Familie Teutenberg: Symbiose der Besten

Tim Torn Teutenberg zeigt bei der Bahnrad-EM sein großes Talent – und könnte Roger Kluge noch das Olympiaticket wegschnappen

  • Thomas Juschus, Grenchen
  • Lesedauer: 5 Min.
Europameister Tim Torn Teutenberg (l.) feiert und wird gefeiert.
Europameister Tim Torn Teutenberg (l.) feiert und wird gefeiert.

Teutenberg? Da war doch was, oder? In der Radsport-Szene hat der Name seit Langem einen guten Klang. Horst Teutenberg, der 2021 verstarb, arbeitete über Jahrzehnte im Nachwuchs als Jugendleiter und Stützpunkttrainer in Nordrhein-Westfalen und entwickelte und förderte viele Talente. Auch seine drei Kinder Lars, Sven und Ina-Yoko fanden den Weg in den Radsport. Ina-Yoko war über Jahre eine der schnellsten Frauen im Peleton, fuhr über 200 Siege ein und gewann 2011 WM-Bronze im Straßenrennen. Heute arbeitet sie als Sportliche Leiterin beim World-Tour-Team Trek Segafredo. Sven Teutenberg schaffte es als Profi mit den Teams US Postal und Gerolsteiner zur Tour de France, Giro d’Italia und der Vuelta. Und Lars Teutenberg wurde dreimal deutscher Meister auf der Bahn und machte sich vor allem als Technik- und Zeitfahr-Experte einen Namen. Und seine Kinder, die 23-jährige Lea Lin und der 20-jährige Tim Torn, haben in dritter Generation das Radsport-Virus übernommen. Und mischen mit stetig wachsendem Erfolg an der deutschen und internationalen Spitze mit.

Zum Auftakt der Bahn-EM in Grenchen stand Tim Torn Teutenberg ganz oben auf dem Podium und durfte sich das Europameister-Trikot überstreifen. Minuten zuvor hatte der Kölner in überragender Manier das Ausscheidungsfahren gewonnen – und dabei sogar Titelverteidiger und Weltmeister Elia Viviani aus Italien alt aussehen lassen. Mit großer Kaltschnäuzigkeit und Cleverness arbeitete sich der 20-Jährige bis in den finalen Sprint vor und ließ Rui Oliveira aus Portugal keine Chance und konnte schon Meter vor dem Zielstrich die Arme jubelnd nach oben reißen. »Es war mega! Das Ausscheidungsfahren liegt mir ganz gut – ich denke, ich kann das schon nicht schlecht«, freute sich Teutenberg. Zu den ersten Gratulanten im Velodrome Suisse gehörte Schwester Lea Lin – sie steht ebenfalls im deutschen EM-Aufgebot und belegte am Donnerstag im Ausscheidungsfahren einen starken fünften Platz.

Die Goldmedaille für Tim Torn Teutenberg ist der vorläufige Höhepunkt einer steilen Entwicklung. »Wir waren von klein auf bei vielen Radrennen dabei«, erinnert sich Lea Lin Teutenberg, die wie ihr Bruder schon früh mit ihrem Vater erste Ausflüge in den Rennsport machte. Opa Horst war damals auch regelmäßiger Begleiter, vor allem auf der Heimbahn in Büttgen-Kaarst bei Düsseldorf. Schon seit dieser Zeit schreibt Lars Teutenberg die Trainingspläne seiner Kinder. »Manchmal ist es mit Vätern ein bisschen schwierig – wir hatten das aber noch nie«, berichtet Teutenberg junior. Die Symbiose führte schnell zu Erfolgen. 2017 wurde Tim Torn in der Jugend erstmals deutscher Meister. 2022 – inzwischen Elitefahrer – sammelte er gleich vier Titel: im Scratch, Punktefahren, Omnium und natürlich im Ausscheidungsfahren – im letzten Sprint gegen »Altmeister« Roger Kluge.

