Vorbereitung für den Fall der Fälle

Beim Treffen in Ramstein fiel keine Entscheidung über die Lieferung deutscher »Leoparden« in die Ukraine

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Es war bereits das dritte Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe, das am Freitag auf dem US-Militärstützpunkt in Rheinland-Pfalz abgehalten wurde. Die versammelten westlichen Rüstungsentscheider bestätigten sich und der Welt einmal mehr, dass man nicht nachlassen werde bei der Unterstützung der vor fast einem Jahr von Russland überfallenen Ukraine.

Sein Land habe drei Prioritäten, erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow unmittelbar vor Konferenzbeginn. Erstens wolle man mehr Luftverteidigungssysteme. Zweitens: Waffen für Offensiv-Operationen – vor allem Panzer und Haubitzen. Drittens brauche man systematische Munitionslieferungen samt einem Reparaturservice für Waffen und Gerät. Bereits vor dem Ramstein-Treffen versprachen mehrere Länder ein neues Milliardenpaket mit Waffenhilfen für die Ukraine. Die USA allein wollen um die 2,5 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen. Eine Gruppe aus ost- und nordeuropäischen Staaten versprach ein »nie dagewesenes Paket von Spenden«.

Das alles muss gut koordiniert werden. In der allgemeinen Berichterstattung über das Treffen ging es aber vor allem um das Thema Kampfpanzer. Von Deutschland produzierte »Leoparden« sollen helfen, eine Kriegswende zugunsten der Ukraine zu erzwingen. Mehrere Länder – darunter Polen, Finnland oder Dänemark – wollen solche Panzer aus ihren Beständen umgehend zur Verfügung stellen. So ließen sich mindestens drei Kompanien ausrüsten, die dann gemeinsam mit den bereits zugesagten deutschen »Mardern«, US-amerikanischen »Bradleys«, schwedischen und britischen Schützenpanzern eine angriffsstarke Brigade bilden könnten.

Unklare Aussagen aus Deutschland

Damit die ukrainische Armee solche »Leopard«-Panzer mit all ihrem logistischen Beipack erhalten kann, muss das Herstellerland Deutschland einer Weitergabe zustimmen. Doch Kanzler Olaf Scholz und ein paar seiner SPD-Getreuen stellen sich quer. Sie befürchten, dass Deutschland und damit die Nato zur Kriegspartei werden und sich direkt mit Moskau anlegen könnte. Diesem Gedanken folgen allerdings nur wenige Verbündete, und selbst maßgebende FDP- und Grünen-Koalitionäre bedrängten den Chef der Ampelkoalition, der sich in dieser Situation auch noch einen neuen Verteidigungsminister suchen musste. Boris Pistorius (SPD), der erst am Donnerstag vereidigt wurde und sogleich einen Termin mit dem US-Kollegen Lloyd Austin zu absolvieren hatte, sagte in seiner Antrittsrede der Ukraine weitere Unterstützung aus Deutschland zu. Unklarer geht es nicht.

Am Freitag hieß es dann aus Ramstein, Pistorius habe die Prüfung der »Leopard«-Bestände von Bundeswehr und Industrie bei seinem Ministerium in Auftrag gegeben, um »für den Fall der Fälle« vorbereitet zu sein. Die Bundesregierung werde eine Entscheidung über Lieferungen an die Ukraine in Abstimmung mit den Partnern »so bald wie möglich fällen«, fügte er hinzu. Priorität habe für ihn aber die Luftverteidigung. Es könne jedenfalls nicht die Rede davon sein, dass Deutschland in der Panzerfrage blockiere. »Der Eindruck, der gelegentlich entstanden ist, es gebe eine geschlossene Koalition und Deutschland stehe im Weg – dieser Eindruck ist falsch«, sagte Pistorius.

