Investoren auf das Praxisschild

Fehlende Transparenz verhindert bis jetzt, dass Kapitaleinfluss auf ärztliches Handeln sichtbar wird

Ambulante Versorgung ist im MVZ möglich, in einer Arztpraxis, aber auch wie hier in Schwerin, in einem Krankenhaus.
Ambulante Versorgung ist im MVZ möglich, in einer Arztpraxis, aber auch wie hier in Schwerin, in einem Krankenhaus.

Ende September forderte der Landtag von Schleswig-Holstein in einem Beschluss die Bundesregierung auf, Maßnahmen gegen das zunehmende Vordringen von Konzernen und Finanzinvestoren in die Strukturen der ärztlichen Versorgung wie Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu unternehmen. Das ist nur eine Reaktion auf eine Entwicklung, die in Deutschland schon seit einigen Jahren läuft und von der Ärzteschaft in der Regel mit Unbehagen beobachtet wird. Betroffen sind verschiedene Fachbereiche, darunter Augen- und Zahnärzte. Hier sind von teils internationalen Finanzakteuren Arztsitze aufgekauft und auch MVZ-Ketten gebildet worden. Das Problem: Weder in den Facharztgruppen noch in den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) der Regionen weiß man wirklich, in welchem Umfang hier schon Fakten geschaffen wurden und wer im Einzelnen dahintersteckt.

In dieser Situation entschied sich der Virchowbund, das Thema in seiner Bundeshauptversammlung prominent auf die Tagesordnung zu setzen. Ende letzter Woche trafen sich die Delegierten der Organisation in Berlin. Sie vertritt die Interessen der niedergelassenen und niederlassungswilligen Ärzte und unterstützt sie in Fragen der Praxisorganisation.

Die Einführung der Fallpauschalen für die Krankenhäuser Anfang der 2000er Jahre leitete in Deutschland eine neue Qualität der Ökonomisierung im Gesundheitswesen ein. Darauf kommt auch Macus Siebolds von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen schnell zu sprechen. Die mit den Pauschalen angestrebten Steuerungsziele seien zwar verfehlt worden, aber es wurde eine kollektive Denkstruktur geprägt. Bestimmte Glaubenssätze setzten sich durch. Die Kliniken, auch die nicht-privater Träger, sollten immer mehr leisten, immer effizienter werden, erläutert der Internist und Klinikmanagmentwissenschaftler. Damit habe sich ein Denkstil entwickelt, dem sich offenbar kaum jemand entziehen konnte, jedenfalls unterwarfen sich auch die kommunalen und gemeinnützigen Krankenhausträger den so gesetzten Wettbewerbsbedingungen.

Nun steht offensichtlich eine parallele Entwicklung für den ambulanten Sektor an. Möglich wurde das ab 2004 durch MVZ, in denen ambulant tätige Ärzte unter einem Dach arbeiten. Inhaberschaft und ärztliche Behandlung können hier getrennt sein. Den Akteuren in der Gesundheitspolitik war anfangs völlig unklar, dass auch Finanzinvestoren einsteigen könnten.

Ärzte geraten auch im ambulanten Bereich in Widersprüche, sobald sie angestellt arbeiten. Verstoßen werden kann dann schnell gegen die eigenen Berufsordnungen, die je nach Bundesland etwas variieren. Darin heißt es etwa in der Version der Region Nordrhein, dass Ärzte nicht die Interessen Dritter über die der Patienten stellen oder dass sie in Bezug auf ärztliche Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen dürfen. Vor allem in Kliniken in privater Trägerschaft ist letzteres üblich, wenn es auch kaschiert wird. Ein Stichwort ist hier Indikationsausweitung, das heißt, eine Operation wird durchgeführt, obwohl das nach harten medizinischen Kriterien nicht nötig wäre.

Zuerst sollte jedoch im ambulanten Bereich Transparenz hergestellt werden, fordert Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes. Die wirtschaftlich Berechtigten gehörten mit auf das Praxisschild. Aber dies ist juristisch noch nicht zwingend.

Das Dilemma mit der Transparenz muss offenbar auch deshalb als erstes gelöst werden, um objektiv festzustellen, dass private Investoren tatsächlich den unterstellten Einfluss auf das ärztliche Handeln nehmen. Die Diskussion bei der Veranstaltung des Virchowbundes malte hier den Teufel der Rosinenpickerei an die Wand. Vermutet wird, dass nur besonders lohnende Bereiche von den Investoren übernommen würden: Etwa bestimmte Fachrichtungen wie die Radiologie oder dass Arztsitze für MVZ zusammengekauft würden, die in bereits gut versorgten Regionen verankert seien.

Eine Chance für künftige MVZ könnte sein, dass sie als Genossenschaften gegründet werden. Auch auf diesem Weg käme das notwendige Kapital zusammen, rechtlich möglich ist das schon. Virchowbund-Chef Heinrich plädiert außerdem für Eigeneinrichtungen der KVen.

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