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  • Antirassismus in Deutschland

»Systemrelevant für die Demokratie«

Antirassismusbeauftragte benennt strukturellen Rassismus und will das Beratungsangebot ausbauen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Bundesregierung erkennt erstmals strukturellen Rassismus an. Wie sie mit Racial Profiling umgehen will, bleibt offen.
Die Bundesregierung erkennt erstmals strukturellen Rassismus an. Wie sie mit Racial Profiling umgehen will, bleibt offen.

Die Bundesregierung will Rassismus entschiedener bekämpfen und dabei die Betroffenen von Rassismus in den Mittelpunkt stellen. Das zumindest verspricht die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan. Am Mittwoch stellte sie in dieser Funktion, die von der Ampel neu geschaffen wurde, erstmalig einen »Lagebericht Rassismus in Deutschland« vor. Ab dem kommenden Jahr soll der Bericht auf Dauer in einen »wissenschaftsbasierten und indikatorengestützten Integrationsbericht« überführt werden. Alabali-Radovan ist zugleich die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration.

»Antirassismus ist systemrelevant für die Demokratie«, sagte die Staatsministerin. In ihrem Bericht stützt sie sich auf bereits veröffentlichte Forschungsergebnisse des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) und den Afrozensus. Laut einer Studie des Dezim sagen 90 Prozent der Befragten, dass es Rassismus in Deutschland gibt, 22 Prozent haben ihn selbst erfahren. Zu lange sei von »Fremdenfeindlichkeit« gesprochen werden. Man müsse dies benennen als das, was es ist: Rassismus. Als betroffene Gruppen nennt die Antirassismusbeauftragte Geflüchtete, Schwarze Menschen, Muslim*innen, Juden und Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja. Auf Nachfrage erklärt sie, dass diese Kategorien nicht abgeschlossen seien und bestätigt, dass auch Slaw*innen und Asiat*innen Rassismus erfahren. Bei einer anderen Frage wird sie vager: »Kurdische und palästinensische Menschen sind auch von Diskriminierung betroffen.«

Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, begrüßte den Bericht als »überfälliges und dringend notwendiges Zeichen«. Auch der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, in dem sich Migrant*innenvertretungen zusammengeschlossen haben, Memet Kilic, sieht die »sachliche Darstellung und Auseinandersetzung der Politik mit strukturellem und gesellschaftlichem Rassismus in Deutschland« positiv. »Die gewonnenen Erkenntnisse müssen nun schnell in praxisnahe Maßnahmen münden, damit Antirassismus kein Schlagwort bleibt, sondern zur gesamtgesellschaftlichen Haltung wird«, ergänzte er.

Neben konkreter Hass- und Gewalttaten benennt die Antirassismusbeauftragte erstmals strukturellen Rassismus in einer Veröffentlichung der Bundesregierung. Dabei gehe es um rassistische Wissensbestände und Praktiken, die »bereits so normalisiert sind, dass es neben absichtlichen auch permanent zu unabsichtlichen rassistischen Effekten kommen kann«, heißt es im Bericht. Das könne sich in der Diskriminierung bestimmter Gruppen äußern, z.B. in Schulen, Behörden und Polizei. Alabali-Radovan nennt als Beispiel eine Studie der Universität Mannheim, bei der Lehrende ein Diktat von »Max« besser bewerteten als den identischen Text von »Murat«. Doch auch diese Bundesregierung tut sich schwer, strukturellen Rassismus in den Reihen der Polizei als solchen anzuerkennen. So fand es Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im September »nicht rassistisch«, als die Polizei wegen eines Bußgelds in die Wohnung einer syrischen Familie eindrang und ein Polizist zu der Frau sagte: »Das ist mein Land, und Du bist hier Gast.« Die Antirassismusbeauftragte plant nun, einen Expertenrat Antirassismus einzuberufen. Dieser soll eine Arbeitsdefinition von Rassismus für Verwaltungshandeln erarbeiten, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

In Bezug auf Racial Profiling, also verdachtsunabhängige Personenkontrollen oder andere polizeiliche Maßnahmen aufgrund der äußeren Erscheinung, verwies sie auf die anstehende Veränderung des Bundespolizeigesetzes. Damit solle die Einhaltung des Diskriminierungsverbots sichergestellt werden. »Racial Profiling ist nach dem Grundgesetz rechtswidrig, aber es muss geprüft werden, wie bestehende rechtliche Verfahren zu Racial Profiling führen können«, sagte die Antirassismusbeauftragte. Auch die Bundespolizei verwies in der Vergangenheit immer wieder auf das Verbot von Racial Profiling. De facto ist es aber eine gängige Praxis. Das Deutsche Institut für Menschenrechte empfahl der Bundesregierung bereits vor zehn Jahren, den Paragraf 22 zu streichen, der der Bundespolizei in Zügen, Bahnhöfen und Flughäfen erlaubt, jede Person anzuhalten, zu befragen und zu kontrollieren. Immer wieder berichten Rassismusbetroffene davon, dass sie als einzige kontrolliert oder aus dem Zug geholt wurden.

Konkret kündigte die Antirassismusbeauftragte an, unabhängige Beratungsstellen zu fördern, Opferstrukturen von Familien, die rassistische Gewalt erfahren haben, zu stärken, Kommunalpolitiker*innen besser vor Rassismus zu schützen und Prävention im Breitensport zu fördern. Für all diese Maßnahmen sind 2023 nach Angaben der Antirassismusbeauftragten zehn Millionen Euro eingestellt. Im vergangenen Jahr waren es acht Millionen. Damit würden wichtige Vorhaben des Koalitionsvertrags flankiert, wie das Demokratiefördergesetz, die Überarbeitung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes und die Vereinfachung von Fachkräfteeinwanderung.

Ein großes Thema bei der Vorstellung am Mittwoch war die rassistisch aufgeladene Integrationsdebatte nach der Berliner Silvesternacht, in der Rettungskräfte und Feuerwehr von Jugendlichen angegriffen worden waren. »Das hat mir gezeigt, dass wir es auch 2023 nicht schaffen, solche Debatten zu führen, ohne dabei rassistische Ressentiments zu bedienen. Wir müssen die Täter nach ihren Taten bewerten und nicht nach ihren Vornamen«, sagte Alabali-Radovan. Dabei teilte sie deutlich in Richtung der Union aus. Ihre SPD-Kollegin Bundesinnenministerin Nancy Faeser nahm sie indessen in Schutz: Sie habe in erster Linie gesagt, dass die Debatte nicht genutzt werden dürfe, um rassistische Ressentiments zu schüren. »Wir sind uns da sehr einig«, so Alabali-Radovan.

Faeser hatte gesagt: »Wir müssen gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache – aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren.« Inhaltlich ähnlichen Äußerungen der Konkurrenz widersprach Alabali-Radovan: »Das ist gefährlich und ein Schlag ins Gesicht für Menschen mit Einwanderungsgeschichte in diesem Land.«

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