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Langer Weg aus fossiler Knebelung
Die Energiecharta soll reformiert werden. Immer mehr Mitglieder wollen ganz raus
Wenn am Dienstag die Mitglieder des Energiecharta-Vertrages (ECT) in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator zusammenkommen, geht es um die Wurst: Entschieden werden soll hier über eine Reform des Abkommens, das 1998 in Kraft trat und dem sich mehr als 50 Staaten vor allem in Europa anschlossen. Doch nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass das Relikt aus der Ära fossiler Energiedominanz beim Ausstieg aus der Kohle sowie künftig auch aus Öl und Gas ein gefährlicher Klotz am Bein ist.
Ursprünglich war der Vertrag vor allem dazu gedacht, Investitionen westlicher Energiekonzerne in ehemaligen Ostblockstaaten anzuregen und abzusichern. Kern ist die Möglichkeit, dass ausländische Investoren im Falle einer Enteignung oder anderer politischer Eingriffe Staaten vor eigens geschaffenen internationalen Schiedsgerichten verklagen. In keiner anderen Branche gibt es vergleichbare Möglichkeiten.
Tatsächlich machen die Konzerne üppig davon Gebrauch. Mehr als 200 Verfahren beriefen sich auf den Vertrag, Dutzende Klagen sind derzeit anhängig. In Deutschland wohl am bekanntesten war das Vorgehen des schwedischen Staatskonzerns Vattenfalls, der wegen des deutschen Atomausstiegs 2011 mit Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe vor ein Schiedsgericht in Washington zog. Auch unter dem Druck dieses Verfahrens zahlte der Bund Vattenfall im Rahmen eines Vergleichs später 1,4 Milliarden Euro. Umgekehrt greifen auch deutsche Konzerne gerne zu: etwa RWE mit einer Klage wegen des Kohleausstiegs in den Niederlanden.
Daran, dass die Energiecharta im jetzigen Zustand untragbar ist, besteht kein Zweifel. Selbst der Weltklimarat IPCC bezeichnete die Energiecharta im Sachstandsbericht von 2020 als unvereinbar mit den globalen Klimazielen und dem Europäischen Green Deal. Bereits seit Jahren diskutieren die Mitgliedsstaaten über eine Reform des Vertragswerks. Nachdem 15 Verhandlungsrunden ohne Ergebnis geblieben sind, liegt nun bei dem Treffen in Ulan Bator ein konkreter Reformvorschlag vor, an dem auch EU-Vertreter mitgewirkt haben. Demnach sollen die Klagerechte von Investoren bei fossilen Brennstoffen etwas beschränkt werden, und zwar in der EU sowie in Großbritannien. Grundsätzlich sollen Investitionen in fossile Brennstoffe bis 2033 geschützt werden, bei Erdgasprojekten bis 2043. Zudem soll der Vertrag auf neue Energieträger und Technologien wie Wasserstoff, Biomasse und CO2-Abscheidung ausgeweitet werden.
Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Pläne scharf. »Klagen gegen Klimaschutz bleiben auch nach der Reform möglich«, analysiert Fabian Flues, Handelsexperte von Power Shift. »Die einzige Konsequenz kann der Ausstieg Deutschlands aus dem Vertrag sein.«
Diesen Ruf hat die Ampel-Koalition inzwischen gehört. Die drei Bundestagsfraktionen einigten sich vergangene Woche im Rahmen eines Beschlusses zur künftigen Handelspolitik darauf, zügig den Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag zu beschließen. Das Verhandlungsergebnis der EU über eine Reform habe die eigene Erwartung »nicht ausreichend erfüllt«.
Tatsächlich gibt es in der EU, die selbst Mitglied ist, heftiges Gerangel über das weitere Vorgehen. Am vergangenen Freitag kam im Ministerrat nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit zur Annahme der Reformpläne zustande, denn es gibt genug Kritiker in den eigenen Reihen. Italien war als erstes Land bereits 2016 aus dem Vertrag ausgetreten. Ähnliche Pläne haben neben Deutschland aktuell auch Spanien, Polen, die Niederlande, Frankreich, Slowenien und Luxemburg.
Cornelia Maarfield vom Climate Action Network Europe sprach nach der Nichteinigung in Brüssel von einem »großen Sieg fürs Klima«. Denn damit darf die EU der Reform nicht zustimmen, und so müsste ihre Mitgliedschaft insgesamt vor dem Aus stehen, wie Kritiker hoffen. Doch die EU-Kommission, die die Reformpläne mitträgt, will sich noch nicht geschlagen geben. Brüssel möchte diesen Punkt bei der Konferenz in Ulan Bator von der Tagesordnung nehmen, um später vielleicht doch noch eine Mehrheit in den eigenen Reihen zustande zu bringen. Und Handelsexperte Flues warnt: »Wenn die EU nicht aussteigt, könnten wir noch jahrelang im Vertrag gefangen sein.«
Dass der Austritt einzelner Staaten nicht die Lösung ist, dafür sorgt ein Punkt im Energiecharta-Vertrag, den die Globalisierungskritiker von Attac als »Zombieklausel« bezeichnen: Demnach dauert es zunächst ein Jahr, bis ein beschlossener Austritt offiziell wird, und danach bleibt der Investorenschutz noch weitere 20 Jahre wirksam. Laut einem Rechtsgutachten des Umweltinstituts München könnten aussteigende Staaten dies aushebeln, indem sie per Abkommen untereinander vereinbaren, sich nicht zu verklagen. Und da der Vertrag auch in der reformierten Variante gegen EU-Recht verstoße, bliebe noch die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Ob dies letztlich gelingt, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass die Energiecharta noch lange Probleme bereiten wird. Mit Blick auf die Klimaziele ist sie untragbar.
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