Proteste in China eingedämmt

Staatsführung setzt weiter auf »Null Covid« und will erst mittelfristig öffnen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Wo noch vor wenigen Stunden einige Einwohner von Peking ihre Freiheit forderten, führt nun der Sicherheitsapparat eine Machtdemonstration par excellence auf: Entlang des Liangma-Flusses parkt alle 20 Meter ein weiteres Polizeiauto mit leuchtenden Sirenen. Weitere Sicherheitskräfte patrouillieren während einer bitterkalten Novembernacht ihre Runden, zahlreiche Staatsbedienstete in Zivil sind an den umliegenden Straßenkreuzungen positioniert worden.

Die ersten landesweiten Proteste in China seit den 1990er Jahren haben Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin keinen Schimmer an Schwäche erlauben will, mit der Bereitschaft zu Kompromissen auf diejenigen zugehen, die demonstrieren? Oder wendet sie erneut Repressionstaktiken an, wie sie es in den letzten Jahren wiederholt getan hat?

Die Antwort fällt spätestens seit Dienstag eindeutig aus. Mehrere Universitäten haben ihre Studierenden in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des Coronaschutzes – in ihre Heimatstädte gefahren. In Shanghai stoppten die Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphones zu filzen: Sämtliche »sensiblen« Fotoaufnahmen oder westliche Messenger-Dienste mussten umgehend gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt.

Mittels Überwachungskameras und der Analyse von Massendaten forscht die Staatssicherheit zudem eifrig nach Teilnehmern der friedlichen Proteste. Mehrere Chinesen haben bereits beklagt, dass sie bei ihrem Arbeitgeber oder ihrer Universität gemeldet wurden. Andere wurden nachträglich von der Polizei wegen ihrer Beteiligung an solchen Aktionen in Gewahrsam genommen.

»Ich rechne in den nächsten Tagen nicht mit vielen groß angelegten Protesten – die Regierung hat ausreichend Durchsetzungskraft, um diese zu verhindern«, kommentiert Taisu Zhang, Professor für Rechtswissenschaften und Geschichte an der US-amerikanischen Yale-Universität, auf Twitter: »Aber den chinesischen sozialen Medien nach zu urteilen, ist der Verlust des politischen Vertrauens in der Bevölkerung ziemlich weit verbreitet und wahrscheinlich nachhaltig.«

Damit die Wut etwas abebbt, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonferenz einberufen. Doch wer sich eine Lockerung der Null-Covid-Politik erhoffte, wurde weitgehend enttäuscht. Immerhin spricht die Regierung nach langer Zeit nun wieder von einer Impfkampagne. »Wir sollten die Impfungen gegen Covid-19 beschleunigen, insbesondere bei älteren Menschen«, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheitskommission – und signalisiert zumindest mittelfristig eine Öffnung des Landes. Doch wie man die niedrige Booster-Rate der über 80-Jährigen, die nach wie vor bei nur 40 Prozent liegt, konkret erhöhen will, ist bislang vollkommen offen.

Viele Demonstranten werden sich durch eine bloße Rücknahme der Pandemie-Maßnahmen nicht zufriedenstellen lassen. Insbesondere die jungen Demonstranten erwarten auch eine Öffnung der Gesellschaft: mehr Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und politischen Wandel. Ihre Stimmen werden jedoch im Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai wenig Gehör finden.

Dabei sollte die Entwicklung der Führung der KP Chinas sehr zu denken geben. Der Staatsapparat mag die Protestbewegung zwar mit Polizeigewalt und Einschüchterung unterdrücken können. Die Gründe für den Volkszorn jedoch kann er nicht auflösen. Immer deutlicher wird die Null-Covid-Sackgasse, in die Xi Jinping sein Land geführt hat: Schon Ende 2020 hatte die Regierung den »Sieg über das Virus« angekündigt, wobei es sich in Wahrheit nur um einen vorübergehenden Waffenstillstand handelte. Spätestens mit der hoch ansteckenden Omikron-Variante ist die Pandemie mit aller Wucht zurückgekehrt, während der Rest der Welt längst versucht, mit dem Virus zu leben.

Die Volksrepublik China hat es allerdings versäumt, die mit null Infektionen gewonnene Zeit für eine umfassende Impfkampagne zu nutzen oder um die Anzahl an Intensivbetten in den Krankenhäusern zu erhöhen. Stattdessen flossen gewaltige Ressourcen in tägliche Massentests und Quarantänezentren. Doch die Null-Covid-Politik stellt Chinas Staatsführung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelbar mit der Person von Präsident Xi Jinping verknüpft, der die Maßnahmen weltweit als einmalige Erfolgsgeschichte gepriesen hat. Diese nun als gescheitert zu erklären, ist für den chinesischen Staat eine überaus heikle Herausforderung.

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