Alles ist Oberfläche

Ficken ist Liebe: Zu seinem 20. Todestag widmen mehrere deutsche Kunstinstitutionen dem Maler Michel Majerus umfangreiche Ausstellungen

  • Falk Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.
Derzeit im KW Institute for Contemporary Art zu sehen: Eine Arbeit Majerus’ ohne Titel (1991)
Derzeit im KW Institute for Contemporary Art zu sehen: Eine Arbeit Majerus’ ohne Titel (1991)

Vor 20 Jahren starb Michel Majerus mit 35 Jahren bei einem Flugzeugabsturz. Die Propellermaschine der Luxair war am 6. November 2002 auf dem Weg von Berlin-Tempelhof nach Luxemburg, am Zielort herrschte dichter Nebel, das Flugzeug zerschellte wenige Kilometer vor der Landebahn, 20 von 22 Insassen kamen ums Leben. Majerus, geboren 1967 in Esch-sur-Alzette (Luxemburg) und seit 1992 in Berlin ansässig, war damals gerade auf dem Weg zum Kunststar, zwischen den Resten der Pop Art und einem Popverständnis, das neue Technologien ebenso wie digitale Medien, Politik und Aktivismus mitzudenken versuchte – und wurde so zu einer Art Märtyrer der knallig-lauten Kunst, überhöht in Gruppenausstellungen wie »pop reloaded« in Liverpool und Berlin. Nun nehmen fünf Kunstinstitutionen in Hamburg und Berlin den Todestag zum Anlass, noch einmal neu auf Majerus’ Arbeit zu schauen, nüchterner, analytischer. Und dreizehn weitere deutsche Museen nutzen die Gelegenheit, ihre Sammlungsbestände nach Werken des Frühverstorbenen zu sichten, sprich: Über den Jahreswechsel gibt es eine ziemliche Majerus-Schwemme.

Im Eingangsbereich des Berliner KW Institute for Contemporary Art springt einen ein Hakenkreuz an: großformatig auf rosa-monochromer Leinwand, dazu der Text »Learning is easy«, »eins, zwei, drei« lautet der zackige Titel. »eins, zwei, drei« ist 1992 entstanden und beschreibt den Moment, als Majerus in der Clubszene der vereinigten Stadt aufschlug: linkes Bewusstsein, aber mit dem wohligen Schauer, der einen beschleicht, wenn man sich an faschistische Ästhetik kuschelt. Direkt gegenüber hängt ein weiteres Gemälde, ein Jahr später entstanden: auch hier eine monochrome Fläche, auch hier ein rechtwinkliger Haken, eine blaue Linie, die im tiefen Braun eine 90-Grad-Drehung macht. Das Bild heißt »der weg vom atelier zur galerie«, natürlich, man sieht eine stilisierte Landkarte, aber dass das Land tiefbraun ist, das lässt sich dann vielleicht doch politisch lesen? Und der Weg vom Atelier zur Galerie, das ist auch der Weg von der Kunstproduktion zum Kunstmarkt, von der Arbeit zum Kapital – Majerus’ Bilder sind schon in dieser frühen Phase mehrfach codiert, und es macht Spaß, diese Codes zu entschlüsseln. Auch wenn man dann doch immer wieder auf die Abstraktion zurückgeworfen wird, auf klare, einfache Farbflächen, die diese Bilder eben auch sind.

Die Ausstellung in Berlin zeigt unter dem Titel »Early Works« Majerus’ Frühwerk, parallel dazu sind im Hamburger Kunstverein unter dem Titel »Data Streaming« späte Arbeiten des Künstlers zu sehen – wobei Früh- und Spätwerk bei einem gerade mal gut zehn Jahre umfassenden Œuvre natürlich schwer unterscheidbar sind. Was allerdings deutlich wird: Schon der Nachwuchskünstler hatte ein Faible für große Formate, bei den späten Arbeiten in Hamburg sind die Bilder riesig geworden, es sind Wandarbeiten, am Ende sogar eine Installation namens »the space is where you’ll find it« (2000), die die Malerei hinter sich lässt und zum Raum wird.

