Taxidienst ohne Fahrer

Schon in diesem Jahr könnte der Internetkonzern Baidu in China vollautomatische PKW einsetzen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Zukunft des autonomen Fahrens liegt in einem unscheinbaren Industriepark am südlichen Stadtrand von Peking. Mindestens ebenso unscheinbar wie die Gegend wirken auch die PKW, die im Minutentakt an der Eingangsschranke zum »Apollo-Park« in die Straßen der chinesischen Hauptstadt hinausschwirren. Nur wer genauer hinschaut, erkennt, dass ihr Fahrersitz leer ist.

Chinas Tech-Riese Baidu, in seiner Heimat vor allem für seine Online-Suchmaschine bekannt, hat hier auf mehreren Quadratkilometern ein Testzentrum für seine Flotte von Robotaxis errichtet. In einer der riesigen Fabrikhallen hat das Unternehmen sämtliche der bisher sechs Generationen fahrerloser Autos aufgereiht. Die ersten Modelle stammen aus dem Jahr 2013 und durften lediglich in verlassenen Parkgaragen kurven. Doch mit jedem weiteren Entwicklungsschritt wurden die Kamerasensoren weniger klobig, die Kosten moderater und das Design wurde freundlicher.

Der ganze Stolz der Chinesen gipfelt im »Apollo RT6«, der vor einigen Monaten der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Auto, das äußerlich einem klassischen PKW ähnelt, kommt erstmals ohne Lenkrad aus. »Man kann dort an der Stelle des Fahrersitzes Gepäck abladen, einen Bürotisch einrichten – oder sogar eine kleine Karaoke-Maschine installieren«, sagt eine Baidu-Mitarbeiterin, die Journalisten durch die Räumlichkeiten führt.

Doch wirklich bahnbrechend ist das Gefährt, an dessen Karosserie zwölf Kameras und acht Lidar-Sensoren angebracht sind, vor allem wegen seiner Kosten: Pro Einheit schlägt der RT6 nur mehr mit 250 000 Yuan – knapp 36 000 Euro – zu Buche, was rund die Hälfte der Kosten für frühere Robotaxis ist. »Die massive Kostensenkung wird es uns ermöglichen, Zehntausende von autonomen Fahrzeugen in ganz China einzusetzen«, sagte Baidu-Gründer Robin Li bei der Weltpremiere. »Wir bewegen uns auf eine Zukunft zu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi nur die Hälfte verglichen mit einem normalen Taxi kosten wird.«

Bis dahin ist es allerdings noch ein steiniger Weg. Vieles hängt nicht nur von den technischen Möglichkeiten ab, sondern vor allem auch davon, ob und wann die Regulierungsbehörden ihre Zustimmung geben. Genau in diesem Bereich hat die Volksrepublik China einen entscheidenden Standortvorteil: Schließlich hat die Regierung das autonome Fahren als eine jener Zukunftstechnologien identifiziert, die dem wirtschaftlich angeschlagenen Land als Wachstumsmotor dienen sollen. Dementsprechend kann sie die gesetzlichen Hebel deutlich schneller und auch flexibler in Bewegung setzen, als es in den meisten westlichen Demokratien möglich ist. Schon jetzt gibt es etwa unter Experten Konsens darüber, dass es nirgendwo außerhalb Chinas geeignetere und großzügigere Teststrecken für fahrerlose PKW gibt.

Doch auch im Reich der Mitte wird der RT6 frühestens im Laufe dieses Jahres in Betrieb gehen. Dementsprechend müssen die Journalisten bei der Testfahrt mit dem RT5 Vorlieb nehmen: Die Strecke führt dabei nicht mehr durch ein abgesperrtes Firmengelände. sondern das autonome Robotaxi kurvt durch leere, aber immerhin öffentliche Straßen in Pekings Süden.

Noch vor wenigen Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass sich computergesteuerte Autos durch den wilden Verkehr der Hauptstadt kämpfen – ein Abgasmolloch aus kilometerlangen Feierabendstaus, holprigem Asphalt und stets hupenden Taxifahrern. Doch im Vergleich zur Vergangenheit wirkt Peking mittlerweile wie ein Mekka für autonome PKW, und das hat auch mit der urbanen Architektur zu tun: Die schachbrettförmigen, breit ausgebauten Hauptverkehrsadern sind in ihrer Mitte durch Gitterzäune getrennt, um illegale Spurwechsel zu unterbinden.

Wie gut sich darauf fahren lässt, wird während der knapp 15 Kilometer langen Tour mit dem RT5 überdeutlich. Ohne Ruckeln nimmt das Auto die Kurven, wechselt problemlos die Spuren und bremst auch mit weicher Eleganz ab, als ein rasender Lieferkurier auf seinem Elektro-Scooter plötzlich die Spur abschneidet.

Dennoch muss auf dem Beifahrersitz nach wie vor ein Firmenmitarbeiter Platz nehmen. Dies sei jedoch, wie Baidu versichert, lediglich der Gesetzgebung geschuldet. Technisch wäre dies nicht mehr notwendig, und in der Tat muss der Mann kein einziges Mal eingreifen.

Für seinen RT5 hatte Baidu im vergangenen August die landesweit erste Lizenz für kommerzielle Robotaxis ohne Sicherheitsfahrer erhalten. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei bislang jedoch um keinen wirklichen Durchbruch: Die fahrerlosen Autos dürfen zunächst ausschließlich in zwei Städten – Wuhan und Chongqing – unterwegs sein, und das nur zu bestimmten Tageszeiten sowie in abgesteckten Kiezen. Bis 2025 will man den fahrerlosen Taxidienst in 65 chinesischen Städten anbieten, gegen Ende der Dekade sogar in mindestens 100.

Die größte Konkurrenz stammt dabei ausgerechnet von zwei ehemaligen Baidu-Angestellten, die vor sechs Jahren Pony.ai in Kalifornien gegründet haben. Das von Toyota als Investor unterstützte Start-up hat in Peking autonome Taxis im Einsatz, doch muss in ihnen aus Sicherheitsgründen weiterhin ein Beifahrer Platz nehmen. Auch Volkswagen will früher oder später in China mit einem Robotaxi an den Start gehen.

Im internationalen Vergleich liefern sich die Chinesen bei der fahrerlosen Zukunft mit den USA ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Cruise mit Sitz im Silicon Valley hat vergangenes Jahr kommerzielle Robotaxis in San Francisco gestartet, und Waymo, hervorgegangen aus dem Google-Imperium, betreibt bereits seit 2020 ein ähnliches Projekt im Bundesstaat Arizona. Das Tech-Rennen wird sich wahrscheinlich ohne Konkurrenz aus Europa entscheiden. Ebenso anzunehmen ist, dass sich aufgrund der geopolitischen Spannungen zwei relativ autarke Systeme herausbilden werden.

Baidu hegt derzeit nach eigener Aussage keine Pläne, mit seinen Robotaxis und -bussen ins Ausland zu expandieren. Der heimische Markt von 1,4 Milliarden Chinesen ist schließlich groß genug. Doch Teil der Wahrheit ist auch: Wenige Kunden in Europa und den USA dürften gerne in einem Auto voller Kameras und Sensoren sitzen, dessen Aufzeichnungen von einem Unternehmen gesammelt werden, das per Gesetzgebung dazu verpflichtet ist, seine Daten im Ernstfall der chinesischen Regierung weiterzuleiten. Das ist ein mögliches Hindernis für den technischen Fortschritt.

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