Bei einem Telefongespräch mit US-Präsident Joe Biden Mitte der Woche soll Kanzler Scholz bereits Zustimmung zu einer »Leopard 2«-Lieferung in Aussicht gestellt haben. Wie es hieß, verlangte er im Gegenzug, dass auch die USA Kampfpanzer an die Front schicken, ließ dies aber am Freitag dementieren. Militärisch ergibt ein US-Export von schweren »Abrams«-Panzer ohnehin keinerlei Sinn. In Berlin hielt man das Junktim von Scholz gerade deshalb für einen geschickten Schachzug. Falls überhaupt, war es höchstens ein Zeitgewinn. Polen hat unterdessen eine Lieferung von »Leopard 2«-Panzern an die Ukraine auch ohne deutsche Zustimmung nicht ausgeschlossen. Man sei zu einer solchen »nicht standardgemäßen Handlung« bereit, sagte Vizeaußenminister Pawel Jablonski dem privaten Radiosender RMF FM.

Panzer allein bringen keinen Sieg

Unabhängig davon, wie man zur Lieferung schwerer Offensivwaffen an die Ukraine steht – es ist verständlich, wenn der ukrainische Präsident genug hat von diesem Hin und Her. Bei seiner Rede per Video-Schaltung in Ramstein mahnte er zur Eile. »Ihr seid doch erwachsene Leute«, sagte er in einem ARD-Interview am Vorabend des Treffens. »Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber hier sterben Leute.« Ihm sei wichtig zu betonen, dass »Leopard 2«-Panzer für den Schutz und die Verteidigung auf dem Schlachtfeld gebraucht würden. »Es ist ja nicht so, dass wir angreifen werden – falls sich da jemand Sorgen macht.« Genau das aber ist der Sinn solcher Panzer-Lieferungen. Mehr als einmal hat die ukrainische Regierung ihrem Volk versprochen, alle von Russland widerrechtlich okkupierten Gebiete zu befreien.

Dazu braucht es allerdings mehr als Panzer. Fachleute sind überdies erstaunt über den medial verstärkten Wunderglauben an die Allmacht der im Westen gebauten stählernen Ungetüme. Gewiss, moderne Panzer aus Deutschland haben einen ausgezeichneten Ruf unter Militärs. Bei angemessener Ausbildung der Besatzungen, guter Logistik und in großer Zahl könnten sie im Verbund mit anderen Waffen womöglich partielle Überlegenheit über angeschlagene russische Verbände ermöglichen. Doch bei solchen Prognosen wird oft übersehen, dass weder »Leoparden« noch »Marder« je bei intensiven Gefechten eingesetzt wurden.

Steigender Bedarf an Munition

Die auch am Freitag verbreiteten TV-Bilder von reisefertig aufgereihtem Kriegsmaterial haben wenig zu tun mit der Realität des Krieges. Um die zu erahnen, sollte man ein gut fünfminütiges Video anschauen, das in dieser Woche bei »Sky News« lief. Es zeigt die völlig zerstörte ukrainische Kleinstadt Marjinka, unweit von Donezk, wo einmal gut 6000 Menschen lebten, nach fast neun Jahren Krieg. Die Kämpfe dort gehen dennoch weiter, berichten Blogger.

Militärs sehen mit einem Blick, das ist – wie auch anderswo im Donbass – kein Gelände, in dem man Panzer einsetzen kann. Wohl aber lassen die unzähligen Bomben- und Granattrichter den gigantischen Munitionshunger dieses erbarmungslos geführten Krieges erkennen. Daher versuchen vor allem die USA, alle nur möglichen Reserven anzuzapfen. Weltweit. Derzeit durchforstet man – ohne das in Ramstein öffentlich zu kommunizieren – Depots in Lateinamerika. Jüngst orderte Washington in aller Heimlichkeit Munition, die in Israel lagert. Die Hälfte der verfügbaren 300 000 Artilleriegranaten sind, so sagen Insider, bereits in der Ukraine angekommen. Gemessen am derzeitigen Verbrauch der ukrainischen Streitkräfte reicht das nicht einmal für zwei Monate Krieg.

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