Das Ende einer umstrittenen Regel

Die Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 in Praxen, Kliniken und Pflegeheimen läuft aus

In wenigen Tagen ist sie Geschichte: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen Sars-CoV-2. Ab 16. März dieses Jahres mussten alle, die für Pflegeheime und -dienste, in Kliniken oder Praxen arbeiteten, eine vollständige Corona-Impfung nachweisen. Eine gerade erfolgte Genesung konnte Tätigkeitsverbote und Bußgelder theoretisch hinausschieben. Beschlossen wurde die Pflicht Ende 2021 im Bundestag, sie war in Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes geregelt. Da keine Verlängerung beschlossen wurde, läuft sie zum Ende des Jahres aus.

War die Impfpflicht sinnvoll? Sie wurde es mit den Omikron-Varianten des Coronavirus immer weniger, weil auch Geimpfte nicht vor einer Ansteckung gefeit waren. Waren sie dann auch noch von der Testung befreit, erhöhte sich die Gefahr von Infektionen unter den Beschäftigten wie unter Patienten und Pflegebedürftigen. Das räumte mit kargen Worten auch das Bundesgesundheitsministerium im November ein und bezog sich dabei auf die Corona-Variante BQ.1.1., einen Abkömmling der Omikron-Subvariante BA.5. Bei der »mehr oder weniger komplett immunevasiven Variante« sei die Grundlage für die Teil-Impfpflicht nicht mehr gegeben, lautete die medizinische Begründung für das Auslaufen der Regel.

Aber die Gründe für diese Entscheidung sind zumindest zum Teil auch politisch. In vielen Pflegeeinrichtungen und in einigen Bundesländern gab es schon in den Monaten zuvor Kritik. So hatten sich Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen in einem Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für ein Ende der Impfpflicht eingesetzt.

Vor allem Pflegekräfte waren unzufrieden damit, dass auf die Pflicht für ihre Berufsgruppe nie eine allgemeine Impfpflicht folgte. Letztere war an der Uneinigkeit der Ampel-Koalition gescheitert, in der sich vor allem Teile der FDP nicht zu einer solchen Maßnahme bekennen wollten. Auch der Deutsche Pflegerat sprach von einer »Zweiklassengesellschaft« bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Aus der Wortwahl geht bereits hervor, dass die Beschäftigten sich mit der Impfung auf etwas einlassen mussten, das verdächtig war, nicht nur dem Gesundheitsschutz zu dienen. Besuchern etwa von Pflegeeinrichtungen blieb dieses Risiko erspart – jedenfalls in Form einer gesetzlichen Pflicht.

Der Umgang mit letzterer war in der Praxis nicht unbedingt von Entschlossenheit gegenüber Ungeimpften geprägt. Gesundheitsämter in Halle und Magdeburg hatten seit Mitte März etwa 3000 ungeimpfte Beschäftigte im medizinischen Bereich registriert. Beide Behörden haben kein einziges Ordnungsgeld und kein Betretungsverbot verhängt, berichtet der MDR. Medizinische Gründe gegen eine Impfung, eine gerade erfolgte Genesung oder Ausnahmegenehmigungen der Arbeitgeber ermöglichten die Weiterbeschäftigung. Mehr als 90 Prozent der Beschäftigten hier waren ohnehin geimpft, hier wie auch anderswo vemutlich viele aus Überzeugung, andere aus Pragmatismus.

Vor allem Pflegeunternehmen ohne hohe Impfquote unter ihren Beschäftigten durchliefen einen dornigen Weg: Wohl keine Einrichtung und kein Dienst hat seine Ungeimpften gerne freigestellt oder gar einem Betretungsverbot ausgesetzt. Dazu fehlen zu viele Fach- und Hilfskräfte im gesamten Bereich. Mitunter ließen sich Gesundheitsämter alle Zeit der Welt, zu gesetzeskonformen Entscheidungen im Sinne der Impfpflicht zu kommen. Diese Praxis wurde teils aus der Politik unterstützt. Die Verschleppung ist ein Teil der Ursachen dafür, dass die Teil-Impfpflicht nicht in der beabsichtigten Form auf die übrige Gesellschaft ausstrahlen konnte.

Wenn nun ab Januar Heime und Pflegedienste darauf setzen, dass ungeimpfte Pflegekräfte auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, könnten sie sich täuschen. Die Bedingungen gerade für eine Tätigkeit in der Pflege sind auch ohne Impfpflicht oft schwierig genug. Permanente Überlastung, unsichere Schichtpläne (unter anderem durch Infektionswellen gleich welcher Ursache) sind fast die Regel, ebenso eine vor allem für Hilfskräfte zu geringe Entlohnung. Sprich: Der Trend, der Branche eher den Rücken zu kehren, bleibt auch nach Wegfall der Impfpflicht ungebrochen. Entsprechend geht der Wettbewerb der Arbeitgeber etwa um Pflegebeschäftigte weiter, möglicherweise mit einem neuen Impuls.

Wäre ein besserer Patientenschutz durch umfassende Test- und Maskenpflicht möglich gewesen? Das müssten Epidemiologen bewerten. Aber auch in dieser Frage steht eine gründliche Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen und ihrer Entscheidungsgrundlagen weiterhin aus. Sie könnte bei diesem Teilaspekt dadurch behindert werden, dass der Kauf von Millionen Impfstoffdosen, unter dem Strich von zu viel Vakzinen, seitens der Bundesregierung allzu enthusiastisch befürwortet wurde.

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