LNG fließt noch vor Weihnachten

Das erste deutsche Terminal ist startklar

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Wasserschutzpolizei nahm die »Höegh Esperanza« am Donnerstag an der Zwölf-Meilen-Grenze in Empfang. An Land sichern weitere Einsatzkräfte das aus Spanien kommende Spezialschiff, das eine kleinere Menge verflüssigtes Erdgas (LNG) an Bord hat, und den Anleger ab. Noch bis Sonnabend bleiben mehrere Straßen in Wilhelmshaven gesperrt. Die Behörden fürchten Störaktionen von Umweltaktivisten. Die Sicherheitsmaßnahmen werden erst nach der Eröffnungsfeier aufgehoben. Zu dem Festakt am Sonnabend haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angekündigt. Am 22. Dezember soll dann zum ersten Mal per Tanker importiertes Erdgas über ein hiesiges Terminal direkt ins deutsche Netz fließen.

Nur 194 Tage nach dem ersten Rammschlag war der neue Anleger in Wilhelmshaven Mitte November fertiggestellt worden. Damit LNG (engl. Liquefied Natural Gas) in Katar, USA, Australien oder Russland – den weltweit wichtigsten Exportländern – auf ein Schiff verladen werden kann, muss Erdgas zunächst an Land auf circa minus 161 Grad abgekühlt werden. Durch den Kälteschock wird das üppige Volumen erheblich reduziert: Aus 600 Kubikmetern Gas wird ein Kubikmeter LNG.

So geschrumpft kann das verflüssigte Erdgas an Bord eines bis zu 350 Meter langen LNG-Tankers gepumpt werden. Moderne Schiffe haben keine massiven Kugeltanks mehr. Die Wände der riesigen, dem Schiffsrumpf angepassten Behälter bestehen aus dünnen Membranen aus Blech, die weniger als ein Millimeter stark sind. Ummantelt werden sie mit Sperrholz oder Schaumstoff. Diese Isolierung hält das LNG lange tiefgekühlt. Das ist notwendig, weil die Tanker keine aktive Kühlung besitzen.

Auf hoher See erwärmen sich mangels Kühlsystemen Teile des verflüssigten Gases und werden dann »abgekocht«, erklärt Martin Roolvink von Pronav Ship Management in Hamburg. Die Firma betreibt über 50 LNG-Tanker. Alte Schiffe verlieren dadurch innerhalb einer vierwöchigen Fahrt bis zu fünf Prozent ihrer Ladung, bei Membran-Tankern halbiert sich der Verlust auf 0,1 Prozent am Tag. Durch Ventile wird das überflüssige Gas abgelassen, im schlechtesten Fall abgefackelt und in der Regel für den Antrieb des Schiffes genutzt. Viele der über 600 großen LNG-Tanker, die bisher vor allem Japan, China und Südkorea sowie asiatische Entwicklungsländer wie Pakistan versorgen, verfügen über Dual-Fuel-Motoren, oft made in Germany, die mit Diesel oder mit Gas betrieben werden können. Der komplexe Prozess verschlingt große Mengen an Energie: Experten zufolge werden dadurch rund zehn bis 25 Prozent des Heizwertes des Erdgases verbraucht. Das ist deutlich mehr als bei einem reinen Pipelinetransport. Auch deshalb ist LNG Klimaaktivisten ein Graus.

Die ersten Tanker sollen Wilhelmshaven Anfang kommenden Jahres anlaufen. Das schwimmende Terminal hat die für zehn Jahre bei der norwegischen Reederei Höegh gecharterte »Höegh Esperanza« mit an Bord. Von diesen im Branchenjargon »Floating Storage and Regasification Units«, kurz FSRU, gibt es weltweit 46 Stück. Die Bundesregierung hat davon fünf gechartert. Da die FRSU im Regelfall aus laufenden Verträgen herausgekauft werden mussten, werden diese, wie auch das LNG selbst, richtig teuer. Ursprünglich waren im Bundeshaushalt noch 2,94 Milliarden Euro für die Terminals vorgesehen. Doch kürzlich bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages zusätzliche Milliarden. Bis zu zehn Milliarden könnten es jetzt werden. Victor Perli, umverteilungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, spricht von »einem Fass ohne Boden«. Und ein Ende der Kostenexplosion sei nicht in Sicht.

Zwei FSRU sollen in Wilhelmshaven, jeweils eines in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein), Stade (Niedersachsen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) festmachen. In Lubmin soll außerdem das Terminalschiff privat bewirtschaftet werden. Als LNG-Lieferanten sind laut Bundeswirtschaftsministerium vor allem Uniper, RWE und die Leipziger VNG vorgesehen. Woher das Gas zeitnah kommen soll, bleibt unklar. Die Kapazität eines FRSU beziffert die Forschungsstelle für Energiewirtschaft auf 50 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a). Russland hatte 2020 über 650 TWh/a nach Deutschland geliefert.

Der erste Tanker in Wilhelmshaven wird sich dann an die Seeseite des Terminal-Schiffes legen. Das kalte LNG wird mittels der Exportpumpen des Tankschiffs gelöscht und auf dem FRSU zwischengelagert. Nach und nach wird es mithilfe von Wärmetauschern erwärmt und wieder in einen gasförmigen Zustand versetzt. Über Entladearme strömt das Gas dann an Land, wo es ins Leitungsnetz eingespeist werden kann.

Claus Brandt, Geschäftsführer des Deutschen Maritimen Zentrums, sieht »operative und sicherheitstechnische Herausforderungen« beim LNG-Transport mit Schiffen. Schließlich seien schwimmende Terminals und große Tankschiffe noch nie in deutschen Gewässern eingesetzt worden. An Bord droht den jeweils 25 bis 30 Seeleuten Kältebrand, kämen sie mit dem minus 161 Grad kalten LNG in Berührung. Der Stahl des Schiffes würde in einem solchen Fall porös. Dazu wird es nicht kommen, ist Martin Roolvink überzeugt. Der Grund seien die geschlossenen Systeme der Tanker und eine »permanente Überwachung« der Thermodynamik.

LNG-Tanker unterliegen Sicherheitsbestimmungen ähnlich wie Kreuzfahrtschiffe. Und werden genauso häufig kontrolliert. An Bord arbeiten speziell ausgebildete Seeleute. Matrosen und Offiziere seien der »Flaschenhals« für den weiteren Ausbau der LNG-Flotte, sagt Roolvink, und werden entsprechend gut bezahlt. Ein Kapitän – die meisten kommen aus Kroatien, der Ukraine, Indien und Russland – verdient wie ein Fußballprofi. Trotz der seit Langem steigenden globalen Nachfrage nach LNG habe es noch keinen großen Unfall gegeben. Auch weil in Sicherheitsfragen »der Kapitän an Bord immer das letzte Wort hat«.

Umweltschützer feiern bei dem Festakt in Wilhelmshaven natürlich nicht mit. Sie bereiten eine Klage vor und verweisen darauf, dass die »Höegh Esperanza« im Jahr 2019 von den australischen Behörden abgelehnt wurde, weil die Rohrleitungen mithilfe von Chlor freigehalten werden. Das wird dann bei Wilhelmshaven ungeklärt in die Nordsee geleitet – pro Jahr etwa 35 Tonnen.

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