Dem Verlorenen nachlauschen

Retrospektive der Werke von Nuria Quevedo in Frankfurt/Oder

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Núria Quevedo, »Draußen, das Meer«, 2009, Aquarell
Núria Quevedo, »Draußen, das Meer«, 2009, Aquarell

Die gelegentliche Schroffheit ihrer Bilder resultiert aus den Widersprüchen ihres Lebens. »Ilejania« hat sie ein Gesprächsbuch mit Mercedes Alvares genannt, erschienen im BasisDruck Verlag. Zwei »Kinder des Krieges« erinnern sich. Ilejania heißt so viel wie »Unferne«, was etwas anderes als Nähe meint. Die Verneinung zieht sich durch Nuria Quevedos Werk. Der Riss, der mit großer Brutalität durch das 20. Jahrhundert verlief, ist für sie zum künstlerischen Antrieb geworden. Ihre Bilder zielen immer auf grundsätzliche Fragen der Geschichte und der menschlichen Seele. Sie selber hat das 2002 so formuliert: »Ich vermute, seit einiger Zeit, die Quevedo ist eine fiktive Gestalt, von mir als Alternative erdacht. Eine Malerin, die sich mitteilt durch Bilder, die im Grunde nicht zu deuten sind, weil Malerei Seelisches und Sinnliches mit Bildern verbirgt; und weil ihr eigentliches Wesen die Stille ist.«

Geboren 1938 in Barcelona blieb sie immer Spanierin unter Vorbehalt, das Katalanische spielt für sie bis heute eine große Rolle. Unter General Franco wollte die Familie nicht leben, 1952 kam sie in die DDR. Der Vater war bereits in Berlin, er führte einen Buchladen, der zugleich Antiquariat und Leihbibliothek sein sollte, die »Internationale Buchhandlung Quevedo« in Friedrichshain am Petersburger Platz, damals Bersarinstraße. Kann aus Exil Heimat werden, wenn man erst 14 Jahre alt ist? Höchstens halb. Die umfangreiche Retrospektive der Werke Nuria Quevedos des Brandenburgischen Museums für moderne Kunst in der Rathaushalle Frankfurt/Oder steht unter dem Titel »Der Weg entsteht im Gehen«. Die gewölbeartigen Ausstellungsräume im Rathaus präsentieren auch die großformatigen Gemälde so, dass sie ihre besondere Atmosphäre entfalten können.

Heimat im Unterwegs, auf Expedition im eigenen Leben? Das Philosophische zieht sich durch ihr Werk der letzten sechzig Jahre, ebenso wie das poetische Movens, wie es vor allem auch aus der spanischen Literatur erwächst. Aber man kann auch Kleists »Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen« darin erkennen, was soviel heißt wie: Was ist, existiert nur als Moment des Werdens. Ein Sinn für das Paradoxe in den Dingen zeigt sich früh, so 1965 in dem Grafikzyklus: »Fünf freundliche Radierungen und ein Schreckgespenst«.

Sie vermag es, philosophische Themen ins bildhafte Symbol zu bringen. Zum Kernsatz des »Kommunistischen Manifests«, die Freiheit des Einzelnen sei die Vorbedingung der Freiheit aller, schuf sie drei verbundene Figuren: die erste hält die zweite in der Hand, diese eine dritte. Sie werden immer kleiner, entfernen sich, die dritte schwebt bereits wie im freien Raum. Einfach ist die Deutung ihrer Bilder nicht, aber zugleich sprechen die expressiven Formen eine einfache Sprache.

»Mit leichtem Gepäck« heißt ein Grafikzyklus von 2008, der um Walter Benjamins »Thesen zum Begriff der Geschichte« kreist. Der Engel der Geschichte, der darin vorkommt, verwandelt sich bei Nuria Quevedo in jenen vierflügeligen Engel, wie ihn der spanische Katholizismus kennt. Wozu braucht aber ein Engel vier Flügel? Vielleicht der besseren Manövrierfähigkeit wegen – angesichts des »Sturms, der vom Paradiese« herweht. Auf den Blättern vereinigen sich Bilder mit Schrift zu einer grafischen Gesamtkomposition. Unter dem vierflügeligen Engel lesen wir den Satz von Benjamin: »Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Medium nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von ›Jetztzeit‹ erfüllte bildet.« Darum geht es ihr in ihren Bildern: Um Vergegenwärtigung von Vergangenheit und Zukunft in einem Symbol von Gegenwart.

