Die Daniel-Düsentrieb-Ideologie

Die Hoffnung auf künftige geniale Erfindungen, die unser Klima retten, ist ein diffuser Wunderglaube, der nötige Einsichten verdrängt

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie viele Kinder verschlang ich jahrelang die »Lustigen Taschenbücher«. In dieser Comicreihe können Leser*innen neben eigentümlichen Vorstellungen vom Milliardärsdasein im Goldmünzenspeicher weitere ideologische Verzerrungen aufsaugen. Zum Beispiel eine Idee von Forschung und Technik, die sich an der Figur des genialen, exzentrischen Erfinders orientiert, wie es sie im 19. Jahrhundert vereinzelt gab – Edison oder Bell. So frickelt der gutmütig-zerstreute Daniel Düsentrieb getreu seinem Motto »Dem Ingeniör ist nichts zu schwör« über Nacht spontan in Auftrag gegebene Apparaturen zusammen, die im Graubereich zwischen Physik und Magie funktionieren.

Im Spätkapitalismus verläuft technische Innovation anders – auch und gerade wenn es um »grüne« Technologien geht. Konkurrierende Teams verbringen Jahrzehnte mit Basisforschung, Konzerne und Investor*innen stecken erhebliche Summen in angewandte Forschung und Entwicklung. Quantensprünge sind selten, schrittweise Neuerungen die Regel. Bis sich eine »grüne« Technologie durchsetzt, dauert es lange, meist abhängig von politischer Unterstützung. Überhaupt kam technischer Fortschritt selten ohne Nebenkosten. Solange wir in der Welt der Physik feststecken, bedeutet »grün« eh nie die Vermeidung aller Ökoschäden, sondern im besten Fall ein »deutlich weniger« und im schlechteren eine Problemverschiebung.

Lasse Thiele
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.

Doch beim Klimaschutz spukt in vielen Köpfen bis heute das Düsentrieb-Modell herum: Irgendwem wird zwei vor zwölf schon was Geniales einfallen. Anlässlich einer Flughafenblockade der Letzten Generation entbrannte in sozialen Medien eine Debatte über die Aussichten auf »grünes« Fliegen. Ich argumentierte mit Verweis auf Industrieinformationen, aktuelle Forschung und NGO-Berichte, dass vor 2050 kein flächendeckender Einsatz klimaneutraler Alternativen im Flugverkehr zu erwarten sei – schon gar nicht angesichts des vorgesehenen rasanten Wachstums der Branche und des Ausbaus der kerosinbetriebenen Flotte. Und selbst dann könnten die meisten Alternativen nicht alle Flug-Klimaschäden ausgleichen. Sie würden zudem unfassbare Mengen erneuerbarer Energien verschlingen, die anderswo dringender gebraucht werden.

»Woher willst du das wissen?«, schallte mir ein Chor entgegen. Kann doch sein, dass morgen der Geniestreich kommt, und nächstes Jahr fliegen wir alle grün. Für wen hältst du dich? Fehlte nur noch die Ermahnung, dass evidenzbasierte Skepsis die Aura der genialen Erfinder stören könnte.

Es geht nicht nur um die Verdrängungsleistung irgendwelcher Leute im Internet. Im selben Wunderglauben erschöpft sich im Grunde die gesamte marktliberale Klimastrategie mit ihrem Mantra »Innovation statt Verbote«. Derselbe Geist belebt leider auch die Szenarien des Weltklimarats. Der peilt im Namen fortgesetzten Wirtschaftswachstums an, die CO2-Emissionsgrenzen für das 1,5°C-Ziel erst einmal großzügig zu überschreiten, um den Planeten nach 2050 durch bisher nur in der Fantasie existente Technologien wieder abzukühlen.

Faktisch handelt es sich um Wetten mit gigantischem Einsatz – und äußerst dubiosen Chancen. Doch so rational begegnen die Wettenden der Sache kaum, eher mit diffusem Gottvertrauen. »Ich vertraue in die Wissenschaft«, erklärte eine Diskutantin in der Flugdebatte, ohne das näher begründen zu können und unbeeindruckt davon, dass die Wissenschaft ihren Optimismus nicht teilt. Angesichts dieses rein opportunistischen Verhältnisses zu Wissenschaftlichkeit verwundern die fließenden Übergänge zwischen naiver Technikanbetung und aggressiver Klimaleugnung kaum. Einig sind sich diese Spektren meist in der Ablehnung jedes heute wirksamen Klimaschutzes. Teils Verdrängungstechnik, teils Überzeugung – die Düsentrieb-Ideologie droht ein Sargnagel der Klimastabilität zu werden.

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