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  • Klimawandel in der Karibik

»Sie haben unsere Grundlagen zerstört«

Der Umweltschützer Atherton Martin kritisiert den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Maria auf der Karibikinsel Dominica und den einseitigen Blick aufs Wirtschaftswachstum

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 8 Min.

Wenn man sich Dominica anschaut, dann sieht man nur noch wenige Schäden des Hurrikans Maria, der 2017 über die Insel zog. Die meisten Häuser wurden wiederaufgebaut, Straßen und Brücken instand gesetzt. Hat Dominica den Wirbelsturm gut überstanden?

Ja, es wurden viele Gebäude gebaut. Es gab auch viel Unterstützung aus dem Ausland. Und wir haben das CBI-Programm, das ich nicht besonders mag, das hier aber hilfreich war …

Interview


Der Umweltaktivist Atherton Martin erlebt die Entwicklung auf der Karibikinsel Dominica hautnah, die sich im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem verheerenden Hurrikan Maria im Jahr 2017 zur ersten klimaresilienten Nation der Erde erklärte.
Er war bereits in den 90er Jahren an der Spitze des Widerstands gegen eine Kupfermine des australischen Konzerns BHP, der zehn Prozent der Landfläche der Insel und ein ganzes Flusssystem in Mitleidenschaft gezogen hat. Martin war auch Landwirtschaftsminister seines Landes und organisiert seit dem vergangenen Jahr Protestmärsche gegen die aktuelle Regierung in der Hauptstadt Roseau.

… im CBI-Programm werden dominicanische Pässe an ausländische Personen für Summen zwischen 50 000 und 200 000 US-Dollar verkauft

Wenn man sich die Häuser anschaut, die die Regierung seit dem Hurrikan Maria aus diesen CBI-Geldern bauen ließ, so sind sie oft nicht widerstandsfähig gegen einen Hurrikan. Sie haben viele zweistöckige Gebäude errichtet, die viel mehr Windwiderstand bieten als das traditionelle niedrig liegende Haus mit hohem Dach. Sie haben damit die Verwundbarkeit der Bevölkerung, die in diesen Strukturen lebt, sogar erhöht.

Die wohlklingende Parole, die Premierminister Roosevelt Skerrit ausgegeben hatte – »Building back better«, dass der Wiederaufbau besser sein sollte –, wurde nur selten eingehalten?

Das ist Werbung und hält der Realität nicht stand. Es gab beim Wiederaufbau auch keinerlei verpflichtende Regelungen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Keines dieser Gebäude hat ein Solarpaneel, selbst wenn es viele gibt, die sich hervorragend dafür eignen, wie zum Beispiel das Stadion im Zentrum der Stadt. Ein Teil dieses Stadiondaches ist perfekt positioniert, um Sonnenschein einzufangen. Dort befindet sich aber kein einziges Paneel.

Warum nicht?

Weil es der Regierung einfach nicht in den Sinn gekommen ist. Sie wollte ein Stadion. Ingenieure der Regierung sind mit den Geberländern zusammengekommen. In diesem Fall hat China das Design gemacht, hat das Stadion gebaut und ist dann wieder gegangen. Fragen nach den Auswirkungen einer so riesigen Anlage (12 000 Plätze in einer Stadt mit 15 000 Einwohnern), also nach dem Energie- und Wasserverbrauch, der Entsorgung oder den Folgen des Parkens, werden nicht gestellt. Und wenn man diese Fragen nicht stellt, wird den Planern auch nicht auffallen, dass es eine Dachfläche von vielen Tausend Quadratmetern gibt, die mit Paneelen eingekleidet werden könnte.

Nun hat Dominica sich aber, was weltweit sehr beachtet wurde, nach dem Hurrikan Maria zur ersten klimaresilienten Nation ausgerufen. Es wurde sogar eine Agentur gegründet, Cread (Climate Resilience Execution Agency for Dominica), die alle Akteure – Ministerien, private Organisationen und Geberländer – zusammenbringen soll, um dieses Ziel zu erreichen. Sogar eine Strategie für eine CO2-arme, klimaresistente Entwicklung wurde erstellt, um die erneuerbaren Energien auszubauen. Das klingt doch genau richtig.

