Kampf um Rechte und Sichtbarkeit

Die Situation für queere Menschen hat sich in den vergangenen Jahren in der Ukraine verbessert. Nun kämpfen einige von ihnen im Krieg gegen Russland

  • Peggy Lohse
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir kämpfen jetzt gegen ein viel homophoberes Regime! Bei uns in der Ukraine hat sich seit dem Euromaidan viel für LGBTQ verändert. Also kämpfen wir jetzt auch gegen einen Rückfall in die Zeit vor 2014!« Oleksandr Zhugan ist queer und kämpft seit über neun Monaten als Soldat gegen Russland. Gemeinsam mit seiner non-binären Partnerin meldete sich der Schauspieler direkt nach der russischen Invasion bei der Territorialverteidigung, der Freiwilligen-Armee der ukrainischen Streitkräfte. Am 25. Februar dieses Jahres hielten die beiden erstmals eine Waffe in der Hand.

Seit dem Euromaidan vor bald neun Jahren sind im Bereich der Menschen-, Frauen- und LGBTQ-Rechte zahlreiche Organisationen in der Ukraine entstanden, die vor allem aufklären und die Minderheit sichtbar machen. Homo- und Transphobie waren in der Ukraine lange stark verbreitet. Also wurden Bildungsprogramme für medizinisches Personal, Polizei, Medienschaffende und Lehrkräfte aufgelegt, oft mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland. Gesetzesentwürfe gegen Hassverbrechen und für die »Ehe für alle« wurden geschrieben und verworfen. Queer-freundliche Räume, Arztpraxen und Schutzräume für Opfer häuslicher Gewalt wurden aufgebaut, aber auch immer wieder von rechtsradikalen Gruppen angegriffen.

Unter den Kriegsbedingungen wandeln sich nun Selbstverständnis und Engagement von Queer-Nichtregierungsorganisationen in der Ukraine rasend schnell. Sie organisieren neue Schutzwohnungen für queere Flüchtende aus den Kriegsgebieten in sicheren Regionen. Sie sammeln Spenden für die Zivilbevölkerung und Armee-Einheiten. Manche Queers melden sich an die Front, andere koordinieren humanitäre Hilfe.

In der Armee, erzählt Zhugan, habe er auch schon nationalistische Leute getroffen. Früher griffen solche Leute queere Events an. »Jetzt sehen sie uns kämpfen und respektieren uns dafür. Als wir uns im April für den Einsatz an der Südfront meldeten, sagte uns ein Kommandeur: ›Ich hatte schon viele schwule Leute in meiner Einheit. Hauptsache, du bist ein guter Soldat. Dann ist es egal, wen du liebst.‹«

Aber natürlich gebe es auch negative Fälle. So nennt der November-Bericht von der Nichtregierungsorganisation Nasch Swit (Unsere Welt) als größtes Problem für LGBTQ neben der Ausreise für trans* Personen und HIV-Positive gerade Diskriminierung in der Armee. 60 von 74 registrierten Verstößen gegen Menschenrechte in dem Land aufgrund von sexueller Orientierung oder Genderidentität wurde der NGO zwischen 24. Februar und 31. Oktober aus dem Militär gemeldet. Dennoch schlussfolgert der Bericht: Homophobe Einstellungen in den ukrainischen Streitkräften seien weder systemisch noch weit verbreitet, die Vorgesetzten reagierten zumeist angemessen.

»Wir haben viel Glück!«, betont auch Zhugan. »Ich habe im zivilen Leben mehr Homophobie erlebt als hier in der Armee.« Noch 2021 war das Paar in Kiew mit Pfefferspray angegriffen worden. »Früher fühlte ich mich hilflos gegenüber Angriffen, aber jetzt als Soldat weiß ich, dass und wie ich mich verteidigen kann.« Er nimmt heute mehr Toleranz, mehr Zusammenhalt wahr. »Alle sehen: Wir Queers sind Teil der Gesellschaft. Und Homophobie ist Teil des russischen Narrativs

Im Mai zeigte eine Studie von Nasch Swit und dem Kiewer Internationalen Institut für Soziologie (KIIS), dass mit 57,6 Prozent mehr als die Hälfte aller befragten Ukrainer gegenüber LGBTQ positiv oder wenigstens gleichgültig eingestellt sind. Seit 2016 hat sich die Zustimmung zu der Frage, ob LGBTQ-Personen die gleichen Rechte haben sollten, nahezu verdoppelt. 63,7 Prozent unterstützten diese Forderung. Diese Frage ist für Queers in der Armee wie Oleksandr Zhugan sehr wichtig. Denn ohne Ehe oder eingetragene Partnerschaft können sie bei einem Todesfall weder Informationen bekommen noch den Körper beerdigen.

Im Mai hatte eine Petition für die Ehe für alle in wenigen Tagen mehr als 25 000 Unterschriften gesammelt. Wochen später antwortete Präsident Wolodymyr Selenskyj: Die Verfassung versteht die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau und darf unter Kriegsrecht nicht verändert werden. Es bleibe aber die zivile Partnerschaft.

LGBTQ-Organisationen setzen ihre Informations-Kampagnen fort. Neue queere Aktivist*innen beraten den Menschenrechtsbeauftragten der Regierung. Kurz bevor die Ukraine Ende Juni EU-Beitrittskandidat wurde, hatte sie schon die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert. Laut Nasch-Swit-Bericht ist »der Einfluss der ultrakonservativen ukrainischen Kirchen auf die staatlichen Behörden und besonders Mitglieder des Parlaments deutlich zurückgegangen«.

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