Bis in die Achtzigerjahre hinein stehen ihre Bilder, sowohl die Arbeiten in Öl als auch das grafische Werk, im Schatten der Exil-Thematik. Die Farbe wirkt wie entfärbt. Das Grün der Natur hat etwas blau-graues Erstorbenes, als sei sie einer Bleivergiftung erlegen. Hier in Frankfurt/Oder ist das anhand von Werken zu besichtigen, die im Umfeld ihres wohl berühmtesten Gemäldes »Dreißig Jahre Exil« von 1971 entstanden, so in »Die Ahnen« von 1965. Ein Gruppenporträt von Menschen aus dem Umkreis der Familie oder von Freunden aus der Elterngeneration – getrennt von ihrer Heimat wirken sie bloß wie monochrome Schatten. Da ist viel Melancholie im Spiel, die etwas Gespenstisches bekommt, wie anhand der Vorarbeiten zu einem anderen berühmten Bild von ihr zu besichtigen ist: »Eine Art, den Regen zu beschreiben. Für Hanns Eisler« von 1981. Hier in der Ausstellung zu sehen sind zwei Aquarelle zum gleichen Sujet, deren Gegensätzlichkeit im Titel doch wieder nur zwei Seiten einer Medaille ausmachen: »Vor dem Regen« und »Nach dem Regen«, beide von 1978. In den Bildern Nuria Quevedos kreist die Zeit.

Prägend dafür ist das intime Gespräch mit Dichtern, die ihr nahestehen, wie Antonia Machado, Pablo Neruda und vor allem Miguel de Cervantes mit seinem »Don Quichotte« , der immer wieder Bildthema wird. Da berühren sich elementare Ausdruckskraft mit höchst sublimem Sinn für die Nuance. Der Weise in Gestalt des Narren, der Außenseiter, der den verborgenen Geist einer Zeit verkörpert.

Mit dem Don-Quichotte-Thema tritt zugleich ein anderes Bildmotiv hervor: das Kopf-Hand-Thema, das etwas gefährlich Bodenloses bekommt. Die Hand nimmt dabei fast so viel Platz auf der Leinwand ein wie der Kopf. Steckt dahinter ein Dualismus von Gedanke und Tat? Vielleicht auch das, aber vor allem zeigt sich hier die Vielgestaltigkeit der Hand, die ein Universum an Ausdrucksmöglichkeiten birgt. Die ausgestreckte Hand meint anderes als die geballte Faust. Die Handfläche wiederum, bereit, etwas zu greifen, wirkt dem Handrücken gegenüber völlig gegensätzlich, während die Handfläche Offenheit und sogar Schutzlosigkeit symbolisiert, hat der Handrücken etwas funktionslos-Elegisches, ähnlich einer herbstlichen Landschaft. Das ist das Universum der Hände bei Nuria Quevedo.

Immer wieder Grafiken zu Werken Franz Fühmanns (»Träume«) und Christa Wolfs (»Kassandra«). Auch zu Volker Braun oder zu Karl Mickel (»Kant Affe. Ein Todtengespräch«). Der Dichter und der Tod, das ist ein zentrales Thema ihrer Bilder. Kann das dichterische Wort den Tod bannen wie ein Zauberspruch? Ja, aber seine Kraft resultiert eben auch aus der Anerkennung der Macht des Todes, die zu leugnen dem Leben seine Tiefe nähme.

In den Neunzigerjahren kommen dann plötzlich leuchtende Farben ins Spiel, was mit ihrer Rückkehr, zumindest zeitweise in den Sommermonaten, nach Sant Feliu bei Barcelona zu tun hat. Das ungebrochene Gelb der gleißenden Sonne, deren Stärke etwas Zerstörerisches bekommt, der tiefblaue Himmel, das bodenlose Meer – es hat etwas von verdoppelter Heimat und verdoppelter Fremde zugleich, ihre deutsch-spanische Existenz, immer unter besonderer Berücksichtigung des Katalanischen, zeigt sich nun auf neue Weise. Als 2006 in Sant Feliu eine Ausstellung von ihr gezeigt wird, muss sie ihre neue Rolle erst üben. Ist sie eine Heimgekehrte ein Gast oder doch eine Fremde?

Das Exil in der DDR sei für sie eine wichtige, bereichernde Erfahrung gewesen. Und irgendwann hörte es vielleicht auf Exil zu sein. Erfahrungen solcher Übergänge sind bereits Bewusstmachungen des Erlebten: »Selbst der Schmerz der Trennung und des Verlusts ist unverzichtbar, um zu wissen, dass wir lebendig sind. Der Verlust jener Dinge, die uns so selbstverständlich angehören, dass wir sie kaum zu schätzen wussten, lässt uns ihren Wert erkennen.«

In dieser unbedingt sehenswerten Retrospektive hier in Frankfurt/Oder, lässt sich die Bejahung des ambivalenten – und darum schöpferischen – Weltgefühls bei Nuria Quevedo besichtigen, das darin besteht, sich zugleich fremd und beheimatet zu wissen.

»Nuria Quevedo. Der Weg entsteht im Gehen«, Rathaushalle Frankfurt/Oder, bis 12. Februar, Dienstag bis Sonntag, 11–17 Uhr.

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