Honigaroma gegen Windwein

Welchen Roten soll man Heiligabend trinken – zu Kartoffelsalat und Käse? Das nd-Feuilleton kürte den Weihnachtswein 2022

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 5 Min.
Heiligabend braucht es auf jeden Fall eine gute Basis, um nicht durchzudrehen.
Heiligabend braucht es auf jeden Fall eine gute Basis, um nicht durchzudrehen.

Ja, ja, Weihnachten soll alles stimmen, schmecken, funktionieren. So geht’s natürlich nicht, klar. Je höher die Erwartungen, desto schwieriger der Abend. Unsere Empfehlung: durchatmen. Und Rotwein trinken. Denn für diesen Abend braucht es auf jeden Fall eine gute Basis, um nicht durchzudrehen. Und dann mal sehen, was so passiert.

Aber welchen Rotwein soll man nehmen? Das nd-Feuilleton hat vorab fünf ausgewählte Rotweine getestet, alle nicht so teuer und nicht so angeberhaft. Denn das ist unser sozialistischer Ansatz. Und so schwer sollten sie auch nicht sein: zwei aus Südfrankreich (Roussillon, Provence), zwei aus Italien (Venetien, Nordapulien) und einen aus Nord-Slowenien. Maßgabe war, dass sich der Rotwein als Begleiter zum Kartoffelsalat bewähren sollte. Denn dieser steht bei mindestens jeder dritten, wenn nicht gar jeder zweiten Familie zu Heiligabend auf dem Tisch, als Basis der Festtage, alles andere ist Überbau, marxistisch gesprochen. Und da wir uns in Berlin befinden, wählten wir die norddeutsche Variante (mit Joghurt-Dressing) und Buletten statt Wiener Würstchen. Oder wie es der Redaktionsgelehrte ausdrücken würde: »Manche Menschen trinken Wein sogar zu richtigen Gerichten.«

Begonnen wurde mit einem Valpolicella von 2021 aus der Region Verona. Eine überaus höfliche Erscheinung, sehr dezent im Auftreten, was beim nd-Weinteam Erstaunen hervorrief: Dieser Valpolicella passe besser zum Sommer als unter den Weihnachtsbaum, wurde ausgerufen, ja, er sei geradezu »ein Schwimmbadwein«. Man könne ihn sehr gut unkonzentriert konsumieren, als eine Art »Zerstreuungswein«, meinte der Literaturredakteur. Er sei generell »zu leicht«, befand der Theaterredakteur und schlug vor, ihn eventuell beim Schlittenfahren zu trinken. Doch gerade diese Unbestimmtheit sei von strategischem Vorteil, warf die Kunstredakteurin ein, denn man könne diesen Wein praktisch zu allen Gelegenheiten gebrauchen. Die Begleitung des Kartoffelsalats war jedenfalls kein Problem. Nur dem Redaktionsgelehrten hatte er »zu viel Alkohol«, was ab einem bestimmten Niveau wie ein »Geschmackskiller« wirke.

Als nächstes kam ein Wein aus Slowenien auf den Tisch, eine Cuvée aus Zweigelt und Blaufränkisch, abgefüllt in Marof im Dreiländereck Österreich-Slowenien-Ungarn. An diesem Abend wurde er am meisten kontrovers diskutiert. Er hatte mehr Säure, Körper und auch Alkohol (13,5 Prozent) als der Valpolicella, aber war er auch gut? Für den Redaktionsgelehrten löste sein Geschmack »nicht ganz das ein, was der Geruch verspricht: mehr Frucht«. Für den Literaturredakteur passte er »besser zum Kartoffelsalat«, der Kunstredakteurin erschien er »auf jeden Fall trockener«, der Filmredakteurin »exotischer« und für den Redaktionsgelehrten hatte er »eine bissige Note«. Das sei »ein richtiger Feiertagswein«, freute sich der Theaterredakteur.

