Unrealistische Ziele beim Wohnen

Bloße Absichtserklärungen der Bundesbauministerin bei einer Caritas-Veranstaltung

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundesbauministerin Klara Geywitz hält 400 000 neue Wohnungen pro Jahr für machbar.
Bundesbauministerin Klara Geywitz hält 400 000 neue Wohnungen pro Jahr für machbar.

Den »Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut« am Montag haben der Deutsche Caritasverband, der Sozialdienst katholischer Frauen und der Sozialdienst katholischer Männer zum Anlass genommen, ihre jährlichen »Armutswochen« mit einer Fachveranstaltung in Berlin unter dem Motto »Erreichbar, bezahlbar, machbar – Wohnraum schaffen für Armutsbetroffene« zu eröffnen. Trotz prominenter Beteiligung bot diese Veranstaltung wenig mehr als eine Bestandsaufnahme der seit Jahren bekannten dramatischen Situation auf dem Wohnungsmarkt, die aktuell durch die explodierenden Heiz- und Stromkosten und den Zuzug zusätzlich verschärft wird.

Die drei katholischen Verbände beklagten die katastrophale Lage besonders für die Bezieher von Transferleistungen, für Geringverdiener und spezielle »Problemgruppen« wie entlassene Strafgefangene, kranke und psychisch beeinträchtigte Menschen, aber auch für immer größere Teile der Mittelschicht. Doch die erhobenen Forderungen blieben durchweg an der Oberfläche und beschränkten sich weitgehend auf die verbesserte Finanzierung von Präventions- und Beratungsangeboten, bessere Förderung des sozialen Wohnungsbaus und von Genossenschaften sowie von Modellprojekten. Auch die materielle Ausstattung von armutsbetroffenen Menschen soll verbessert werden.

Die Frage der Besitzverhältnisse auf dem Wohnungs- und Grundstücksmarkt, der Nutzung von Immobilien zur Spekulation und Profitmaximierung wird in den Positionspapieren der Verbände aber nicht grundsätzlich thematisiert. Im Gegenteil: Man sieht alle in einem Boot. Wohnraum für armutsbetroffene Menschen könne nur gemeinsam geschaffen werden: »Es braucht konkrete Maßnahmen von Wohnungswirtschaft, Staat, Kirche, Wohlfahrtsverbänden und Zivilgesellschaft«, heißt es dort.

Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, hatte in ihrem Beitrag in erster Linie blumige Versprechungen und vage Zukunftshoffnungen anzubieten. Sie verwies auf das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden und in der laufenden Legislaturperiode für den Bau von 400 000 Wohnungen pro Jahr zu sorgen, davon ein Viertel im geförderten sozialen Wohnungsbau. Ein Ziel, welches allgemein als vollkommen unrealistisch eingeschätzt wird.

Geywitz räumte ein, dass derzeit immer noch mehr Sozialwohnungen pro Jahr aus der Sozialbindung mit gedeckelten Mieten und Belegungsbindungen fallen als neu errichtet werden. In den vergangenen 15 Jahren hat sich der Bestand fast halbiert, auf jetzt rund 1,1 Millionen. Kritiker halten den deutschen Sonderweg der sozialen Wohnraumförderung für eine Mogelpackung: Es handle sich nur um eine Art sozialer Zwischennutzung, weil die mit Fördergeldern finanzierten Bindungen befristet sind – in der Regel auf einen Zeitraum von 15 bis 30 Jahren. Danach können diese Wohnungen wieder zum marktüblichen Preis angeboten werden.

Geywitz benannte dieses Problem und verwies auf die Ankündigung der Koalition, die 1990 abgeschaffte Wohnungsgemeinnützigkeit in modifizierter Form wieder einzuführen, um Fördermittel für die Errichtung oder den Erhalt dauerhaft preisgünstiger Wohnungen einsetzen zu können. Doch konkret ist noch nichts auf den Weg gebracht worden. Und da mit der FDP der verlängerte Arm der privaten Immobilienlobby mit in der Regierung sitzt, ist kaum mit wirklich durchgreifenden Maßnahmen auf dem renditegetriebenen Wohnungsmarkt zu rechnen.

Ferner verwies die Ministerin auf die Wohngeldreform, durch die die Zahl der Anspruchsberechtigten von derzeit 600 000 auf rund zwei Millionen ausgeweitet und die durchschnittlichen monatlichen Zahlungen deutlich erhöht werden sollen. Auch da bleiben viele Fragezeichen. So ist vollkommen unklar, wie die ohnehin hoffnungslos überlasteten Kommunalbehörden eine mögliche Antragsflut zeitnah bewältigen können. So betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer etwa im Berliner Bezirk Neukölln im Juni 2022 knapp 20 Wochen. Und diejenigen Wohnungslosen und von Wohnungsverlust bedrohten Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, haben eh keinen Anspruch auf Wohngeld. Auch die bekannten Absichtserklärungen für den Wohnungsbau fehlten nicht: Genehmigungs- und Planungsstau abbauen, technische Kapazitäten ausbauen, Bauordnungen der Länder vereinheitlichen, um seriellen Wohnungsbau zu ermöglichen oder angesichts des Fachkräftemangels »mehr mit Robotern bauen«.

Auf den folgenden Podiumsrunden zur Wohnungsnot ging es unter anderem um »integrierte Versorgung« durch vernetzte Institutionen, bessere Nutzung großer Wohnungen durch Wohnungstausch, diverse alternative Wohnformen und innerkirchliche Befindlichkeiten. Und so suchte man eine ernsthafte Debatte über wirksame Schritte zur Überwindung der Wohnungsnot bei der Veranstaltung vergeblich.

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