Umstrittene Gewinnabschöpfung

Die Erneuerbaren-Branche fühlt sich durch den Ampel-Entwurf zur Strompreisbremse benachteiligt

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Ampel und die Ökoenergie-Branche haben im Moment ein recht zwiespältiges Verhältnis zueinander. Bei der Energiewende habe die aktuelle Bundesregierung in einem Jahr mehr auf den Weg gebracht als ihre Vorgängerin in vier Jahren, lobt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Zuletzt trübte sich das Verhältnis allerdings erheblich ein. Grund ist die geplante Abschöpfung von Mehrerlösen der Strombranche, um die Strompreisbremse zu finanzieren.

Den Gesetzentwurf dazu hat das Bundeskabinett am Freitag beschlossen. Bei Haushalten und kleineren Unternehmen soll der Strompreis ab Januar für 80 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs bei 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. Für Industriekunden liegt die Grenze bei 13 Cent für 70 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Finanziert werden soll dies teilweise über eine Abschöpfung von – aufgrund der hohen Energiepreise erzielten – Zusatzgewinnen bei Stromproduzenten.

Ursprünglich sollte dies rückwirkend ab März 2022 geschehen. Nach einhelliger Kritik aus der Strombranche wurde der Start auf September verschoben. Im Gesetzentwurf änderte die Ampel den Starttermin erneut: Die Abschöpfung der Mehrerlöse soll nun im Dezember dieses Jahres beginnen. Mit der Verschiebung reagiert die Ampel offensichtlich auf die anhaltende Kritik gerade aus der Erneuerbaren-Branche.

Ihrem Ärger über die Strompreisbremse hatten vor allem die Windkraft- und die Biogasbranche in den letzten Wochen mehrfach Luft gemacht. Nach Bekanntwerden des geänderten Gesetzentwurfs begrüßte BWE-Geschäftsführer Axthelm die Verschiebung auf Dezember. Die Korrektur des Starttermins sei verfassungsrechtlich geboten gewesen, betonte er. Ansonsten bleibt der Verband bei seiner Kritik: Das Gesetz werde »in der Praxis weiter so viele Probleme aufwerfen, dass seine geordnete Umsetzung fraglich ist«, bekräftigt Axthelm.

Wie massiv die Probleme sind, zeigt auch eine vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte Erläuterung zum Gesetz, wie beispielsweise die Mehrerlöse der Stromerzeuger zu berechnen sind. Um die Höhe der Zufallsgewinne aus der Stromerzeugung einzelner Kraftwerke zu ermitteln, sind laut dem Papier Informationen über die erzeugten Mengen, die Produktionskosten und die am Markt erzielten Preise erforderlich. Die erzeugten Mengen seien den Netzbetreibern bekannt. Zu den Produktionskosten, vor allem den Brennstoff- und den CO2-Kosten, gebe es öffentlich zugängliche Daten. Aus all den Angaben würden dann »Referenzkosten« errechnet, erläutert das Ministerium. Für Erneuerbare-Anlagen würden auch noch Informationen aus Geboten bei den EEG-Auktionen herangezogen.

Seit Monaten laufen die Erneuerbaren-Verbände Sturm gegen diese Berechnung der abzuschöpfenden Mehreinnahmen und verlangen, dass wie beim Strom aus Kohle und Atom die realen Zusatzgewinne übers Steuerrecht abgeschöpft werden. Diese Lösung sei bisher von der Regierung offenbar nicht geprüft worden, obwohl andere EU-Staaten genau diesen Weg beschritten, kritisiert Axthelm. Nach wie vor gebe es einen »massiven Eingriff« in den Strommarkt. Das verunsichere die Branche und sei keine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft.

Solange nur das Startdatum nach hinten verschoben wird und es bei dieser Berechnung der Mehrerlöse bleibt, verstößt der Gesetzentwurf offenbar weiter gegen EU-Recht und verletzt die Eigentumsgarantie. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls ein vom Ökostromanbieter Lichtblick vergangene Woche vorgelegtes Rechtsgutachten. Dieses nimmt unter anderem Anstoß an der Abschöpfung »fiktiver Erlöse«, die die Regierung einführen wolle. Das sei nach der EU-Verordnung für die Gas- und Strompreisbremse unzulässig. Die Verordnung lasse nur die Abschöpfung »realisierter« Erlöse zu.

Der geplante Abschöpfungsmechanismus führe zu »tiefgreifenden Verzerrungen« auf dem deutschen Strommarkt und damit zu steigenden Strompreisen für Endverbraucher, zu einem verzögerten Erneuerbaren-Ausbau und im Einzelfall auch zur Zahlungsunfähigkeit von Anlagenbetreibern, heißt es im Gutachten weiter. »Es ist schon absurd: Um die Krise der fossilen Energien abzumildern, bremst die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren«, so Lichtblick-Geschäftsführer Enno Wolf. »Nach der Altmaier-Lücke aus den 2010er Jahren droht der Energiewende nun eine Habeck-Lücke.«

Lichtblick rechnet nach Inkrafttreten der Erlösobergrenze mit einer Klagewelle: »Auch wir prüfen die Möglichkeit, in Luxemburg und Karlsruhe gegen den Erlösdeckel zu klagen«, kündigte Chefjurist Markus Adam an. Wenn Brüssel und Berlin kein Einsehen hätten, bleibe der Branche nur dieser Weg – also zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof.

BWE-Geschäftsführer Axthelm spricht indes von anhaltenden Unzufriedenheiten auch jenseits der Erlösabschöpfung. So bleibe der Ausbau der Windkraft an Land weiter hinter den Erwartungen zurück. Besonders problematisch sei der diesjährige Rückgang genehmigter Windprojekte um – gemessen an der Leistung – 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dem für kommendes Jahr anvisierten Ausbauziel von mehr als 12 000 Megawatt fehle noch das Fundament.

Für 2023 hofft die Branche auf eine von der Ampel-Regierung inzwischen angekündigte Windkraftstrategie sowie darauf, dass endlich die Plattform »Klimaneutrales Stromsystem« eingerichtet wird. Die Plattform, die eigentlich schon in diesem Jahr Ergebnisse hätte liefern sollen, soll die Reformen im Strommarkt vorbereiten, um die Energiewende zu fördern.

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