2001 entstand »Thälmannkart«, eine Collage in Acryl und Bleistift auf Baumwolle, die einerseits ein Still aus dem Videospiel »Super Mario Kart« beinhaltet, andererseits ein DDR-Kalenderblatt, das Arbeiter beim Eisenbahnbau zeigt. Das Bemerkenswerte ist dabei weniger die laute Farbigkeit beider Darstellungen, es sind auch nicht die unterschiedlichen Zugriffe auf die Comic-Ästhetik, sondern es ist das Bekenntnis zum Proletariat. Das DDR-Bild ist eine mittels Niedlichkeit etwas der Realität enthobene Szene aus der Arbeitswelt, und während »Super Mario« zwar in einer absoluten Phantasiewelt spielt, entspringt Titelfigur dem konkreten proletarischen Alltag. Mario ist Klempner. Gas, Wasser, Scheiße! Ein Klempner, der haarsträubende Abenteuer erleben muss.

Diese Sympathie für die Welt der Arbeit ist echt, sie hat nur keine politischen Folgen. Majerus malt, was er mag, und das sind Computerspiele, Popmusiker, Figuren aus der Netzwelt. Und eben auch Arbeiter. In Berlin hängt »celebration generation« von 1994, eine Flugschrift, in der die fünf damals im Bundestag vertretenen Parteien in Grund und Boden verdammt werden: »Alle 5 wollen das Deutsche Volk auslöschen«, heißt es in diskutabler Rechtschreibung, »durch eine Promenaden-Mischung aus allen Völkern der Welt: Multi-Kultur. Darum sind sie nicht wählbar!« Ist Majerus ein Rechter? Oder doch nur politikverdrossen? Nein: Der Autor des kruden Textes ist ebenfalls angegeben, »K. Alber, Berlin-Mitte«. Man kann aus diesem Bild keine politische Botschaft herauslesen, bis auf die, dass dem Künstler die wirren Aussagen Freude bereiten.

Diese Freude ist ein Zugang zur Arbeit von Majerus, eine Freude, die ihren Ursprung im Spiel und in der Begeisterung für die technischen Möglichkeiten hat, nicht im analytischen Durchdringen von Inhalten. Majerus sei ein User gewesen, kein Hacker, beschreibt Milan Ther, Direktor des Hamburger Kunstvereins, die stark auf Computerspiel-Ästhetiken basierenden Arbeiten aus dem Spätwerk. Neben Mario Kart tauchen in Hamburg Motive aus dem frühen Videospiel »Space Invaders« auf, oder Porträts des Hacker-Stars Tron, aber: Majerus scheint sich gar nicht für das Spiel zu interessieren, er interessiert sich für die ästhetischen Eigenarten der Pixelgrafik, genauso wie er sich nicht für die konkrete Figur des als Tron bekannten Boris F. interessiert, sondern für eine mythisch überhöhte Ikonographie, die er mit Promobildern aus dem Science-Fiction-Film »Tron« koppelt. Alles hier ist Oberfläche, darin ist diese Kunst den Vorläufern aus der Pop Art verwandt, aber die Oberfläche erscheint nicht mehr glatt und poliert, sondern als fröhliche Basis eines expressiven, chaotischen und leidenschaftlichen Spiels mit Zeichen.

»Fuck« von 1992, ausgestellt in Berlin, ist eine Suada der Beschimpfungen: »Fuck Schnabel, Fuck Kippenberger, Fuck Gilbert & George« und so weiter. Ist okay. Interessant aber: Wenn man Majerus’ Arbeit ernst nimmt, dann sind die hier Beschimpften durch die Bank Künstler, zu denen er eigentlich eine inhaltliche und ästhetische Verwandtschaft fühlen müsste, in der Begeisterung für Oberflächen, in der Ironie, in der Popkulturnähe. Ficken ist Liebe, so lässt sich »Fuck« auch lesen. Vielleicht muss man diese Kunst einfach wörtlich nehmen.

»Michel Majerus: gemälde 1994«, bis zum 14. Januar, neugerriemschneider, Berlin
»Michel Majerus: Early Works«, bis zum 15. Januar, KW Institute for Contemporary Art, Berlin
»Michel Majerus«, 17. Dezember bis zum 5. Februar, Neuer Berliner Kunstverein
»Michel Majerus: Data Streaming«, bis zum 12. Februar, Hamburger Kunstverein
»kosuth majerus sonderborg«, bis zum 18. März, Michel Majerus Estate, Berlin

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