Unbeschwert feiern

Eine neue Kampagne will das Ausgehen in Berlin sicherer, vor allem aber diskriminierungsfreier machen

  • Livia Lergenmüller
  • Lesedauer: 6 Min.
Jenseits der Feierlaune: Immer wieder kommt es in Berliner Clubs zu sexistischen, ableistischen, rassistischen oder antisemitischen Vorfällen.
Jenseits der Feierlaune: Immer wieder kommt es in Berliner Clubs zu sexistischen, ableistischen, rassistischen oder antisemitischen Vorfällen.

Ein Berliner Technoclub am Wochenende. Es ist voll, laut und heiß. Der Bass vibriert durch die Gemäuer, Menschen bewegen sich dicht an dicht zur Musik. Wie so häufig in einer Samstagnacht steht auch Jasmin* auf dem Dancefloor und tanzt: Oft tut sie das mit geschlossenen Augen, um sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Jasmin geht häufig in Berlin aus und kennt ihre Lieblingsclubs gut.

Auf einmal schiebt ein Mann von hinten einen Arm um ihren Körper. Als sie ihn wegstößt, versucht er es erneut. Jasmin wird laut, daraufhin zischt der Mann ihr eine Beleidigung zu, sexistisch und rassistisch zugleich. Wütend verschwindet sie von der Tanzfläche, sucht Trost bei ihren Freundinnen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie als migrantisierte Frau rassistische und sexualisierte Gewalt beim Ausgehen in Berlin erlebt.

Jasmins Diskriminierungserfahrungen im Club sind keine Einzelfälle. Immer wieder kommt es in Nachtclubs zu sexistischen, ableistischen, rassistischen oder antisemitischen Vorfällen. 2021 erfuhr etwa der Fall eines Gastes im »Revier Südost« in Niederschöneweide breitere Aufmerksamkeit: Er warf dem Personal des Clubs rassistisches und queerfeindliches Verhalten vor. Im Anschluss an die Debatte schloss der Club für mehrere Wochen, um seine Strukturen zu überarbeiten, wie es hieß. Es ist einer von vielen Fällen, die zeigen: Diskriminierung im Nachtleben ist existent, wenn nicht omnipräsent.

Die Berliner Clubcommission hat daher nun in Kooperation mit dem Projekt »Diversitygerechtes Ausgehen Berlin – DAB« eine Kampagne gegen Diskriminierung im hauptstädtischen Nachtleben aufgesetzt. Der Begriff »diversitygerecht« umschreibt dabei den Ansatz, möglichst allen Menschen – ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, Migrantisierung, Religionszugehörigkeit oder ihrer (sozialen) Klasse – Teilhabe zu gewährleisten.

»Feiern? Safe!« nennt sich die Kampagne, die erst einmal aus reichlich Infomaterialien besteht: Auf Plakaten, Flyern und Stickern werden grundsätzliche Tipps zum Umgang mit Diskriminierungssituationen gegeben. Ein QR-Code verweist auf die Website der in acht Sprachen verfügbaren Kampagne. Zudem wurden Informationen und Tipps für ein selbstbestimmtes Ausgehen für Menschen mit Behinderung in leichter Sprache hinterlegt. Ziel ist es, Betroffene zu unterstützen und Zeug*innen von Übergriffen zu ermutigen, deeskalierend zu reagieren.

»Mit ›Feiern? Safe!‹ wollen wir den weiteren Weg hin zu einer diskriminierungssensibleren Clubkultur begleiten und Clubs sowie Kollektive beim Aufbau ihrer Awareness-Strukturen unterstützen«, sagt Lutz Leichsenring von der Clubcommission. Denn die Diskriminierung im Nachtleben ist kein exklusives Merkmal der Technoszene. Im Gegenteil: Eigentlich verstand sich die Berliner Clubkultur stets als politisch und vorwärtsgewandt. Schließlich bedient man sich elektronischer Musikgenres, die sich von ihrer Geburtsstunde an durch einen emanzipatorischen Ansatz auszeichnen. Techno und House entstanden in überwiegend Schwarzen Communitys in den USA, als Antwort auf die weiße, ausbeuterische Kulturindustrie. Heute ist die Feierszene in Berlin zwar zu überwiegenden Teilen längst im Mainstream angekommen und, wie oft kritisiert wird, mehrheitlich weiß geprägt. Ein progressives Selbstverständnis herrscht jedoch weiter vor.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Clubs öffentliche Räume sind. Existierende gesellschaftliche Machtgefälle werden somit auch im Nachtleben reproduziert. So sind auch die vermeintlich freien Orte des Feierns nicht vor den Machthierarchien des Alltags gefeit. »Auch wenn oft ein Bild der Offenheit und Toleranz gelebt wird, wissen wir, dass es auch hier beim Feiern zu diskriminierendem Verhalten kommt. Wichtig ist es daher, dieses als solches wahrzunehmen, aufzuklären und präventiv vorzugehen, sodass ein möglichst sicheres Feiern für alle möglich ist«, sagt DAB-Projektleiterin Melissa Kolukisagil zu »nd«.

