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Mythos oder Vernunft?

Der Horror-Thriller »Knock at the Cabin« traut seinem Publikum weniger zu als die Romanvorlage, ist aber eine eigensinnige Variation seines Genres

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Wen (Kristen Cui, links) in den Händen der Angreifer (Dave Bautista, Abby Quinn)
Wen (Kristen Cui, links) in den Händen der Angreifer (Dave Bautista, Abby Quinn)

Eine Hütte im Wald, eine Kleinfamilie in den Ferien, dann kommen die Psychopathen, brechen die Tür auf und beginnen damit, Eltern und Kind zu traktieren. So überraschend ist die Handlung des Horror-Thrillers »Knock at the Cabin« zunächst nicht. Der Regisseur M. Night Shyamalan hat in seinen Filmen immer wieder klassische Genreprämissen zum Ausgangspunkt genommen und diese in sein religiös aufgeladenes filmisches Universum überführt. Doch dort geht es eigensinnig zu.

Schon auf einer formalen Ebene: Shyamalans Filme sind, zumindest wenn man sie mit Hollywood-Konventionen abgleicht, immer irgendwie zu langsam. Die Geräusche, die die Natur, das Mobiliar und die Schritte der Figuren machen, sind dann wiederum verhältnismäßig laut gemischt, was dem Geschehen etwas recht angenehm Künstliches verleiht.

Mit dieser Künstlichkeit korrespondierend haben die Plots etwas von Versuchsanordnungen, was Shyamalans Geschichten auf manchmal interessante, manchmal enervierende Weise überkonstruiert wirken lässt. Mitsamt der finalen Plot-Twists, die, nachdem sie mit seinem größten Erfolg »The Sixth Sense« (1999) zum Markenzeichen des Regisseurs geworden waren, keine Überraschung am Ende mehr erzeugen, sondern von Kenner*innen seiner Filme von Anfang an erwartet werden.

In »Knock at the Cabin« ist die Genreprämisse nun also eine klassische Einbruch-ins-Familiendomizil-Situation. Mit allen Registern: Bedrohung des Kindes, Fluchtversuch, sukzessive Ermordung der einzelnen Familienmitglieder. Die Gewalt eskaliert gleich am Anfang einmal probehalber und schwebt dann als ständige Drohung über dem Geschehen. Alles auf den ersten Blick wie in Michael Hanekes »Funny Games« (1997), nur nicht mit Sadisten als Gewalttätern, sondern mit religiös Erweckten, die auf die Familie losgehen, um die Apokalypse zu verhindern. Und viel wohltemperierter. Shyamalan will Zuschauerin und Zuschauer nicht quälen, sondern erbauen. Was schon mal eine recht untypische Erzählhaltung für einen Horror-Regisseur ist.

Die Eltern – Eric (Ben Aldridge) und Andrew (Jonathan Groff) – sollen entscheiden, wer von den dreien sterben und geopfert werden soll, nur so könne der Weltuntergang abgewendet werden. Zuerst erleben die beiden den Überfall als homophobes Hassverbrechen, als dann aber der Fernseher von Tsunamis, Seuchen und abstürzenden Flugzeugen berichtet, kommen Zweifel auf. Der Film ist am Rätselformulieren spürbar stärker interessiert als am home invasion-Subgenre, zu dem er ja qua Prämisse zweifelsfrei gehört. Die Frage, die er formuliert, ist nicht, wer wem die nächste Kniescheibe zertrümmert, sondern eine vergleichsweise abstrakte. Nämlich, ob die Erzählung sich am Ende auf die Seite der Apokalyptiker und damit auf die des Mythos schlägt, oder auf die Seite der kritischen Vernunft.

Letztere wird von Eric repräsentiert. Andrew ist von Anfang an ansprechbarer für die apokalyptischen Visionen, die »Knock at the Cabin« erst am Schluss eindeutig dem Wahn oder der Wahrheit zuschlägt. Zum einen, weil er, also Andrew, nach der ersten Prügelei mit den Angreifern mit einer mittelschweren Gehirnerschütterung gefesselt in der Hütte sitzt und im Kopf nicht mehr ganz klar ist. Dann aber auch, weil er, anders als sein mindestens agnostischer Ehemann, auch vor dem Einbruch der Gewalt in die Urlaubsidylle hin und wieder mal gebetet hat. Da ist der Weg zum Verschwörungsglauben dann nicht so weit.

Auf dem Weg zur Auflösung verfährt M. Night Shyamalan dann für seine Verhältnisse recht subtil. Es ist kein Zufall, dass Andrew und Eric mitsamt ihrer Adoptivtochter in Bezug auf ihre Klassenzugehörigkeit als eine Art Antithese zu den vier Eindringlingen fungieren, die allesamt aus der unteren amerikanischen Mittelschicht kommen: ein Lehrer, eine Krankenschwester, eine Köchin und ein Mitarbeiter der Gaswerke. Andrew, von Beruf Menschenrechtsanwalt, beschimpft die vier dann auch als »Loser«. Der ganze Komplex Homophobie zieht sich zusätzlich durch das Geschehen. Sollte auch dieser Horrorfilm von so etwas wie der Rückkehr des Verdrängten erzählen, dann ist es hier die Rückkehr des fast ins Prekariat abgerutschten Teils der Mittelschicht, der hier in Form der vier apokalyptischen Reiter unterwegs ist.

Im Gegensatz zu Paul G. Tremblays Romanvorlage »The Cabin at the End of the World« interessiert den Film die Frage, was das für ein kaputter Gott sein muss, der seiner Schöpfung derartiges zumutet, allerdings nur wenig. Auch nimmt das Buch seine Leser*innen ernster als der Film seine Zuschauer*innen. Zwar sollte man beides nicht gegeneinander ausspielen, aber es fällt auf, dass der Film in diesen zwei zentralen Punkten von Tremblays Vorlage abweicht, und diese Abweichungen wirken wie eine Abschwächung des Inhalts aus Rücksicht auf die Nerven des Publikums. Was schade ist. An und für sich genommen aber ist »Knock at the Cabin«wieder ein Film Shyamalans, der die Balance zwischen Genre und Autoreneigensinn auf interessante Weise hält – so falsch man die Auflösung am Ende als Agnostiker auch finden mag.

»Knock at the Cabin«, USA 2023. Regie: M. Night Shyamalan, Buch: Steve Desmond, Michael Sherman, M. Night Shyamalan. Mit: Ben Aldridge, Jonathan Groff, Kristen Cui, Dave Bautista, Nikki Amuka-Bird, Abby Quinn, Rupert Grint. 100 Min. Jetzt im Kino.

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