Es klingt gut auf dem Papier, ja. Die erwähnte Strategie wurde bereits 2012 vorbereitet. Ich war in diesem Team, das damit beschäftigt war. Es gab Empfehlungen für den Ausbau erneuerbarer Energien, vorrangig von Solarenergie, Wind- und Wasserkraft; es wurde aber nur versucht, Geothermie weiterzuentwickeln. Wir wussten damals bereits, dass Geothermie bei uns sehr kostenintensiv sein würde, weil man sehr tief in die Erde bohren muss. Es wurden 152 Millionen East Caribbean Dollar (etwa 52 Millionen Euro, Anm. d. Red.) für die Erforschung von Geothermie ausgegeben. Aber bis jetzt wurde keine einzige Kilowattstunde erzeugt. Die Daten über die besten Standorte für Solaranlagen oder Windkraft gibt es bereits dank der Auswertung von Satellitenbildern und thermischen Messungen. Ich denke, die Agentur Cread ist vor allem eine Werbemaßnahme. Diese Regierung versteht es, sich nach außen gut zu verkaufen. Die Realität im Lande sieht aber anders aus.

Warum machen die Geberländer das mit? Die könnten doch auf die Einhaltung der Versprechen drängen?

Die Herangehensweise an die Zusammenarbeit mit den Geberländern hat sich in den letzten 20 Jahren verändert. Vorrang kooperiert man jetzt mit Spendern, die weniger restriktive Bedingungen stellen. China zum Beispiel sind ökologische Aspekte ziemlich egal. Es wird gefragt: »Okay, was willst du? Ich mache es für dich, baue es, kümmere mich darum, bringe auch meine eigenen Arbeiter aus China mit.« Das hat dann natürlich negative soziale und sozioökonomische Auswirkungen in Bezug auf die Arbeitsplätze zur Folge.

Mir ist aufgefallen, dass Dominica zwar damit wirbt, 365Flüsse zu haben; jeden Tag eines Jahres könnte man also in einem anderen Fluss baden. Allerdings lädt der Roseau River, der durch die Hauptstadt fließt, mit seiner spärlichen Wassermenge nicht unbedingt zum Baden ein. Was ist da geschehen? Wie sehen Sie als Umweltaktivist diese Entwicklung?

Es ist ein trauriger Anblick. Als ich Kind war, sind wir oft von der Brücke in den Fluss gesprungen. Der war damals voller Wasser. Die Probleme begannen schon in den 80er Jahren. Unsere damalige Regierung erlaubte einem Steinbruchunternehmen, die Steine aus dem Fluss zu holen, um sie zu Kies für den Bau zu zerkleinern. Wir konnten sie damals nicht davon überzeugen, dass die Steine wichtig für den Schutz vor Hochwasser sind und für die Erhaltung der Artenvielfalt.

Sie waren damals selbst Mitglied der Regierung.

Ja, ich war 1979 Minister für Landwirtschaft und Planung, und wir haben Maßnahmen eingeführt, um Pufferzonen zu schaffen, sodass Gebäude nicht näher als 50 Meter von einem Flussufer oder Kanal entfernt gebaut werden durften. Mein damaliger Premierminister hat mich aber nach nur sechs Monaten im Amt entlassen. Sie haben mich für einen Entwicklungsgegner gehalten. Aber mir ging es um den Schutz von Ressourcen. Die anderen konnten oder wollten das nicht sehen. Jetzt hat sich auch an anderen Flüssen die Situation dramatisch verändert. Die Steine bremsten zuvor die Fließgeschwindigkeit. Das bedeutet, dass das Wasser während der Regenzeit im Boden versickern konnte. Jetzt aber schießt es durch das Bett. Es wäscht Sand und Erde aus und gewinnt eine solche Kraft dabei, dass es zu Überschwemmungen und Erdrutschen kommen kann. Die Steine sorgten auch für die Bildung von Becken, in denen sich das Wasser sammeln konnte und auch in der Trockenzeit verfügbar war. Jetzt aber fließt viel weniger Wasser in der Trockenzeit. Und in den verödeten Flussbetten breiten sich invasive Pflanzenarten aus.

