen den spanischen Staat ist seit elf Jahren zu Ende.

Das war und ist immer nötig. Seit dem Ende des bewaffneten Kampfs der ETA wird ein einseitiges Narrativ geschaffen. ETA-Opfer erhalten viel Raum und Unterstützung. Das ist verständlich, da auch dort viel Leiden erzeugt wurde. Aber alles muss auf den Tisch: die Polizeigewalt, die Folter und die Todesschwadronen. Das ist unabdingbar, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen und es im Baskenland einen dauerhaften Frieden geben kann.

Aber wissen das die Menschen im Baskenland nicht? Oder richtet sich der Film an den spanischen Staat, der die Folterpraxis meist noch bestreitet?

Im Baskenland war die Folter immer Thema. Eine Studie des forensischen Anthropologen Paco Etxeberria, die er im Auftrag der baskischen Regierung erstellt hat, zeigt die Dimension. Mehr als 5000 Menschen wurden gefoltert. In Spanien wurde das unter den Teppich gekehrt, doch er wird mittlerweile etwas angehoben. Wir sind die Freunde von Iratxe und nutzen ihren Fall, um allgemein die Folter anzuklagen. Es sind noch 190 Personen inhaftiert. 90 Prozent von ihnen wurden auf Basis von Folteraussagen verurteilt. In Iratxes Fall wurden die Folterspuren sogar im Zuge eines Besuchs von Mitgliedern des Antifolterkomitees des Europarats bestätigt. Sie hatte unter anderem viele Verbrennungen durch Elektroschocks.

Obwohl bewiesen war, dass sie in Spanien gefoltert worden war, auch nach dem Istanbul-Protokoll, (dem von der UN anerkannten Standard zur Dokumentation von Folter, Anm. d. Red.) wurde Sorzabal von Frankreich an Spanien ausgeliefert. Warum?

Gegen sie gab es vier europäische Haftbefehle. Drei wurden von den Behörden angenommen, einer wegen Folter abgelehnt, ein Novum in Frankreich. Hätte man alle abgelehnt, stünde Spanien als Folterstaat da. Das traut man sich aber nicht. Dabei ist egal, dass es die ETA längst nicht mehr gibt, denn an der repressiven Maschinerie des spanischen Staats hat sich nichts geändert.

Warum geht die Aufarbeitung von Verbrechen in Spanien so langsam voran? Erst vergangene Woche, fast 50 Jahre nach dem Tod des Diktators Franco, wurde ein Gesetz zur historischen Erinnerung verabschiedet.

Franco hat alles gut festgezurrt. Franquisten sitzen immer noch in wichtigen Positionen der Justiz, der Guardia Civil, der Politik, weshalb alles nur langsam vorangeht. Die Folter ist zudem nicht nur ein Thema der Diktatur, sondern auch der Demokratie. Bis das anerkannt wird, werden wir noch viel Schweiß vergießen. Paco Etxeberria geht aber davon aus, dass demnächst auch Mitglieder der Foltereinheiten den Mund aufmachen werden. Langsam wird das alles ans Licht kommen. Für die Opfer wird das zu spät sein, auch für die, die noch auf Basis der Folteraussagen im Knast sind.

»Bi Arnas«, Regie: Jon Mikel Fernández, Spanien 2022, 55 min. Der Film läuft mit anschließender Diskussion an diesen Orten: 11.10. und 12.10. Berlin, 19.30 Uhr, Moviemento; 12.10. Frankfurt/Main, 20 Uhr, Internationales Zentrum; 12.10. Gießen, 19 Uhr, Alte Kupferschmiede; 13.10. Mainz, 18.30 Uhr, Infoladen Cronopios; 14.10. Wendland, 20 Uhr, Gasthof Meuchefitz; 15.10. Mannheim, 20 Uhr, Wohnprojekt SWK; 16.10. Heidelberg, 21 Uhr, Café Gegendruck; 18.10. Dresden, 20 Uhr, Malobeowo, 19.10. Freiburg, 20 Uhr, Fabrik.

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