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Von Guernica nach Mariupol

Die Ausstellung »Salud – Picasso Speaking« in Berlin-Hellersdorf ist angesichts des Krieges in der Ukraine hochaktuell

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Picassos »Guernica« (1937) hat nichts an Aktualität eingebüßt.
Picassos »Guernica« (1937) hat nichts an Aktualität eingebüßt.

Klare Standpunkte präsentierte sie schon immer. Doch gerade wird die Neue Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK), 1969 gegründet als basisdemokratischer Verein zur Entwicklung und Förderung von Kunstprojekten, noch stärker als gewohnt zur politischen Akteurin. Das liegt nicht zuletzt an der unfreiwillig eingenommenen Rolle des Verdrängungsopfers im Immobiliendschungel Berlins. Des traditionellen Ausstellungsortes in Kreuzberg verlustig gegangen, überbrückt die Institution die Zeit bis zur Fertigstellung des neuen Domizils nahe dem Alexanderplatz nun mit dem künstlerischen Aufarbeiten des eigenen Archivs.

In dieser Fundgrube steckt auch die aus dem Jahr 1975 stammende Ausstellung »Kunst und Politik am Beispiel Guernica«. Sie machte damals die Westberliner Öffentlichkeit noch einmal darauf aufmerksam, dass der deutsche Luftwaffenverband »Legion Condor«, der an der Seite von General Franco im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte, maßgeblich zur Zerstörung der baskischen Stadt Guernica und zum Tod vieler Menschen beigetragen hatte. Guernica war im Zweiten Weltkrieg zu einem weltweiten Symbol für Terror durch Luftangriffe gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung geworden. Die Ausstellung stellte den Bezug zu Pablo Picassos Gemälde »Guernica« her, erstmals 1937 auf der Weltausstellung in Paris ausgestellt und bis heute eines der bekanntesten Kunstwerke der Moderne.

Auf die damalige Schau bezieht sich nun die neue NGBK-Ausstellung mit dem Titel »Salud – Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten«. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wirkt die Grußbotschaft, die Picasso im Jahr 1937 dem zweiten amerikanischen Künstlerkongress in New York überbrachte und die zentral in der Ausstellung präsentiert wird, wie ein ganz aktuelles Dokument.

Picasso agierte seinerzeit als von der Spanischen Republik eingesetzter Direktor des Museums Prado in Madrid. Er versicherte, »dass die demokratische Regierung der spanischen Republik alle notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, um die Kunstschätze Spaniens während dieses grausamen und ungerechten Kriegs zu schützen. Während die Flugzeuge der Rebellen Brandbomben auf unsere Museen abgeworfen haben, haben das Volk und die Miliz unter Einsatz ihres Lebens die Kunstwerke gerettet und in Sicherheit gebracht.« Als »Rebellen« bezeichnete Picasso die Putschisten um General Franco.

Picasso erinnerte in der Botschaft auch daran, »dass Künstler, die mit geistigen Werten leben und arbeiten, einem Konflikt, in dem die höchsten Werte der Menschheit und der Zivilisation auf dem Spiel stehen, nicht gleichgültig gegenüberstehen können«. Die Umstände, unter denen er, dieser Richtlinie folgend, dem Kulturfunktionär der Spanischen Republik José Renau ein Auftragswerk für den spanischen Pavillon der Weltausstellung zusagte, und wie er sich dann an die Arbeit machte, das wird anhand von Texttafeln und einigen Fotografien minutiös nachgezeichnet.

Daraus entwickeln sich dann weitere Erzählfäden in sehr unterschiedliche Richtungen. Einer beschäftigt sich mit Picassos von behördlichen Schikanen beeinflusstem Aufenthalt im Fluchtland Frankreich. Obwohl bereits Künstler von Weltruhm, wurde ihm die Einbürgerung wegen früherer Nähe zu anarchistischen Organisationen verweigert.

Ein zweiter Strang nimmt Renau in den Blick, den Auftraggeber von »Guernica«. Er war selbst Künstler, galt wegen seiner politischen Collagen als der »spanische Heartfield«. Renau siedelte später in die DDR-Hauptstadt über und arbeitete unter anderem in einer Werkstatt in Hellersdorf an eigenen Wandbildern.

Ein weiterer Aspekt ist die Geschichte von Militärschlägen gegen zivile Infrastrukturen. Das faschistische Italien operierte so bereits im Abessinienkrieg (1935 – 1941). Die brutalen Einsätze von Francos Truppen gegen die Zivilbevölkerung und die Bombardements, unter anderem der »Legion Condor«, gelten aber historisch als Beginn des modernen Krieges gegen zivile Ziele.

Auf bittere Weise ironisch ist es, dass die damalige Sowjetunion das demokratische Spanien unterstützte, während sich der als imperialer Nachfolger der UdSSR aufspielende Wladimir Putin aktuell Angriffe gegen die ukrainische Zivilbevölkerung anordnet. Liest man die Schilderungen der Journalisten aus dem Jahr 1937, die aus ihrem Entsetzen keinen Hehl machten, ist es umso erschütternder, dass sich dies heute wiederholt.

»Salud – Picasso Speaking« wird damit zur hochaktuellen Ausstellung. Picassos Definition eines Künstlers wirkt ebenfalls sehr zeitgenössisch. »Was glaubst du, was ein Künstler ist? Ein Schwachkopf, der nur Augen hat, wenn er ein Maler ist, oder Ohren, wenn er ein Musiker ist, oder eine Leier in jedem Winkel seines Herzens, wenn er ein Dichter ist, oder sogar, wenn er ein Boxer ist, nur seine Muskeln? Im Gegenteil, er ist gleichzeitig ein politisches Wesen, das ständig von Herz zerreißenden, feurigen oder glücklichen Ereignissen bewegt wird, auf die es auf jede Weise reagiert. Wie ist es möglich, kein Interesse an anderen Menschen zu haben und sich kraft einer elfenbeinernen Gleichgültigkeit von dem Leben zu lösen, das sie einem so reichlich bringen? Nein, man malt nicht, um Wohnungen zu dekorieren«, wird er aus einem Interview kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs zitiert.

Picasso entwirft hier das Bild des denkenden, fühlenden und sich ins Leben einmischenden Künstlers. Es ist eine Flaschenpost aus fern wirkenden Zeiten, die nichts von ihrer Relevanz verloren hat.

»Salud – Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten«, bis 14. Januar 2023, NGBK Hellersdorf, Berlin.

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