Religion zweiter Klasse

Buddhistische Pagode in Lichtenberg steht vor ungewisser Zukunft

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Sonntagvormittag schlägt Mönch Le Minh Loc den Gong. In der vietnamesisch-buddhistischen Pagodengemeinde in der Marzahner Straße in Hohenschönhausen sind gut 40 Vietnames*innen zum Gottesdienst gekommen. Nach dem Gebet isst die Gemeinde, der überwiegend ältere ehemalige DDR-Vertragsarbeiter*innen angehören, noch gemeinsam: Es gibt eine Suppe. Und etliche Gemeindemitglieder gehen einzeln zum Altar, um für ihre verstorbenen Vorfahren zu beten. Deren Fotos hängen am Altar, darunter werden Räucherstäbchen angezündet. Nach dem traditionellen Glauben wohnen die Geister der Verstorbenen am Ort des Totenkults.

Die Unsicherheit ist groß, ob das so bleibt: Nach einem Schreiben des Lichtenberger Bauamtes, das »nd« vorliegt, sollen sie bis zum 7. Januar ausziehen. Sonst drohe ein Bußgeld in Höhe von 5000 Euro oder eine Ersatzfreiheitsstrafe für den Mönch der Gemeinde.

»Ich werde die Pagode persönlich dulden«, sagt hingegen Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) zu »nd«. »Damit trage ich die persönliche Verantwortung und lehne mich weit aus dem Fenster.« Diese Duldung würde aber nur so lange gelten, wie er Baustadtrat ist. Denn auch nach Hönickes Rechtsauffassung ist die Existenz der Pagode am angestammten Ort rechtswidrig. Der Grund: Sie liegt in einem Gewerbegebiet.

Die Gemeinde existiert seit 2006. Damals wandelten einzelne Buddhistinnen das Pförtnerhäuschen eines Asia-Marktes in eine Pagode um. Dass sie dafür beim Bauamt einen Umwidmungsantrag hätte stellen müssen, wusste die Gemeinde nicht. Den hätten sie damals problemlos bekommen, denn 2006 gab es dort viel Leerstand.

2016 wurde die bestehende Pagode im Schwarzbau erweitert. Den bemerkte das Bauamt zwei Jahre später. Dieses belangte die Gemeinde aber nicht mit einem Ordnungsgeld, das diese akzeptiert hätte, sondern forderte die Schließung der gesamten Pagode. Begründung: Der Platz im Gewerbegebiet sei für ein produzierendes Gewerbe zu reservieren. Nachdem über den Fall berichtet wurde, lenkte das Bauamt ein und sprach der Pagode immer wieder eine Duldung für jeweils sechs Monate aus.

Bis nun das Schreiben kam, dass damit im Januar Schluss sein soll. Ein finanzierbares Ersatzgrundstück ist nicht in Sicht. Für die Gemeinde, die sich ausschließlich aus Spenden finanziert und in der sich vor allem Vietnames*innen treffen, die kurz vor dem Rentenalter stehen, würde die Schließung das Aus ihrer Gemeinschaft bedeuten. Es ist auch völlig unklar, wohin dann die den Menschen heiligen Buddha-Figuren kommen.

Eine Spezialisierung der Gemeinde ist die professionelle Begleitung im Trauerfall – für viele ältere Vietnames*innen ein sehr wichtiges Angebot. Die Pagode sei aber auch ein Ort, wo sie zur Ruhe kommen könne, wenn sie auf Arbeit Stress habe, sagt Restaurantinhaberin My Ha Phan. »Ich möchte in keine andere Gemeinde wechseln, weil ich hier menschlich verwurzelt bin.«

Gemeinsam mit der Gemeinde hat Ha in der ersten Coronawelle 2020 Masken für Berliner Gesundheitseinrichtungen genäht und für das Personal von Seniorenheimen und Krankenhäusern Essen gekocht. Anfang 2022 fuhr sie regelmäßig mit dem Mönch und Gemeindemitgliedern in Asylunterkünfte in Brandenburg und verteilte Hilfsgüter für vietnamesischstämmige Ukraineflüchtlinge: Koffer, Schuhe, Wäsche. Die hatte die Gemeinde unter Beteiligung anderer Berliner Vietnames*innen aus Spendengeldern im Großhandel gekauft. Inzwischen sind auch vietnamesische Geflüchtete aus der Ukraine in die Gemeinde integriert. Wer in einem Wohnheim lebt, für den ist eher die Pagode als das Wohnheim eine neue Heimat.

Würde statt einer buddhistischen Pagode eine christliche Kirche oder eine jüdische Synagoge an dem Ort stehen, könnte der Bezirk sie nicht vertreiben. Denn diese Einrichtungen genießen im Baurecht ein Religionsprivileg. Baustadtrat Kevin Hönicke hält die Benachteiligung für die buddhistische Pagode deshalb für verfassungswidrig und erwägt den Gang vor den Verfassungsgerichtshof.

Hönicke sagt aber auch, er hätte sich mehr Unterstützung von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gewünscht. Lederer, der auch für Religion zuständig ist, solle ihm gegenüber schriftlich erklären, dass der Buddhismus in jeglicher Hinsicht wie das Christentum und der jüdische Glaube zu behandeln sei. »Schon könnte ich mit der Stellungnahme die Baugenehmigung versuchen auf den Weg zu bringen«, so Hönicke zu »nd«.

Lederers Sprecher, Daniel Bartsch, stellt das anders dar. »2021 war unser Staatssekretär Gerry Woop in direktem Kontakt mit Herrn Hönicke und hat schriftlich und aktiv Lösungsvorschläge unterbreitet, die eine langfristige Sicherung des Standortes ermöglicht hätten«, sagt Bartsch. »Die Mitteilung, dass die damals gefundene Lösung offensichtlich nicht mehr trägt, erreichte unser Haus erst diesen Monat. Wir suchen gegenwärtig das Gespräch mit allen Beteiligten, teilweise finden diese bereits statt.«

Gegenwärtig läuft im Internet auch eine Petition für den Erhalt der Pagode. Max Müller, der an der Freien Universität zum religiösen Leben der Vietnames*innen in Berlin forscht, hat diese gestartet. Müller will diese dem Lichtenberger Petitionsausschuss vorlegen. Bisher haben rund 350 Menschen unterschrieben.

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