Um das zu erreichen, setzt das Projekt auf drei Grundsätze: »Act«, »Respect« und »Care«. Zunächst also »Act«, übersetzt: Handle, wenn dir etwas auffällt. »Schock und Ohnmacht sind typische Reaktionen, wenn jemand einen Übergriff erlebt«, heißt es seitens der Kampagne. Daher sei es besonders wichtig, nicht wegzuschauen, sondern einzugreifen. Auch wenn man Angst hat, etwas falsch zu machen.

Der zweite Grundsatz »Respect« fordert dazu auf, die betroffene Person zu respektieren. Es sei nicht die Aufgabe des Umfelds, zu entscheiden, wie schlimm das Geschehene ist. Betroffene sollten ihrer Wahrnehmung vertrauen, die Situation verlassen und sich Unterstützung holen. Erlebt man hingegen einen Übergriff bei einer anderen Person, sei es notwendig, die Bedürfnisse der Person zu hören und diese zu respektieren.

Unter dem Schlagwort »Care« schließlich ruft die Kampagne dazu auf, sich im Falle eines Übergriffs ausreichend um sich oder die betroffene Person zu kümmern und sich Zeit zu nehmen, das Geschehene zu verarbeiten.

»Die Grundbotschaft der Materialien ist, dass deine Wahrnehmung stimmt«, sagt Melissa Kolukisagil. »Wenn du etwas als grenzüberschreitend empfindest, dann hast du auf jeden Fall recht und solltest Unterstützung erfahren. Auch mitten in der Nacht, wenn alle eine gute Zeit haben wollen.«

Neben Tipps zum Umgang mit Diskriminierung führt die Kampagne »Feiern? Safe« verschiedene Beratungsstellen in Berlin auf, die sich an Betroffene richten. Die Schwulenberatung Berlin ist hier ebenso mit an Bord wie die Drogen- und Suchtberatung Misfit, die Gewaltschutzambulanz der Charité oder der Verein Lara, eine Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen.

Bisher haben Clubs – wenn überhaupt – allenfalls selbst Informationen für ein sicheres Feiern zusammengetragen. Doch dabei soll es künftig nicht bleiben. Denn neben den Infomaterialien hat die Gruppe ein umfassendes Fortbildungsprogramm für Clubbeschäftigte auf die Beine gestellt. Damit sollen Menschen, die im Nachtleben arbeiten, Kompetenzen im Umgang mit Diskriminierung vermittelt werden. In diesem Jahr wird die Schulung zum ersten Mal angeboten. »Wir werden zehn Clubs in ihrem Prozess begleiten, sich in den verschiedenen Gewerken, von der Tür bis zum Booking, weiterbilden zu lassen«, sagt Kolukisagil.

Das Programm ist über zwei Jahre hinweg in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteur*innen der Clubszene entstanden. Neben einer zweitägigen Grundlagenfortbildung gibt es dabei verschiedene Vertiefungsangebote für die Clubmitarbeiter*innen. Die ersten zehn Plätze werden im Februar ausgeschrieben, ab April sollen die ersten Schulungen beginnen.

Melissa Kolukisagil zufolge geht es darum, »Wissen zu vermitteln und Austausch zu fördern«. Sie hofft, mit der Kampagne »Feiern? Safe!« eine Lücke im Berliner Nachtleben zu füllen. »Wir haben gemerkt, dass es noch keine zugänglichen und zudem mehrsprachigen Informationsmaterialien gibt, denen Feiernde in Clubs begegnen«, sagt die DAB-Projektleiterin. »Unser Angebot ist ein erster Versuch, dieses Bewusstsein in die Clubs zu bringen. Und es ist ein Versuch, die Clubbetreiber*innen für ihre Verantwortung zu sensibilisieren.«

Entscheidend ist aus ihrer Sicht der Wille, sich überhaupt der Problematik anzunehmen. Denn ein vollständig diskriminierungsfreies Feiern wird in dieser Gesellschaft kaum möglich sein. »Es ist aber wichtig, dass sich alle dem Thema öffnen und ihr Bestes geben«, sagt Kolukisagil. »Auch, damit wir der Verantwortung für unser internationales Publikum gerecht werden können.«

* Der richtige Name der Betroffenen ist der Redaktion bekannt.

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