Enteignet die Nazi-Milliardäre!

David de Jong über unrechtmäßiges braunes Erbe und dessen Profiteure

  • Nathaniel Flakin
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie wird man Milliardär oder Milliardärin? Der Bloomberg-Journalist David de Jong weiß die Antwort: Man muss von Nazi-Kriegsverbrechern erben. Auf dem Cover seiner Streitschrift ist NS-Propagandaminister Joseph Goebbels mit seiner Gattin Magda zu sehen. Neben dem Paar steht ein kleiner blonder Junge in Nazi-Uniform. Es handelt sich hier aber nicht um eins der sechs Kinder, die die Goebbels’ im Berliner »Führerbunker« angesichts der vor den Toren Berlins stehenden Roten Armee kurz vor ihrem eigenen Selbstmord töteten. Es ist Harald Quandt, Sohn von Magda Quandt und Stiefsohn des Propagandaministers. Dieser Junge wird später der Onkel von zwei der reichsten Menschen in der Bundesrepublik sein: Susanne Klatten und Stefan Quandt, Besitzer von BMW, nehmen Platz 4 und 5 ein, mit je über 20 Milliarden Euro.

Wer diese Zeitung liest oder für sie schreibt, hat vermutlich keine besonders gute Meinung über das deutsche Großkapital. Und dennoch war ich, ein kommunistischer Historiker, erstaunt zu lesen, dass eine der größten deutschen Unternehmerdynastien familiär verbunden mit einstiger Nazi-Spitze ist.

Niemand redet darüber: Die deutsche Wirtschaft wird kontrolliert von Nazi-Milliardären (so der englische Titel). Und es ist wohl kein Zufall, dass dieses Buch von einem niederländischen Journalisten geschrieben werden musste. Immerhin kam die deutsche Übersetzung fast zeitgleich mit der Original-Ausgabe auf den Buchmarkt. Die deutsche Edition, mit farbigen Karten versehen, ist merklich liebevoller aufgemachtet. Sie weist auch Fußnoten auf, statt nur ein Quellenverzeichnis im Anhang. Man traut den deutschsprachigen Leser*innen offenbar einen höheren Anspruch zu.

Von einem Journalisten und nicht von einem Wissenschaftler verfasst, beginnt das Buch nicht mit einer elend langweiligen Einleitung über Forschungsmethodik und Forschungsstand, sondern mit einer Reportage: Am 20. Februar 1933 trafen sich die größten Großkapitalisten des Deutschen Reichs — Quandt, Flick, von Finck, Krupp und andere — im Reichstagspräsidentenpalais mit Hermann Göring und beschlossen, der NSDAP drei Millionen Reichsmark für den laufenden Wahlkampf zu spenden; es sollte »die letzte Wahl« werden, wie Hitler selbst formulierte.

David de Jong berichtet, wie sich diese Investition für die Industriebarone auszahlte. In enger Abstimmung mit der Nazi-Führung erwirtschafteten sie beispiellose Profite, indem sie beispiellose Verbrechen begingen. Aber auch die durch Raubkrieg, Versklavung und Genozid groß und allmächtig gewordenen Industriellen wurden, wie die Staatsbeamten und die Wehrmachtsoffiziere, nach 1945 recht bald amnestiert, falls sie denn überhaupt für ihr Mittun am barbarischen System zur Rechenschaft gezogen, verurteilt worden sind.

Die Dynastien reproduzierten sich in der Bundesrepublik. In diesem Buch geht es primär um fünf: die Quandts, die Flicks, die von Fincks, die Porsche-Piëchs und die Oetkers. In der Bundesrepublik der 1970er Jahre waren die vier reichsten Kapitalist*innen allesamt verurteilte Nazi-Kriegsverbrecher. Erst in den letzten Jahrzehnten mischen Neureiche mit, die ihr Geld mit Discountern oder Biontech machten — über deren unlautere Geschäftspraktiken beziehungsweise Verbrechen muss ein anderes Buch aufklären.

Hier geht es um engste Mitstreiter der Nazis, nicht nur Mitläufer oder Opportunisten, sondern um Unternehmer*innen, die bereits vor 1933 Hitler und Kumpane mit Millionen Reichsmark unterstützt haben. Sie waren nicht unbedingt »politisch«, sahen aber in der NSDAP ein Bollwerk gegen die Arbeiter*innenbewegung und deren soziale Forderungen. Hitler bot ihnen Schutz für ungezügelte Profitmaximierung.

Nach ausführlicher Schilderung der furchtbarsten Verbrechen fallen De Jongs Schlussfolgerungen allerdings erstaunlich moderat oder naiv aus. Im Epilog fordert er die Erben brauner Bonzen und Industriekapitäne zu »historischer Transparenz und moralischer Verantwortung« auf und verlangt von ihnen, »ihre gewaltigen Schulden bei der Gesellschaft zu begleichen, die ihre Väter hinterlassen haben«. Er lobt die »Transparenz« der Fritz Thyssen Stiftung, die auf ihrer Website nicht zu verheimlichen versucht, dass ihr Namensgeber ein Nazi war. Wäre auch unmöglich, schließlich hat Stammvater Friedrich Thyssens selbst seine Autobiografie mit dem Bekenntnis überschrieben: »I Paid Hitler«. (Ich bezahlte Hitler)

Aber reicht ein Online-Artikel als Sühne für die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte? Und überhaupt, was ist von dieser Art »Aufarbeitung« zu halten, die inzwischen selbst zu einer kleinen Industrie avancierte? Nazi-Erben zahlen ein paar Millionen Euro an angeblich unabhängige Historiker*innen, um die Geschichte ihrer Unternehmen in der NS-Zeit »aufzuarbeiten«. Und mit einer wenig gelesenen, von der breiten Öffentlichkeit kaum zur Kennnis genommenen Monografie ist die »historische Verantwortung« dann abgehakt?

Dabei wäre über weit mehr als nur die zwölf Jahre im Zeichen des Hakenkreuzes zu reden. In den 1960ern haben die Flicks und die Oetkers fleißig an die NPD gespendet. Die von Fincks finanzieren heute die AfD. Die Quandts und die Porsche-Piëchs sind verantwortlich für »Dieselgate«, andere Milliardär*innen für andere Umweltverbrechen. Und sie werden nicht belangt.

Die Lösung ist naheliegend und logisch: Enteignung. Warum sollte ein Geschwisterpaar über einen Milliardenkonzern mit Hunderttausenden Angestellten bestimmen, wenn ihre einzige Qualifikation in familiären Banden mit Goebbels besteht? Übrigens, zu den reichsten Menschen in Deutschland gehören auch siebenjährige Zwillinge – ihr Opa war Friedrich Flick, von den Alliierten wegen Zwangsarbeit, Ausplünderung okkupierter Gebiete und Verstrickung in SS-Verbrechen zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1950 vorzeitig entlassen.

Die braunen Erben sind keineswegs weniger gefährlich als ihre Vorfahren. Im Sinne der Demokratie ist es dringend geboten, dass ihre wirtschaftliche Macht gebrochen wird — sonst könnten sie wieder Umstürze finanzieren. Die Gerechtigkeit schreit danach, dass ihre mit Unrecht angehäuften Reichtümer unter demokratische Kontrolle gestellt werden. David De Jong äußert sich hierzu nicht explizit, er überlässt es den denkenden Lesern* innen, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.

David de Jong: Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien. Kiepenheuer & Witsch, 496 S., geb., 28 €.

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