»Bestes Einschlafmittel: Kinder«

Die wichtigsten Konsumprodukte und Kulturleistungen des Jahres. Das nd-Feuilleton blickt zurück auf 2022

  • Lesedauer: 9 Min.

Bahareh Ebrahimi

Bester Film

Bestes Drama: »The Banshees of Inisherin« von Martin McDonagh.

Bester Thriller: »Holy Spider« von Ali Abbasi.

Beste Komödie: »Good Luck to you, Leo Grande« von Sophie Hyde.

Beste Doku: »The Janes« von Emma Pildes und Tia Lessin.

Bestes Buch

Dieses Jahr war das Jahr der nicht fertig gelesenen Bücher! Ich habe tatsächlich mehr gelesen, mit vielen Büchern begonnen, doch nicht geschafft, sie zu Ende zu lesen. Ob es an mir lag oder am Buch, weiß ich nicht.

Beste Serie

Keine Empfehlung von mir dieses Jahr, weil ich eher Lust auf kitschige, nicht anspruchsvolle Serien hatte. Was ich mir alles an Serien dieses Jahr angetan habe, ist mir selbst ein Rätsel.

Bestes Theaterstück

Ich war dieses Jahr ein einziges Mal im Theater, das Stück war »Die Kronprätendenten« am Deutschen Theater in Berlin, frei nach Henrik Ibsen, inszeniert von Sarah Kurze. Schlimm!

Beste Ausstellung

Der italienische und der griechische Pavillon auf der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig.

Luxus des Jahres

Spontanurlaub für eine Nacht im August auf der Insel Usedom mit meiner Mutter. Da bis zur letzten Minute unklar war, ob meine Mama überhaupt nach Deutschland einreisen kann, konnten wir nichts vorher planen. Usedom hatte ich bis dahin noch nicht gesehen, aber viel darüber gehört. Für meine Mutter war es schön, weil sie – zum Glück – viele kleine ausländerfeindliche Äußerungen und Gesten nicht mitbekommen hat; für mich aber kein Ort, den ich noch mal besuchen möchte.

Bestes Einschlafmittel

Die Bauchatmung.

Dümmstes Wort

»Staatsangehörigkeitsangelegenheiten«

Larissa Kunert

Weltmeister*in des Jahres

US-Regisseur Frederick Wiseman, der 2022 als 92-Jähriger nach 44 Dokumentarfilmen einen Spielfilm in die Kinos brachte und erstmals auch als Schauspieler auftrat. Am 1. Januar wird er 93.

Bester Film

»Der schlimmste Mensch der Welt« von Joachim Trier: ein großartiger und dabei auch formal mutiger Film über die Liebe (was sonst).

Bestes Buch

Senthuran Varatharajah: »Rot (Hunger)«. Experimentell geschrieben, das wird nicht jedem zusagen. Mir hat die Sprache des Autors schon den Atem stocken lassen. Dieses Buch vermischt den Kannibalenmord von Rotenburg mit einer Erzählung über eine zerbrochene Liebe.

Beste Serie

Wer Serien schaut, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (frei nach Karl Lagerfeld)

Bestes Theaterstück

Die Ampel-Koalition.

Beste Ausstellung

»Louise Bourgeois: The Woven Child« im Berliner Berliner Gropius-Bau. Das Spätwerk der Künstlerin wirkt wahnhaft in seiner Bearbeitung weiblicher Lebensrealität – und ist vielleicht deshalb gerade angemessen.

Bester Luxus

Nach einer durchzechten Nacht ein Taxi nach Hause nehmen, quer durch die Stadt, und dabei schweigend aus dem Fenster schauen.

Bestes Einschlafmittel

Fetttriefende Lasagne zum Mittagessen.

Claudia Major des Jahres

Ich bleibe beim Original.

Dümmstes Wort

»Gasumlage«

Christof Meueler

Weltmeister*in des Jahres

Die Rüstungsindustrie.

Bester Film

»Elvis« von Baz Luhrmann. Elvis lebt weiter.

Bestes Buch

»Dschinns« von Fatma Aydemir. Home is where the pain is.

Bestes Comic

»Das Gutachten« von Jennifer Daniel. BRD-Noir mit Alt-Nazis, RAF-Sympathisanten, HB-Zigaretten und einem VW-Käfer.

Beste Serie

»Kleo« auf Netflix. Smarter DDR-Pop, den sich sich ARD und ZDF bis heute nicht trauen.

Bestes Theaterstück

Einführung eines neuen Redaktionssystems beim »nd«.

Beste Ausstellung

»Teuflische Jahre« in Frankfurt am Main. Den CDU-Staat niedermachen: Über die Zeitschrift »Pardon«, die Mutter von »Titanic«.

Größter Luxus

Ruhig schlafen.

Bestes Einschlafmittel

»Star Wars« (alle Folgen).

Claudia Major des Jahres

Giovanni Vincenzo Infantino.

Dümmstes Wort

»spannend«

Christin Odoj

Weltmeister*innen des Jahres

Die Frauen in Iran.

Bester Film

»C’mon C’mon« von Mike Mills ist so ein warmherziger Film, dass es schwerfällt, danach wieder in die abgefuckte Erwachsenenwelt voller Anpassung und Selbstverleugnung zurückzukehren.

