Die Integrationsverweigerer von Borna

Polizei ermittelt nach mutmaßlich rechter Silvesterrandale in sächsischer Stadt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In Kleinstädten wie Borna gibt es nicht viele Einrichtungen, die den Staat symbolisieren. Das Amtsgericht gehört dazu, das Polizeirevier und das Rathaus. Dieser Sitz der städtischen Verwaltung wurde in der Silvesternacht mit Böllern und Raketen angegriffen, die an Fassade und Fenstern sichtbare Spuren hinterließen. Möglicherweise, sagt die Polizei, sei dafür eine Gruppe von 200 Personen verantwortlich gewesen, die bei ihrem Eintreffen auch Pyrotechnik in Richtung der Beamten abgefeuert, dabei einen Streifenwagen beschädigt und eine Beamtin nur knapp verfehlt habe. Zuvor hatte die Menge laut Polizeibericht versucht, den Weihnachtsbaum auf dem Markt in Brand zu setzen. Böller landeten auch in Mülleimern. Ein Zeitungskiosk wurde schwer beschädigt. Laut Augenzeugen sah der Platz aus »wie ein Schlachtfeld«. Die Polizei nahm zwei 19-Jährige fest, ermittelt wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs und hat ein Hinweisportal freigeschaltet.

Über Randale in der Silvesternacht tobt derzeit eine bundesweite politische Debatte. Auslöser sind Vorfälle in Berlin, wo aus größeren Gruppen heraus ebenfalls Polizisten mit Pyrotechnik angegriffen und Feuerwehrleute an Löscharbeiten gehindert wurden. Verantwortlich gemacht wurden »gewaltbereite Integrationsverweigerer«, wie es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Kurznachrichtendienst Twitter formulierte: »junge Männer mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten«. Zunächst war von 145 Festnahmen die Rede. Inzwischen präzisierte die Polizei, aufgrund der Böllerattacken seien 38 Personen festgenommen worden, von denen zwei Drittel deutsche Staatsbürger seien. Aus der Berliner CDU wurde die populistische und von der AfD kopierte Forderung geäußert, deren Vornamen zu veröffentlichen – mit der Intention nachzuweisen, dass es sich um Menschen handelt, die abfällig als »Passdeutsche« bezeichnet werden.

Folgerichtig wird in den sozialen Medien auch im Fall Borna gefragt, ob »die CDU Sachsen schon die Nennung der Vornamen« verlangt habe und wie mit den »Integrationsverweigerern« in der Kleinstadt umzugehen sei. Von der Polizei gibt es keine Angaben dazu, welchem Milieu die Verdächtigen entstammen. Ohrenzeugen berichten auf Facebook allerdings von »Sieg heil!«-Rufen. Das deutet darauf hin, dass die Randalierer derselben Szene angehören wie jene, die in der Silvesternacht 2018/19 auf dem Markt von Borna ihre Zerstörungswut ausgelebt hatten. Damals waren »Heil Hitler!«-Rufe ertönt. Nach Angaben des Rechercheportals »chronik.LE« führte die Staatsanwaltschaft Leipzig danach Verfahren gegen sieben Tatverdächtige im Alter von 15 bis 37 Jahren, die aber aufgrund mangelnder Beweise eingestellt wurden. Obwohl es wie auch diesmal Handyvideos gab, welche die Vorgänge dokumentieren, habe niemandem eine konkrete Tat nachgewiesen werden können.

Unter Hinweis auf die Ereignisse in Borna werden Forderungen laut, solche Vorfälle nicht vordergründig mit dem Thema Integration zu verbinden. So schrieb der Soziologe Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswick-Institut in Leipzig auf Twitter, die Konstellation »massive Gewalt, Angriffe auf Polizei & Rathaus, junge Männer« könne man »als Integrationsthema verhandeln, ist aber auch ein Rechtsextremismusproblem«. Die sächsische Landtagsabgeordnete Jule Nagel (Linke) stellte freilich ernüchtert fest, trotz der Randale in Borna und der korrigierten Zahlen in Berlin werde man auf eine »Korrektur des rassistisch konnotierten Aufschreis lange warten können«. In Borna wiederum will Oberbürgermeister Oliver Urban (SPD) eine Böllerverbotszone einrichten und Ansprüche auf Schadenersatz verfolgen. Auf Facebook erklärte er, man lasse sich »unsere gute Stube nicht zerstören«.

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