Viele Fragen nach Tod am Arbeitsplatz

Die Aufklärung des Falls Refat Süleyman kommt nicht voran

  • Henning von Stoltzenberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Wochen nachdem ein bulgarischstämmiger Arbeiter tot auf dem Gelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg aufgefunden wurde, mehren sich die Forderungen nach weiterer Aufklärung der Todesumstände. Lokale Initiativen und Gewerkschaften fordern darüber hinaus, den Arbeitsschutz stärker ins Visier zu nehmen.

Sicher ist, dass Refat Süleyman am Morgen des 14. Oktober in die Pause geschickt wurde, die er auf einem Pritschenwagen verbringen sollte, der der Leiharbeitsfirma gehört, bei der er erst wenige Tage angestellt war. Die Leiharbeitsfirma mit Sitz in Oberhausen hatte ihn an eine Reinigungsfirma für Industrieanlagen vermittelt, die ihn dann auf dem Werksgelände des deutschlandweit größten Stahlproduzenten einsetzte. Danach war Refat Süleyman nicht mehr zu finden. Vorarbeiter und Kollegen hatten vergeblich an diesem Tag nach ihm gesucht. Es wurde eine Suche eingeleitet, an der Werkschutz und Polizei beteiligt waren.

Am 17. Oktober fanden Werkskollegen den Leichnam des 26-Jährigen in einem Schlackebecken für Abfallprodukte zur Stahlgewinnung. Laut Stellungnahme der Polizei haben Rechtsmediziner drei Tage später eine Obduktion durchgeführt. Süleyman habe direkt an dem Becken Reinigungsarbeiten vorgenommen und sei dabei ertrunken. Die Ermittlungen dauerten an, auch das Amt für Arbeitsschutz sei eingeschaltet, hieß es. Es gebe keine Hinweise darauf, dass ein Fremdverschulden zum Tod des Arbeiters geführt habe.

Ein großer Teil der bulgarischen Community schenkt dieser Version keinen Glauben. In den sozialen Netzwerken gibt es verschiedene Vermutungen, wie es zum Tod von Refat Süleyman gekommen sein könnte. Auch von einem gewaltsamen Tod ist die Rede. Auf einer Demonstration am 23. Oktober, an der unterschiedlichen Angaben zufolge bis zu 2000 Menschen, vor allem aus der bulgarischen Community, teilgenommen haben, wurden Vorwürfe gegen Behörden und Konzern laut. Vielfach wurde »Adalet«, das türkische Wort für Gerechtigkeit, gerufen. In Bulgarien lebt eine große türkischsprachige Minderheit. Die Demonstration endete vor den Werkstoren von Thyssenkrupp mit einer Kundgebung und der Ankündigung, mit den Protesten fortzufahren, bis Klarheit darüber herrsche, was genau vorgefallen sei.

Von der Konzernleitung äußerte sich dort niemand offiziell. Pressesprecher Mark Stagge verwies auf Anfrage des »nd« auf eine kurze Stellungnahme, in der sich Thyssenkrupp Steel tief betroffen zeigte und sich zu betonen beeilte, dass für alle auf dem Werksgelände tätigen Personen einheitlich hohe Sicherheitsstandards gälten. Zwischen eigenen Beschäftigten, Partnerfirmen oder Besuchern werde nicht differenziert. Eine Unfall-Statistik des Werkes wurde trotz mehrfacher Nachfrage des »nd« allerdings nicht zur Verfügung gestellt.

Zum Thema Arbeitssicherheit recherchiert auch Polina Manolova. Die Forscherin zum Thema EU-Migration mit Schwerpunkt Bulgarien ist Mitbegründerin des Vereins »Stolipinowo in Europa«. Der Vereinsname geht auf einen Stadtteil der bulgarischen Stadt Plowdiw zurück. Er ist mit etwa 45 000 Einwohnern die größte Roma-Siedlung auf der Balkanhalbinsel. Manolova und Süleyman stammen von dort. Die Forscherin hat sich unter den Kollegen des Toten und im Viertel Bruckhausen rund ums Werk umgehört. Dort ist von einem gewalttätigen Konflikt zwischen zwei Personen die Rede. Refat Süleyman sei mit einem von ihnen befreundet gewesen und selbst bedroht worden. Ob dies zutrifft, müssen weitere Ermittlungen ergeben.

Im Gespräch mit dem »nd« kritisierte Manolova den generellen Umgang mit Arbeitsmigranten. Deswegen fordere sie die Abschaffung der Leiharbeit: »Die Leiharbeit als System gehört viel stärker in den Fokus. Es gibt keine soziale Sicherheit und keinen Schutz für die Arbeitsmigranten, doch sie sind auf diese Jobs angewiesen. Die schlechte Bezahlung ist pure Ausbeutung, das sind keine regulären Arbeitsverhältnisse.«

Auch Vertreter der Gewerkschaft IG BAU hatten moniert, dass Leiharbeiter aus Bulgarien wie Menschen dritter Klasse behandelt werden. Um ein erstes Zeichen von Solidarität aus den städtischen Gremien hatte sich Linke-Ratsmitglied Mirze Edis bemüht. Der Integrationsrat sollte auf seiner Sitzung eine Resolution verabschieden. Dies wurde aus formalen Gründen vom Vorsitzenden Erkan Üstünay (SPD) nicht zur Abstimmung gestellt. Protest aus anderen Fraktionen blieb aus.

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