Und dann kam ein Negroamaro (2021) aus der Region Bari. »Viel Alkohol, man sieht es an der Träne«, urteilte der Redaktionsgelehrte (es waren wieder 13,5 Prozent), während der Theaterredakteur seine Nase im Glas versenkte: »Ich rieche nichts.« Der Wein sei eben »sehr sanft, auch vornehm«, meinte der Literaturredakteur und »vom Körper her sympathisch«. Für die Filmredakteurin war er »bisher der beste«, gerade weil er »so mollig« sei. Der Gelehrte pflichtete ihr bei: »besser als der Slowene und als der Valpolicella«, auch wenn er »insgesamt ein bisschen glatt« sei. »Aber schon sehr voll im Mund«, meinte der Theaterredakteur, »den würde ich auch ohne Kartoffelsalat trinken, schon vor dem Frühstück – das ist als Kompliment gemeint.«

Solcherlei Verehrung konnte der nächste Wein nicht auf sich vereinen, vom Weingut Campuget aus Nîmes (2020), eine Assamblage aus Syrah und Grenache. »Sehr wässrig«, urteilte die Filmredakteurin, »passt nicht zum Kartoffelsalat«, die Kunstredakteurin, »passt zu gar nichts«, wiederum die Filmredakteurin. »Mit dieser Art von Wein kann ich nichts anfangen. Schmeckt so ein bisschen, wie man sich am nächsten Tag fühlt«, verhängte der Theaterredakteur eine Art Bann, während der Literaturredakteur behauptete, dies sei ein »Windwein«, den man nicht in der Hitze Südfrankreichs zu sich nehme, sondern in den Stürmen der Bretagne, weshalb man mit ihm auch den strengen Senf zur Bulette gut runterspülen könne. Im Wind tränke er lieber einen Cognac, bemerkte der Gelehrte. Und zum Campuget: »Riechen tut er nach nüscht. Dass er so nach nüscht riecht, das ist kein Gewinn. Der Alkohol kommt deutlich raus, und wenn man ein bisschen wartet, auch die Tannine, aber schon vorne auf der Zunge. Das ist noch nicht einmal der berühmte lange Abgang.« Der sei vielleicht »gut für Glühwein, aber mit Gewürzen«.

Auch der zweite südfranzösische Vertreter hatte es nicht leicht. Und er war es auch nicht, denn der Côtes du Roussillon Villages (2016), der Syrah, Grenache und Mourvèdre vereint, hatte die mit Abstand schwerste Flasche. Er sei sozusagen der »ältere, erfahrene Bruder« des Windweins, meinte der Literaturredakteur, und der Theaterredakteur freute sich: »Besser als der Letzte, allerdings schon ein bisschen geschmacksarm. Riecht stark nach Alkohol, aber schmeckt nicht so intensiv.« Im »Nachgang etwas mehr Holz«, bilanzierte der Gelehrte.

Und dann kam der Käse. Auch hier war der Negroamaro klar vorne. »Ich will einfach nur diesen einen Wein trinken«, sagte die Filmredakteurin. Wobei der Valpolicella sich nun unerwartet weiter nach vorne schob. »Er gewinnt besonders gegenüber milden Käsesorten«, analysierte die Kunstredakteurin, denn entgegen seiner geschmacklichen Schüchternheit entwickele er plötzlich ein »Honigaroma«, hurra! Der »Slowene« und der Käse kämen nicht zueinander, meinte der Literaturredakteur und wähnte den Wein in einer »Parallelwelt«. Der Valpolicella sei jedenfalls besser, »als es zu Anfang schien«, freute sich der Gelehrte. Und wenn man Glück hat, dann gilt das auch für Heiligabend.

Endwertung: 1. Negroamaro (2021) von Donato Angiuli, ca. 8 bis 9 €, angiulidonato.com;
2. Beg Cuvée von Marof (2017), ca. 15 €,
marof.eu; 3. Valpolicella (2021) von Vicenti
Agostino, ca. 10 bis 11 €, vinivicentini.com;
4. Côtes du Roussillon Villages (2016) von Chateau Les Pins, 16 €, chateau-les-pins.com;
5. Campuget (2020), 8 €, campuget.com
Sonderwertung Käse: 1. Negroamaro, 2. Valpolicella, 3. Côtes du Roussillon Villages, 4. Beg Cuvée, 5. Campuget

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