Liegt das nicht am Klimawandel?

Das geschieht durch direkte Eingriffe des Menschen. Wir haben einfach nicht verstanden, was ein produktives Flusssystem ist. Unsere Förster haben es zwar geschafft, ein Nationalparksystem zu kreieren, in dem die Wassereinzugsgebiete geschützt sind. Aber es war ein isolierter Ansatz, der keine Auswirkungen auf die Planung von Häusern und Industrieanlagen hatte. Mit der Wachstumsideologie haben wir unsere Grundlagen zerstört. Das führt dazu, dass die Folgen des Klimawandels bei uns viel stärker zu spüren sind als eigentlich nötig. Der Klimawandel macht unsere Probleme und Unzulänglichkeiten nur sichtbarer.

Insgesamt sind Inselstaaten in der Karibik stärker von den Folgen des Klimawandels bedroht als Länder auf dem Festland. Der Anstieg des Meeresspiegels sorgt für die Gefahr der Überflutung. Höhere Wassertemperaturen geben den Hurrikans mehr Energie, was zu häufigeren und heftigeren Wirbelstürmen führt. Was würden Sie als die bedrohlichsten Folgen des Klimawandels für Dominica betrachten?

Ich möchte da kein Ranking aufstellen. Denn alles hängt mit allem zusammen. Der Anstieg des Meeresspiegels beeinflusst die Riffbildung. Erhöhte Wassertemperaturen sorgen für andere Wanderwege der Fischschwärme, was sich auf die Fischerei und damit auf die Nahrungsmittelsicherheit auswirkt. Wir bemerken auch, dass sich die Regen- und die Trockenzeit im Kalender verschoben haben. Das hat immense Folgen für die Landwirtschaft. Denn wenn Regen zu einem Zeitpunkt kommt, an dem Landwirte Sonne erwarten, bedeutet dies, dass ihre Pflanzzeit verschoben wird, womit auch die Erntezeit und die Verkaufsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Um die Auswirkungen des Klimawandels auf einen Ort wie Dominica zu bewerten, müsste man also sehr viele und sehr unterschiedliche Parameter untersuchen. Und weil der Klimawandel selbst nicht geradlinig verläuft, müssten wir unsere volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ändern. Wir müssten die Überschwemmungsniveaus, Erdrutsche und den Verlust der Vogelwelt mit berücksichtigen, was für uns ein kritischer Indikator für den Tourismus ist.

Sie sprechen im Konjunktiv. Es mangelt an diesen umfassenden Analysen?

Wissen Sie, ich bin müde nach all diesen Jahren der Konferenzen der Vereinten Nationen über die Wüstenbildung und den Verlust der biologischen Vielfalt. Wir haben immer noch kein System, das neben den Wachstumsraten der Wirtschaft eines Landes auch das Wohlergehen der Bevölkerung und den Zustand der Ökosysteme misst. Allein das Wirtschaftswachstum zählt.

Sie wirken trotz all dieser Probleme nicht pessimistisch. Was macht Ihnen Hoffnung?

Mich stimmt optimistisch, dass es in jeder Generation Menschen gibt, die bereit sind, Risiken einzugehen, und die über das hinausblicken, was die Mehrheit sieht. Es gibt diese Menschen auch in Dominica, sowohl die akademisch gebildeten als auch Bäuerinnen, die untereinander die Samen der Pflanzen austauschen, die am besten mit den neuen Bedingungen zurechtkommen und die so die Grundlage einer klimaresilienten Landwirtschaft aus hiesigen Pflanzen schaffen. Ich setze auch große Hoffnungen in die neuen Technologien der Energieerzeugung und des Bauens mit natürlichen Ressourcen. Schon jetzt gibt es auf Dominica private, staatlich nicht unterstützte Initiativen für große Solarparks.

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