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Magischer Minimalismus
Bei dem Festival »Theater der Dinge« haben Puppen, Figuren und Objekte für sieben Tage Berliner Bühnen erobert
Beim Puppen- und Objekttheaterfestival »Theater der Dinge«, das jedes Jahr von der Schaubude in Berlin ausgerichtet wird, berühren vor allem die ganz kleinen Formen. Unter dem Titel »Spuren der Verunsicherung« werden die Großthemen Migration, Krieg, pandemische Berührungsangst und kolonialistische Aneignung erzählt.
Ein Mann steht auf der Bühne und schüttet Reiskörner in einen aufgeklappten Koffer. Der Koffer enthält kleine Schachteln und andere Objekte, die zu einem architektonischen Ensemble geformt sind. Das kann ein Stadtviertel sein, ein Flüchtlingslager auch. Die Reiskörner, die diesen Ort jetzt fluten, seien Menschen, erzählt Husam Abed, Menschen, die sich zu einer Großdemonstration zusammenfinden. Immer mehr Reiskörner lässt er dabei in dieses Miniaturlager fluten. Klänge von Straßenlärm und sich bewegenden Menschenmassen werden eingespielt. Und tatsächlich beginnt das zuschauende Bewusstsein auf die Bilder der Reiskörner erinnerte Bilder von Demonstrationen zu projizieren.
Abed, ein in Jordanien geborener und seit langem in Prag lebender Puppenspieler, ist ein Minimalist seines Genres. Vor einigen Jahren war er bereits mit seiner Reiskornperformance »Smooth Life« beim Festival »Theater der Dinge« vertreten. In dem Stück für nur acht Zuschauer, die sich um einen Tisch kauerten, den Abed bespielte, verhandelte er die Geschichte seiner Familie: die Flucht aus Palästina, das Leben in Flüchtlingscamps, die Träume, die Sorgen.
In »War Maker«, seiner aktuellen Produktion, führt er als Protagonisten den palästinensischen Künstler Karim Shaheen ein, mit dem er im Flüchtlingslager Jarmouk bei Damaskus zusammenwohnte. Shaheen begegnet uns als Streichholz. Dessen ganze Familie, Vater, Mutter und zwei Schwestern, sind Streichhölzer. Und weil Abed so intensiv zu erzählen vermag, der Tradition des Storytellings eng verbunden, und ihn zudem Begleiter Matej Vejdelek mit eingespielten Klängen sensibel unterstützt und das minimalistische Spiel mit einer Livekamera auf eine Großleinwand überträgt, nimmt man auch diese Streichhölzer als Wesen ernst. Die ganze Magie des Puppen- und Objekttheaters entfaltet sich hier.
Abed fügt der Familiengeschichte der Shaheens noch einen sarkastischen Dreh hinzu. Weil immer dort, wohin das Migrantenschicksal den Helden spült, nach Jordanien oder Gaza, nach Syrien oder Bosnien, ein Krieg ausbricht, spekuliert Abed, dass er der titelgebende »War Maker« sei, ein Kriegemacher eben.
Ähnlich minimalistisch, dabei technisch noch ausgefeilter, ist »Der Kleinste der Samen« der ebenfalls aus Prag kommenden Compagnie FRAS. Nur ein paar Zuschauer*innen versammeln sich in einem kleinen Raum und schauen auf einen runden Tisch, auf dem die Puppenspieler Jakob Sulik und Matej Sumbera Figuren ganz unterschiedlicher Dimensionen platzieren. Mal ist die Rentierherde, die sie spielen, so klein, dass die Figuren an einem langen Stab geführt werden und eine große Lupe sie wie ein magisches Auge vergrößern muss. Dann wieder sind die Figuren fingergroß, zuweilen bestehen sie aus bizarr geformten Wurzeln, die mit beiden Händen bewegt werden müssen.
Erzählt wird die Geschichte einer Rentierherde, die von einem Angehörigen des Volks der Sami vor dem Verhungern gerettet wird, der dabei aber ganz unerhörte Abenteuer überstehen muss. Die an der Theaterhochschule Prag entstandene Produktion bedient sich auch der Techniken des Schattentheaters. Die Lupe konzentriert dann den Lichstrahl, das sich von der Lupe mal entfernende, mal sich wieder nähernde Licht sorgt für ganz große wie ganz kleine Schatten. Auch dies ist magischer Minimalismus.
Bei den Großproduktionen hatte das Kuratorenteam der Schaubude nicht immer eine glückliche Hand. »Hapto« etwa griff zwar ganz brav das wichtige Thema der postpandemischen Berührungsangst auf. Die Performerinnen von Systemrhizoma kamen bei ihrem wenig variablen Positionsspiel aber kaum über die Beweglichkeit der Streichhölzer Abeds hinaus. Shahab Anousha hatte für seine Masterarbeit in den Performance Studies an der Universität Hamburg zwar die faszinierende Idee, mit Objekten wie einem Staubsauger und einer Waschmaschine Geschichten vom Verschwinden zu erzählen. Die einzelnen, teilweise sehr charmanten Episoden fügten sich aber nicht zu einer dramaturgisch starken Geschichte zusammen.
Das am Montag endende Festival zeigt auch einige Produktionen aus der für hochklassiges Objekttheater bekannten spanischen Szene. Die Compagnie Oligor y Microscopia erzählt nach Recherchen in Kuba und Mexiko mit Ansichtskarten, Papier und Blechfiguren sowie Schattenspielen von der »Melancholie des Touristen«. Das katalanisch-chilenische Duo Azkona & Tolosa erkundet in »Teatro Amazonas« die beiden Spektakelgroßbauten Opernhaus und Fußballstadion im brasilianischen Manaus.
Auch aus Frankreich kommen mehrere Produktionen wie etwa »Tiefenrausch«. In dieser Soloperformance verknüpft die wie Shahab Anousha aus Teheran stammende Künstlerin Sayeh Sirvani die Erzählerfigur der Scheherazade mit einer Meerjungfrau und taucht so in die Tiefen der Ozeane ab. Anousha rief nach seiner Performance übrigens zur Solidarität mit den Frauen im Iran auf, die ihre Freiheit einfordern. Die »Spuren der Verunsicherung«, denen dieses Festival im Titel nachgehen will, verdichteten sich in Anoushas Aufforderung zu etwas sehr Konkretem und gar nicht mehr Unsicherem.
In seiner Vielfalt in Mitteln und Methoden, in der Internationalität der teilnehmenden Künstler*innen und auch in der Zusammenarbeit mit über ganz Berlin verstreuten Spielstätten wie dem Tatwerk in Neukölln, dem Theater Strahl am Ostkreuz und dem Kulturhaus Schöneberg mausert sich dieses Festival immer mehr zu einem wichtigen Pfeiler der Kulturmetropole Berlin. Kultursenator Klaus Lederer schaffte es erstmals in seiner Amtszeit, die Eröffnungsrede zu halten. Das darf man dann zumindest kulturpolitisch als eine Spur von Sicherheit für dieses Festival lesen.
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