Mit dem zweifachen Madison-Weltmeister aus Berlin zeichnet sich für Teutenberg derzeit ein spannender Kampf um ein Ticket zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris ab. Kluge will im Spätherbst seiner Karriere zum fünften Mal unter dem Zeichen der Ringe starten und zum Abschluss seiner Laufbahn nach Silber 2008 im Punktefahren und mehreren Top-Platzierungen 2012, 2016 und 2021 eine zweite Medaille gewinnen. Im Madison gehört der inzwischen 37-Jährige zusammen mit seinem Partner Theo Reinhardt immer noch zur Weltspitze. 2018 und 2019 waren beide Weltmeister, 2022 wurden beide in München Europameister und verteidigen am Sonntag in Grenchen ihren Titel im Zweiermannschaftsfahren.

Das komplizierte Reglement lässt indes kaum zu, dass Kluge und Teutenberg gemeinsam bei den Olympischen Spielen am Start sein werden. Grundsätzlich läuft die Qualifikation, deren erste Station die EM ist, über die Mannschaftsverfolgung. Die zehn besten Nationen stellen eine Mannschaft mit vier Fahrern, aus denen im Normalfall die Teilnehmer für die beiden weiteren olympischen Disziplinen Madison und Omnium kommen müssen. Nur unter bestimmten Bedingungen kann im Höchstfall ein fünfter Fahrer für die Bahn benannt werden, der sich beispielsweise über die Straße qualifiziert hat. Das Problem: Kluge und Teutenberg spielen im Vierer keine Rolle und spekulieren mit Position fünf. Es geht also nicht um die Frage: Erfahrung und Verdienste gegen Jugend und Perspektive, sondern darum, wie der Bund Deutscher Radfahrer seine Medaillenchancen einschätzt. Bislang war das erklärte Ziel die Bronzemedaille in der Teamverfolgung. Aus heutiger Sicht ist eine Medaille im Madison oder Omnium aber wohl eher zu gewinnen.

»Wir wollen beide zu Olympia. Irgendwie wird man eine Lösung finden. Ich mache mir derzeit keinen großen Kopf – am Ende wird der Beste bei Olympia fahren«, sagt Teutenberg selbstbewusst, für den Kluge in vielerlei Hinsicht ein Vorbild ist. Der Brandenburger hat mittlerweile über eineinhalb Jahrzehnte erfolgreich den Spagat zwischen einer Karriere als Straßenprofi und Bahnexperte geschafft. »Ich will versuchen, Straßenprofi zu werden, aber weiter gerne Bahn fahren. Es ist schwierig, aber möglich: Fahrer wie Elia Viviani, Ethan Hayter oder Roger haben es vorgemacht – es geht beides. Und bisher klappt es auch bei mir sehr gut«, sagt Teutenberg, der im dritten Jahr beim dänischen Continental-Team Leopard Togt pro Cycling unter Vertrag steht und 2021 und 2022 auch den Bund Deutscher Radfahrer bei der Straßen-WM in der U23-Klasse vertrat.

Zunächst liegt aber der Fokus auf der Bahn und dem Olympiaticket. Nach der EM wartet Mitte April beim Nations Cup in Kanada die nächste Möglichkeit, sich im Kampf um die Fahrkarte nach Paris zu positionieren. »Tim ist definitiv ein Kandidat für die Olympischen Spiele und hat eine realistische Chance. Diesmal hatte er auch erstmals die stärksten Beine, sah physisch richtig stark aus«, lobte Ausdauer-Bundestrainer Tim Zühlke aus Erfurt nach EM-Gold seinen Rohdiamanten. Zühlke kommt der interne Kampf sicher nicht ungelegen. »Viel hängt für Paris von der Konstellation ab«, sagt er und lässt sich alle Optionen offen. »Es macht Spaß, Tim zuzuschauen und mit ihm zu arbeiten. Er kann eine große Karriere vor sich haben.«

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