Bestes Buch

Das große Papierflieger-Bastelbuch. Hätte ich das mal schon vor 30 Jahren gehabt, die Schulzeit wäre um einiges unterhaltsamer gewesen.

Beste Serie

»King of Stonks«, eine deutsche Comedy-Serie über die Start-up-Szene – und dann ist sie auch noch halbwegs lustig und nicht peinlich, das fällt sofort auf.

Beste Ausstellung

Sibylle Bergemann in der Berlinischen Galerie. Tolle Porträtfotografin. So unprätentiös und gleichzeitig großartig sind eigentlich immer nur Frauen.

Bester Luxus

Ein sogenannter Wireless Charger fürs Smartphone, den man wiederum mit einem Kabel ans Stromnetz anschließt. Endlich ein Kabel weniger im Haushalt; fast hätte es geklappt.

Bestes Einschlafmittel

Kinder.

Claudia Major des Jahres

Claudia Majors bester Freund Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni München, der anscheinend im Internet lebt und sonst keinerlei Verpflichtungen im Leben hat und dort alles und jeden vollpöbelt. Einerseits macht so viel Tagesfreizeit neidisch, andererseits passt das ins Bild von einer Bundeswehr-Uni-Professur.

Dümmstes Wort

»Doppelwumms«. Das hätte zu Andrea Nahles gepasst, aber bei Olaf Scholz klingt es, wie es ist: eine der vielen Peinlichkeiten aus der überbezahlten Abteilung »politische Kommunikation«.

Karlen Vesper

Weltmeister*in des Jahres

Die Weltmeister der Herzen – die deutsche Nationalelf, die wieder einmal alle Erwartungen übertraf und im Gruppenspiel bei der WM in Katar grandios rausflog. Dafür sind die Jungs unerschrocken mit der One-Love-Armbinde aufgelaufen und haben heroisch Herzen mit den Händen geformt.

Bester Film

Der Filmriss.

Bestes Buch

Es fehlte: die Bedienungsanleitung für den Schützenpanzer »Puma«, ein Neuerwerb im Raubtierzoo der Bundeswehr. Blieb liegen, was die Stimmung am vierten Advent trübte. Nicht alles Rheinmetall ist Rheingold.

Beste Serie

Die unglaubliche Einbruchserie eines Familienclans. Der Endlos-Thriller begann vor fünf Jahren mit dem Raub der größten Goldmünze der Welt in Berlin, setzte sich fort mit dem Beutezug im Grünen Gewölbe von Dresden bis hin zum jüngsten Clou, dem Diebstahl eines millionenschweren Goldschatzes aus dem Kelten-Museum in Manching. Und zwischendurch, damit die Spannung nicht abreißt, Casino- und Bankeinbrüche.

Bestes Theaterstück

»Er ist wieder da.« Nein, ich meine nicht die Bühnenadaption eines Romans, in dem Hitler wiederaufersteht. Ebenso nicht das Stück gleichnamigen Titels aus realsozialistischen Zeiten: Ein alter Bolschewik kehrt zurück, um seine verbürokratisierten, fantasie- und leidenschaftslosen Enkel an die hehre Idee des Kommunismus zu erinnern. Dank meiner Enkel erlebte ich am letzten Adventswochenende ein Déjà-vu: einen kleinen gewitzten, dissidentischen Schwarzen Kobold: »Pittiplatsch auf Reisen«.

Beste Ausstellung

Documenta fifteen. So viel Aufregung war noch nie. Das war auch gut so, brachte den Kreislauf der Nation in Wallung, riss den deutschen Michel aus dem Schlaf und ließ ihn gewahr werden: Es gibt noch eine Welt außerhalb seiner Welt. Geboren in Indonesien, gratuliere ich Ruangrupa: Selamat!

Luxus des Jahres

Frieden.

Bestes Einschlafmittel

Live-Übertragungen von Parteitagen jeglicher Couleur.

Claudia Major des Jahres

Die Bundesverteidigungsministerin, deren bewundernswerte Brutpflege dem Sohn einen Bundeswehr-Helikopterflug bescherte – obwohl noch nicht Weihnachten war!

Dümmstes Wort

»Gratismentalität«

Erik Zielke

Weltmeister*in des Jahres

Annie Ernaux.

Bester Film

»One plus one« von Jean-Luc Godard – der beste Film seit 1968.

Bestes Buch

Gegen den herrschenden Geschmack, ohne platte Vereinfachungen: »Die weiße Garde« von Michail Bulgakow über das Kiew des Jahres 1918.

Beste Serie

»Borgen«, Staffel 4.

Bestes Theaterstück

»Ich glaube, die einzige Möglichkeit herauszufinden, was eine Antwort sein könnte, wäre, ein Jahr lang alle Theater der Welt zu schließen, und dann weiß man hinterher vielleicht, warum Theater.« (Heiner Müller)

Beste Ausstellung

Die Auslage im Lakritzfachhandel meines Vertrauens.

Bestes Einschlafmittel

Günter Grass: Gesammelte Werke.

Claudia Major des Jahres

CM höchstselbst beim Blick ins nd: »Ich empfinde das als irrlichternde Diffamierung.«

Dümmstes Wort

»Flugverbotszone«

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